Hingehört: Milagres – “Violent Light”

Milagres sind auf "Violent Light" zugleich plakativ und offenherzig.
Milagres sind auf “Violent Light” zugleich plakativ und offenherzig.
Künstler Milagres
Album Violent Light
Label Memphis Industries
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

Darauf hofft man wohl als junger Musiker. Zwei Alben sind im Kasten, das erste davon hat die Band im Eigenvertrieb unters Volk gebracht, für das zweite hat sie unter anderem vom Rolling Stone (als „eine dramatische, hypnotische und unbedingt gelungene Platte“ hatte der Glowing Mouth gelobt) Anerkennung geerntet. Und dann kommt es zu einer Begegnung mit David Bowie. Das könnte der Kickstart für die eigene Karriere sein.

Kyle Wilson, dem Sänger von Milagres, ist das natürlich klar. Das Problem ist nur: Er begegnet David Bowie gar nicht als Musiker, mit dem man ein bisschen fachsimpeln und netzwerken kann, sondern er darf ihm nur das Essen bringen. “I work as a waiter in a Michelin star restaurant. I once waited on Lou Reed’s birthday party. David Bowie, Laurie Anderson, Julian Schnabel and Salman Rushdie were all at the table”, erinnert er sich und gesteht: “I was a little bummed that I wasn’t meeting these people in another context.”

Die Chance, David Bowie irgendwann einmal als Kollegen begegnen zu können, ist mit Violent Light, dem dritten Album von Milagres, jedenfalls nicht kleiner geworden. Das liegt nicht nur an Liedern wie The Letterbomb, in denen die Anlehnung an den Thin White Duke mehr als deutlich ist. Es liegt auch an einer geistesverwandten Herangehensweise, die das Ungewöhnliche schätzt, aber Pop bleibt. Und es liegt vor allem daran, dass Violent Light eine faszinierende Platte geworden ist.

Das Quartett aus Brooklyn versteht es dabei besonders gut, oberflächliche Posen und hemmungslosen Seelen-Striptease zu vereinen. Das an die White Lies erinnernde Jewelled Cave (das Lied ist laut Wilson eine Erinnerung an eine innige Beziehung zu einem damaligen Freund, über die er sagt: “It wasn’t a sexual relationship, but I don’t think you could describe it as anything other than being in love”) beispielsweise hat einen treibenden Beat und einen pompösen Refrain zu bieten. Perennial Bulb kommt am Beginn des Albums aus dem Ungefähren, findet dann aber nach einer Minute seinen Beat und seine Form und bietet schließlich ein plakatives Riff, obligatorische Synthie-Schwaden und theatralischen Gesang. Das schwere Klavier in Column Of Streetlight beantwortet die Frage, wie The Blood Arm sich wohl bei einem The-Darkness-Coverabend machen würden.

Der Gesang klingt auf Violent Light ganz oft, als habe sich Kyle Wilson den Weg zum Mikrofon erst durch eine Horde von Groupies bahnen müssen. Schlagzeuger Paul Payabyab spielt so, dass zwischen den einzelnen Schlägen noch genug Zeit für die eine oder andere Rockstar-Pose ist. Die Gitarrensoli klingen häufig, als solle dem Instrument ganz bewusst Gewalt angetan werden. Terrifying Sea illustriert diese Herangehensweise: Der Song klingt, als ob die Jungs von Hurts plötzlich Lederjacken tragen würden statt Maßanzügen, und als würden sie Gedichte lesen statt Karriereratgeber. Das funktioniert deshalb gut, weil die Größe des Sounds zur Größe der Emotion passt.

Dem stehen Lieder wie der Rausschmeißer Another Light gegenüber, in dem nichts weniger besungen wird als die Suche nach Zusammenhalt und Sinn. „If we’re alone / that’s okay“, heißt eine Zeile, und auch an vielen anderen Stellen von Violent Light wird die Verleugnung der Liebe thematisiert. „I don’t need your love“, lautet die (Selbst-)Beschwörung in IDNYL, ein Lied zuvor wird zu einem schwülstigen Eighties-Rolling-Stones-Sound die These aufgestellt, die Liebe so bloß „a way to kill the sleepless nights“. In The Black Table singt Wilson „love is just a chemical“, so arrogant und distanziert, dass man beinahe befürchten muss, er glaube tatsächlich an diese Aussage.

Wer solche Zeilen schreibt, der hat wohl einen ziemlich schlimmen Herzschmerz hinter sich, muss man vermuten. Wilson selbst bestätigt diesen Verdacht aber allenfalls indirekt: “Yesterday my therapist asked if she could hear the music I’ve been working on. I’m pretty scared to play her this record because I’m sure there’s some subconscious stuff in there that I really don’t want to confront.”

Ein kleines Konzert (allerdings noch mit alten Songs) von Milagres.

httpv://www.youtube.com/watch?v=R3mKyzJRCUo

Homepage von Milagres.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.