Person und Pose sind auf "Affentheater" schwer zu unterscheiden.

Marius Müller-Westernhagen – “Affentheater”

Künstler*in Marius Müller-Westernhagen

Person und Pose sind auf "Affentheater" schwer zu unterscheiden.
Person und Pose sind auf “Affentheater” schwer zu unterscheiden.
Album Affentheater
Label Warner
Erscheinungsjahr 1994
Bewertung

„Rock ’n’ Roll, cool und deutsch, das ging plötzlich“, hat das Zeit Magazin in diesen Tagen das Verdienst von Marius Müller-Westernhagen beschrieben. In der Tat kann man sich heute kaum vorstellen, welchen Effekt ein Song wie Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz 1978 gehabt haben muss, der zum Ausgangspunkt für eine Mega-Karriere wurde, die Westernhagen zum Erscheinen von Affentheater längst in die Stadien und zu einem Abonnement für erste Plätze in den Albumcharts geführt hatte. Als diese Platte erschien, sein 14. Studioalbum, wollte er aber nur noch eins sein: cool, nicht deutsch.

Bis auf Helmut Zerlett an der Orgel sind keine deutschen Musiker an Affentheater beteiligt, aufgenommen wurde das Album in London, produziert von Pete Wingfield (Dexy’s Midnight Runners). Jede Sekunde auf dieser Platte schreit „internationales Niveau!“ Mit irgendetwas, das als „typisch deutsch“ gelten könnte, wollte Westernhagen im Jahr 1994 so wenig zu tun haben wie heute mit seinem damaligen Status als Armani-Rocker, als größter gemeinsamer Nenner, als angeblich lebender Beweis dafür, dass man auch hierzulande so etwas Ähnliches wie Rod Stewart auf die Beine stellen kann.

Ein paar Seitenhiebe und Provokationen zu den Schlagzeilen der Stunde („Helmut hat vergessen, den Gashahn abzudrehen“, „Töten ist ein Kinderspiel / für ’nen reichen Mann“, „Michael Jackson geht mit kleinen Jungs ins Bett“, „Wir pflegen unsere Depression / das ist die Lage der Nation“) gibt es freilich auch auf dieser Platte. Aus heutiger Sicht, im Zeitalter von Bushido & Co., wirkt es fast putzig, wie man mit ein bisschen Sticheln gegen die Kirche, Misstrauen gegen die Politik und dem offenen Bekenntnis, dass Sex in der Welt existiert, damals für Aufreger sorgen konnte. Das prägende Element dieses Albums ist aber der Versuch, sich von Mief, Rückständigkeit und Vereinnahmung zu befreien. Affentheater will eine Identität erschaffen, indem es seine Verortung verleugnet; es will klassisch sein gerade durch den Beweis, die Gegenwart begriffen zu haben.

Ein Lied, das gut zu dieser These passt, ist Ich brauch ’ne Frau: Der Sound ist (für damalige Verhältnisse) unterschwellig aggressiv und modern im Sinne von U2, im Text stecken ein Nihilismus und Hedonismus, die man Westernhagen abnimmt – auch wenn man merkt, dass beides nicht angeboren ist, sondern dass er sich dafür anstrengen muss, dass es eine lange eingeübte, hart erarbeitete Pose ist. Dass die meisten Menschen im Publikum bei ihm damals den Unterschied zwischen Pose und Person nicht mehr erkennen konnten, hat Westernhagen im Rückblick mächtig zu schaffen gemacht. „Ich konnte meinen eigenen Namen nicht mehr hören. Ich war richtig angeekelt“, hat er unlängst über diese Phase seiner Laufbahn gesagt.

Nichtsdestotrotz gibt es Etliches auf dieser Platte, das geradezu als Proto-Westernhagen gelten kann. Es gibt Theater, und es gibt auch Zucker für die Affen: Es geht mir gut ist ein Boogie fast in der Nähe von Achy Breaky Heart und ethält eine große Portion von dem, was man heute „Swagger“ nennen würde. Dazu gibt es die Sorgen des kleinen Mannes, das Gespür für seine Bodenständigkeit und seine Genügsamkeit, aber auch seine Zuversicht, die (keineswegs typisch deutsche) Entschlossenheit, das Glas als halbvoll zu betrachten.

