Gyllene Tider – “Dags att tänka på refrängen”

Künstler Gyllene Tider

Gyllene Tider Dags att tänka på refrängen Review Kritik
Gyllene Tider hört man auf “Dags att tänka på refrängen” die Vorfreude auf Live-Auftritte an.
Album Dags att tänka på refrängen
Label Elevator Entertainment
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung

Mit ihren vier Alben zwischen 1980 und 1984 waren Gyllene Tider eine der erfolgreichsten Bands in ganz Skandinavien geworden. Beweis für ihre anhaltende Popularität auch danach waren nicht nur die sehr vorzeigbaren Verkaufszahlen von Compilation-Alben, sondern vor allem das triumphale Comeback 2004. Damals kamen Per Gessle (Gesang, Gitarre), Mats “MP” Persson (Gitarre), Anders Herrlin (Bass), Micke “Syd” Andersson (Schlagzeug) und Göran Fritzon (Orgel) mit der Platte Finn 5 fel! zurück und absolvierten eine Tournee, die selbst die Rekorde aus ihrer Anfangszeit in den Schatten stellte. Es wäre ein famoser Schlusspunkt für die Geschichte der Band aus Halmstad gewesen.

Das einzige Manko: Finn 5 fel! wurde von vielen im Nachhinein als nicht allzu gelungene Platte betrachtet. Einige der Songs darauf hatte Per Gessle eigentlich für seine Soloveröffentlichungen geschrieben, und manch ein Fan meinte vielleicht auch deshalb, darin den richtigen Spirit von Gyllene Tider zu vermissen. Es ist unverkennbar, dass die Schweden mit Dags att tänka på refrängen diese Scharte auswetzen wollen. Alle Songs wurden für diese Band geschrieben und innerhalb eines knappen halben Jahres eingespielt. Die Botschaft heißt: The boys are back in town. Die Jungs sind wieder zusammen, und sie haben mächtig Spaß.

Det blir aldrig som man tänkt sej, das die Platte eröffnet, lässt daran nicht den Hauch eines Zweifels: Dieser Start ist fast schockierend offensiv und kraftvoll für eine Band, deren Mitglieder alle jenseits der 50 sind. Man versteht schnell, was Per Gessle meinte, als er diesem Album einen Red-Bull-Charakter attestierte: Es gibt Vollgas, Action und gleich alle Zutaten, die den Sound von Gyllene Tider ausmachen: die Farfisa-Orgel, ein klasse Gitarrenriff, ein augenzwinkernd alberner Text (der Titel lautet übersetzt: Es kommt immer anders als man denkt) und kurzweiligen Call & Response-Gesang. Dass die erste Version des Songs (der einzige, an dem MP Persson mitgeschrieben hat) schon aus dem Jahr 1979 stammt und dass die Band mit diesem Lied die Sessions für ihr sechstes Album begann, zeigt vielleicht am besten, wie groß das Bestreben war, hier wieder zu den Ursprüngen von Gyllene Tider zurückzukehren.

Ein ähnlich hohes Energielevel kann man gleich in mehreren anderen Stücken finden. Singel hat einen famosen Glam-Rock-Beat, vor allem die Melodie sorgt dafür, dass man den Song nicht versehentlich in die Kategorie „Hard Rock“ einordnet. In Chikaboom klingen Gyllene Tider fast martialisch, ausgehend von einem klasse Groove verwandelt sich das Lied dann, indem es mittendrin noch einen weiteren Gang hochzuschalten scheint. Tio droppar regn (zu deutsch: Zehn Regentropfen) ruft in Erinnerung, dass das Quintett einst durch die Ramones, Status Quo und Slade geprägt wurde. Dass die Comeback-Tournee ein wichtiger Faktor dafür war, dass es nun noch eine Gyllene-Tider-Platte gibt, ist offensichtlich: Man hört der Band bei praktisch allen Stücken die Vorfreude darauf an, die Songs bald auch in Konzerten spielen zu können.

Das Country-Instrumental Knallpulver könnte dann vielleicht die Einmarschmusik sein, auch sonst bietet die von den langjährigen Wegbegleitern Clarence Öfwerman und Christoffer Lundquist produzierte Platte ein paar Überraschungen. Jag tänker åka på en lång lång lång lång lång resa (Ich plane, auf eine lange lange Reise zu gehen) wird sehr verspielt, etwas nostalgisch und trotzdem robust, es ist eines der Lieder, die man sich von keiner anderen Band als Gyllene Tider vorstellen könnte. Die Single Man blir yr (Man dreht durch) setzt auf eine vergleichsweise dezenzte Gitarre und einen umso größeren Refrain, das sehr hübsche Lyckopiller (Glückspillen) wird die einzige Ballade des Albums. Allt jag lärt mej om livet (har jag lärt mej av Vera) unterstreicht, wie viel Lust auf Hymnen diese fünf Musiker weiterhin haben – und man wird sehr neugierig darauf, diese Vera selbst einmal zu treffen, von der so viel über das Leben zu lernen sein soll.

Sehr gekonnt nutzen Gyllene Tider, die mit diesem Album Doppel-Platin und Platz 1 der Charts in Schweden erreichten, diesmal auch das Spiel mit der eigenen Vergangenheit für ihr neues Material. Am deutlichsten wird das in Anders och Mickes första band (diese erste Band der beiden späteren GT-Mitglieder gab es wirklich, sie hieß Yggdrasil, und im Booklet ist passend dazu ein Foto aus den 70ern zu sehen). Das ist Rückblick und Selbstreferenz, aber mit genug guten Ideen, um das Attribut „retro“ nicht verwerflich klingen zu lassen. Auch Tiden är en dåre med banjo (Die Zeit ist ein Verrückter mit einem Banjo) nimmt Vergänglichkeit und Altern als Thema, die Musik dazu ist plakativ in jeder Hinsicht, sodass der Song der einzige Moment des Albums wird, der etwas bemüht jugendlich und nach Schema F klingt. Der Titelsong Dags att tänka på refrängen (Zeit, an den Refrain zu denken) nimmt nicht nur die eigene Powerpop-Formel auf die Schippe, sondern findet eine tolle Balance aus einem reduzierten Arrangement, einer ausgeprägten Melancholie und echter Überzeugung im Wunsch, die schönen Zeiten (egal, in welchem Lebensalter) sollten nie zu Ende gehen.

Per Gessle hat nach dem Comeback, wohl wissend, dass die Fans vor allem die alten Hits hören wollen, einmal den Witz gemacht, er und seine Mitstriter seien „die beste Gyllene-Tider-Coverband, die es gibt“. Dags att tänka på refrängen profitiert sehr von diesem lockeren Umgang mit dem eigenen Status – und fügt dem Katalog von Gyllene Tider nicht nur etliche weitere Hits, sondern auch ein sehr gelungenes Album hinzu.

Auch schön nostalgisch: das Video zu Man blir yr.

Website von Gyllene Tider.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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