Cassels – “Epithet”

Künstler Cassels

Epithet Cassels Kritik Rezension
Nach einem Pre-Album ist “Epithet” das offizielle Debüt von Cassels.
Album Epithet
Label Big Scary Monsters
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Foreword hieß das Pre-Album, das Cassels im April veröffentlicht haben. Der aus der Welt der Literatur stammende Begriff ist bezeichnend, auch für das heute erscheinende reguläre Debütalbum Epithet. Denn die Texte sind für dieses englische Duo, bestehend aus den Brüdern Jim (Gesang und Gitarre) und Loz Beck (Schlagzeug und Gesang), alles andere als Beiwerk.

“Es gibt dieses alte Klischee, dass wirklich gute Texte niedergeschrieben auf einem Blatt Papier auch ohne Musik noch gut sind”, sagt Jim Beck. “Ich glaube allerdings, dass die meisten Menschen zu wenig lesen, um das zu erkennen. Ich habe mich irgendwann bewusst dazu entschieden, Texte zu schreiben, die man auch unabhängig von der Musik lesen kann, sodass man gar nicht merkt, dass sie eigentlich aus einem Song stammen.”

Was er damit meint, zeigt Epithet in etlichen Momenten. Beck hat ein Händchen für Slogans, vor allem aber sind seine Texte getrieben von einer lodernden Wut. “Ich glaube, das hat verschiedene Gründe. Leute haben mich hängenlassen, wir hatten nicht gerade eine gesellige Kindheit und mein Dad ist ein ziemlich zynischer Kerl”, spekuliert er selbst über diese tief sitzende Aggressivität. Man findet sie in Let mit dem Stinkefinger gegen die eigenen Landsleute (“Britain, home of the ignorant, arrogant, and scared”), im Familiendrama namens War Is A Really Clever Metaphor for Divorce, das in der Lehre “Kids only fuck things up” kulminiert. Das meisterhafte Chewed Up Cheeks schließt das Album ab und vereint alles, was Cassels können. “This song is for you”, wiederholt Jim Beck immer wieder, und das ist wohl kein Geschenk, sondern eher ein Drohbrief.

Selbst die Gitarren klingen auf Epithet, als seien sie im Kampf mit der Welt. Sepia Good Times ist das treffendste Beispiel dafür, glänzt mit großartiger Dramaturgie und erlaubt sich auch ein wenig Chaos. Motor Skills ist am Anfang nahezu niedlich, zwischendurch wird es fast ein Inferno. You Turn On Utopia könnte man mit der originellen, virtuosen Gitarre und dem leicht nerdig-schüchternen Gesang für ein Lied der Good Shoes halten, wäre da nicht das wuchtige Finale. Coup eröffnet die Platte mit fast 90 Sekunden reichlich instrumentaler Power in einem sehr amerikanischen Sound, bevor dann die herrlich britische Stimme von Jim Beck einsetzt. Seinen Höhepunkt (so etwas wie Refrains gibt es quasi nicht in den sehr komplex konstruierten Stücken von Cassels) erreicht der Song dann nicht durch besondere Wucht, sondern durch besondere Intensität.

Where Baseball Was Invented handelt von ihrer Heimatstadt Chipping Norton in Oxfordshire. Auch darin sorgt der Gesang für einen besonderen Reiz: Beck ist kein bisschen der Shouter, der in diesem Genre so üblich ist, sondern ein hörbar besonnener Kopf, der die Umstände seiner Welt, die Unantastbarkeit des Establishments und auch die Bequemlichkeit seiner eigenen Generation trotzdem kaum ertragen kann. Diese Feindseligkeit, die schon die beiden frühen EPs von Cassels ausgezeichnet hatte, ist auch in This Song Has A Name But We Don’t Like To Talk About It das prägende Element. Wenn die Arctic Monkeys dreimal soviele Hoden hätten und mit Hardcore sozialisiert worden wären, käme vielleicht so ein Song heraus, samt der Quintessenz: “Cut it out / lighten up / simple as that.” So viel Spaß und Horizont wie auf Epithet darf man selten gemeinsam auf einem Album erleben: Die Musik von Cassels ist hoch intelligent und zugleich hoch emotional.

Ein Kunstwerk entsteht im Video zu Coup.

Website von Cassels.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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