Natürlich hat Westernhagen auch noch den Schürzenjäger drauf. Im erfreulich lebendigen und unverkrampften Hey Honey besingt er die Versuchung, die eigene Verführbarkeit und das Wissen, dass man sich immer wieder zum Trottel macht – und dass das nicht mehr ganz so schlimm ist, wenn man diesen Mechanismus irgendwann erkannt und akzeptiert hat. Willenlos ist das deutlich prominentere Beispiel für dieselbe Rolle, launig, kompakt und schunkeltauglich. Es ist einer der Songs, über die Westernhagen heute sagt, er könne sie nur noch „mit einer gewissen Ironie singen“. Das Fremdeln dürfte aber eher an der Rezeption des Lieds liegen als am Song selbst: Willenlos handelt davon, dass man zugleich die Frauen vergöttern und ein Chauvi sein kann, und das blieb auch in den Jahren nach Affentheater ein Leitmotiv bei Westernhagen.

Weil dies die Neunziger sind, gibt es natürlich auch Momente auf dieser Platte, die unabhängig von Mallorca-Vereinnahmung à la Willenlos peinlich sind. Der Text von Tanz mit dem Teufel soll assoziativ sein, wirkt aber blasiert, die Musik dazu ist arg schwülstig. Die Welt ist schön setzt auf einen HipHop-Beat, viel Saxofon und eine funky Gitarre (Musik) und ebenfalls assoziatives Rundum-Bashing (Text), das Ergebnis bleibt allerdings viel zu sehr im Ungefähren, sodass letztlich nichts zum Ausdruck kommt als Zynismus.

Noch schlimmer, weil herablassend und selbstmitleidig, wird Judaslohn. „Ich möchte erzählen von unserer Welt / ich habe vergessen, was wirklich zählt“, heißt einer der Zeilen im Refrain, und auch der Rest dieses Texts könnte ebenso wie der extrem zahme Sound wunderbar zu Rolf Zuchowski passen. Eitelkeit und Anmaßung torpedieren auch Wer hat den Käse zum Bahnhof gerollt?, das nicht nur hohl ist, sondern auch schmerzhaft langweilig. Auch der sich daran anschließende Schlusspunkt Hallelujah 94 mit Latin-Beats und orchestralem Gehabe ist überflüssig und offenbart einen unschönen Kontrast zwischen Ambition und Ergebnis.

Dem stehen Lieder wie Unter meinem Fingernagel gegenüber, sehr schön gesungen und mit einnehmendem Südstaaten-Sound. Schweigen ist feige hat viel Punch, eine klare Botschaft und den Mut, sich zu exponieren. Auch das sehr schöne Donna gehört zu den Höhepunkten. Darin besingt Westernhagen seine Angebetete, damals musste man das noch auf seine (mittlerweile Ex-)Ehefrau Romney beziehen. Donna ist aber nicht nur Romney, sondern die Überfrau, die Urfrau, die Frau an sich. Sie ist nicht die eine, sondern alle, und genau diese Erkenntnis macht das Überzeichnete an diesem Lied (ein fast sieben Minuten langer Soul-Schmachtfetzen mit Zeilen wie „Ein Leben lang ist für uns beide nicht genug“) nicht nur erträglich, sondern stimmig.

Superstar ist eindeutig der Track, in dem Westernhagen das gelingt, was er bei Flops wie den oben erwähnten nicht hinbekommen hat: Das Lied ist verstörend, überdreht und vor allem einzigartig. „Mama, ich habe letzte Nacht ins Bett gemacht / Mama, das habe ich nur für dich getan“, lauten die ersten Zeilen, und es gibt wenige Sänger, erst recht in Deutschland, denen man solche Reime durchgehen lassen würde. „Mama, ich bin jetzt Sänger bei den Rolling Stones“, presst Westernhagen später, dabei war ihm 1994 wohl längst klar, dass er kein deutscher Mick Jagger mehr werden wird und dass das vielleicht auch gar nicht so erstrebenswert ist. Am Ende des Liedes steigert er sich in einen Furor hinein, bis das Wort „Superstar“ wirklich gar nichts Verlockendes mehr hat. Zwei Alben später lieferte er mit In den Wahnsinn auch die musikalische Entsprechung für diese Erkenntnis, es war das Ende der Millionenverkäufe und Stadiontourneen. Für das Seelenheil von Westernhagen aber wohl nicht das Schlechteste.

Westernhagen als Liebesclown – das Video zu Willenlos.

httpv://www.youtube.com/watch?v=lPV7ov6q-cM

Hompage von Marius Müller-Westernhagen.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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