Hingehört: Muso – “Stracciatella Now”

Am Rande des Abgrunds spielen die meisten Tracks von "Stracciatella Now".
Am Rande des Abgrunds spielen die meisten Tracks von “Stracciatella Now”.
Künstler Muso
Album Stracciatella Now
Label Chimperator
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung

Das achte Wort auf Stracciatella Now, nach genau fünf Sekunden, lautet „Knast“. Nach 29 Sekunden ist dann erstmals das Wort „ficken“ zu hören. Später kommen noch Begriffe wie „Haftstrafe“ oder „Designerdrogen“ dazu. Daniel Giovanni Musumeci, genannt Muso, will auf seinem Debütalbum offensichtlich keinen Zweifel daran lassen, dass er ein harter Hund ist.

Das Erfreuliche dabei ist: Der junge Mann aus Heidelberg bringt solches Vokabular glaubhaft und clever rüber. In Garmisch-Partenkirchen, dem erwähnten Track mit Knast und Ficken, klingt er böse, nicht von Geburt an und nicht als Ausdruck seiner Natur, sondern durch Erfahrungen und das Wissen um Perspektivlosigkeit. Das Erstaunliche dabei: Genauso authentisch klingen bei ihm Liebeslieder wie Blinder Passagier, das eine ähnlich leidenschaftliche Atmosphäre entwickelt wie einst Solo von Thomas D. und Nina Hagen, oder das sehr schöne Alles sofort kurz vor Ende des Albums.

Die große Stärke dieses Albums – und das ist bei Rap durchaus selten – ist die Musik, die stets perfekt zum Inhalt und zur Attitüde passt. Der Beat ist in der Regel hochkomplex und oft dominant, dazu gesellen sich gerne kühle Synthies und frostige Gitarren. Das sorgt dafür, dass Stracciatella Now einen sehr einheitlichen, runden Sound bekommt, und die Mitwirkung von Musos Kumpels Konstantin Gropper (Get Well Soon) und Markus ‘Pink’ Ganter (Sizarr) ist dabei deutlich erkennbar. Am deutlichsten gilt das in Die alte Ruine, in dem (Wu-Tang-mäßig) Säbelrasseln mit Mönchsgesängen und schweren Bläsern wie aus einem Monumentalfilm verbunden werden, um die Botschaft von Treue und Härte zu untermauern, um die es hier geht.

Freilich trägt auch Muso selbst genug zum Gelingen dieser Platte bei. Einige seiner Reime sind beeindruckend, nur wenige sind misslungen und die meisten siedeln sich irgendwo dazwischen an, also im Bereich des sehr Soliden. Seine Stimmlage erinnert gelegentlich an Samy Deluxe und genau wie dieser hat auch Muso eine Vorliebe für Binnenreime en masse und Wörter, denen man mindestens zwei verschiedene Bedeutungen geben kann.

Das funktioniert gut bei Malibu Beach, über ein Mädchen, das aus der Wirklichkeit fliehen will (und das heißt bei Muso vor allem: aus der Leere). Es funktioniert für die Endzeitstimmung von Wir lassen uns nicht fallen. Es funktioniert sogar noch besser in All Eyes On You, das sich irgendwo zwischen Faithless, Eurodance und Westbam in der Sinnkrise einordnet und am Ende alle Coolness über Bord wirft und ein erstaunliches Feuer entwickelt. Und es funktioniert blendend in Knutsch nicht mit dem Disko-Muso, das zu House-Klängen und der Steeldrum-Tonfolge von Lykke Lis I Follow Rivers von der Party als Lebensinhalt, ihrem Grund und ihren Folgen erzählt.

All diese Interpretationen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, denn worum es in diesen Tracks wirklich geht, bleibt oft verklausuliert und ist dabei auch gar nicht entscheidend. Das sehr gute Sieben ist ein Beispiel für diese Erkenntnis: Die Form ist der Inhalt, es geht um Wortspiele, die hier zugleich auch Zahlenspiele sind, um die Atmosphäre und um das Staunen, das Zeilen wie „Vergess’ ab 5 deinen 6. Sinn, am 7. Tag wird geruht“ erzeugen.

Zwischen den Zeilen lebt Stracciatella Now von einer stolzen Anti-Haltung, einer diffusen Opposition, Ablehnung und Unzufriedenheit, die nicht nur deshalb erstaunt, weil dieses Debütalbum auf dem Label erscheint, dem wir auch den in der Regel zuversichtlichen Cro zu verdanken haben. Viele der Figuren in den Tracks von Muso stehen am Abgrund, sie wandeln irgendwo „zwischen Depression und Größenwahn“, wie eine Zeile in Hölle, Hölle lautet. „Ich bedanke mich für ein wertloses Leben“ (aus dem schön organischen Wachturm) ist noch ein Beispiel dafür.

Womöglich liegt das daran, dass etliche der Texte in den frühen Morgenstunden entstanden sind, der besten Zeit für finstere Gedanken. „Ich leide manchmal unter Angstzuständen. Der nächste Morgen scheint Lichtjahre entfernt, wenn die Welt da draußen schläft und ich denke, dass ich eine Abfahrt zu früh rausgefahren bin und es jetzt zu spät ist, um mich wieder einzureihen. Bis ich am nächsten Mittag aufwache und mir das alles so lächerlich erscheint“, sagt Muso dazu. „Aber jede Nacht ist Apokalypse.“

Die passende Atmosphäre ist auch der Schlüssel für das Video zu Blinder Passagier:

httpv://www.youtube.com/watch?v=ssoVcPK1QiI

Homepage von Muso.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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