Nisse – “August”

Künstler*in Nisse

Cover des Albums August von Nisse
Nach seinem Geburtstmonat ist das Debütalbum von Nisse benannt.
Album August
Label Four Music
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

MPS heißt das vorletzte Lied auf diesem Album. Das Kürzel steht wohl für Mini Playback Show, denn zwischendurch hört man einen Jungen, der von Marijka Amado interviewt wird. Noch ein Indiz: Der Song handelt vom Wunsch, jemand anders zu sein, und vom Wissen, dass das möglich wird, sobald man als Sänger auf einer Konzertbühne steht.

Dass Nisse diesen Traum schon ein Leben lang lebt (oder womöglich gar der kleine Junge ist, der da zu hören ist), ist unverkennbar, wenn man sein Debütalbum August (benannt nach dem Monat, in dem er geboren ist) hört. Hier ist jemand, der Pop sehr gerne mag, in ganz vielen Facetten. Und der den unbedingten Wunsch hat, diesem Genre selbst etwas zu geben. Genau an diesem Wunsch krankt das Album.

Die Produktion ist durchaus gelungen, es gibt auf August viele geschickt gewählte Anleihen und schicke Sounds. Die Mitwirkung von Steddy (Casper), Philipp Schwär (Cäthe) und Nicolas Rebscher (Balbina) war da sicher hilfreich. Aber immer, wenn Nisse versucht, sich irgendwie von der Konkurrenz abzuheben, scheitert er.

Wenn er urban oder gar gefährlich sein will, kommen Tracks dabei heraus wie Schmerzfrei. „Du kannst ficken mit meinem Verstand / doch meinem Herz hast du nicht mal einen runtergeholt“, sprechsingt er. Allerdings: Das „ficken“ verschluckt er halb, vor dem „runtergeholt“ lässt er eine kurze Pause, die wie ein verschämtes Zögern klingt, als würde er sich selbst fragen: Darf ich das wirklich singen? Was würde meine Mama dazu sagen?

Wenn er poetisch sein will, wird es noch schlimmer, denn neben ein paar guten Ideen („Du bist das Mädchen #1 in einer Stadt, in der’s nur Nullen gibt“ aus Liebe Liebe wird zur besten Zeile des Albums) stehen viele unsaubere Reime und schiefe Sprachbilder. „Nie fühlt sich die Sonne so warm wie im Winter an.“ Genau, und deshalb laufen wir im Januar ja auch alle in Shorts rum. „Du trittst das Gaspedal so fest / als wäre es alles was du hast.“ Was soll das für eine Suche nach Halt sein? „Die Welt explodiert in tausend Träumen.“ Gibt es dann Welt-Traum-Rauchschwaden?

Auch musikalisch geht trotz der Profis, die Nisse zur Seite stehen, längst nicht alles glatt. Ein Lied wie Fabienne wäre selbst als Schlager peinlich. Auch Tiefe probt die ganz große Geste und geht total in die Hose. Das überambitionierte Sonne ist ein gutes Beispiel für alles, was auf diesem Album nicht stimmt. Dass Entferne mich so langweilig ist, wird ebenfalls besonders ärgerlich, weil es mit so viel Pomp versucht, davon abzulenken. Wenn Nisse Liebeskummer ausdrücken will, dann nuschelt er (Schiff und Anker), wenn Leidenschaft rüberkommen soll, setzt er auf Lautstärke (Ich fahr). Viel einfallsloser geht es nicht.

Dass eine klare Identität hier ebenso schwer zu finden ist wie Geschmackssicherheit, liegt womöglich an der vergleichsweise unsteten musikalischen Sozialisation von Nisse. Er stammt aus einem Dorf in der Nähe von Hamburg, und auf den Festen dort in der Provinz wuchs er mit den Gassenhauern der Achtziger auf, auch wenn die Jahreszahlen schon mit 199 anfingen: Drafi Deutscher, Ideal, Falco, Udo Lindenberg, Nena. Ausgerechnet in England, wo er als Austauschschüler gelandet war, wurde er dann zum Fan von deutschem HipHop, sodass er sich, mittlerweile zurück in Hamburg, als Nachwuchs-Rapper versuchte. Später kamen Soul, Depeche Mode oder David Bowie zu seinen Einflüssen hinzu.

Die einzige Konstante in seinem musikalischen Olymp sei Michael Jackson gewesen, sagt Nisse. Die größte Verwandtschaft weist sein Debüt mit der Musik von Sebastian Hämer auf. Das bedeutet auch, dass es Ausrutscher nach oben gibt. Das weitgehend akustische Walkman und Anlauf hat eine schöne Dramaturgie. Und im leichtfüßigen Herz auf Beat passt endlich einmal alles zusammen, was Nisse offensichtlich repräsentieren möchte. Zwei von zwölf ist allerdings eine ziemlich miese Trefferquote – und auch die erreicht man bei August nur, wenn man so wohlwollend urteilt wie einst die Jury in der Mini Playback Show.

Im Video zu Herz auf Beat tanzt Nisse wie Michael Jackson. Nicht.

Nisse ist demnächst auf Tour:

27.09. Köln, Artheater
28.09. Weinheim, Cafe Central
29.09. Stuttgart, Schräglage
30.09. Frankfurt, Zoom
01.10. Essen, Hotel Shanghai
02.10. Dresden, Beatpol
04.10. Leipzig, Täubchenthal
05.10. Berlin, Berghain Kantine

Homepage von Nisse.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.