Robbie Williams – “The Heavy Entertainment Show”

Künstler Robbie Williams

The Heavy Entertainment Show Robbie Williams Kritik Rezension
Viele Mitstreiter hat Robbie Williams zur “Heavy Entertainment Show” eingeladen.
Album The Heavy Entertainment Show (Deluxe Version)
Label Sony
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

“Mein Ziel war ein Album mit zehn Liedern, die alle Singles sein könnten”, sagt Robbie Williams über The Heavy Entertainment Show. Dabei hat er nicht nur im Sinn, seinen Fans möglichst großen Spaß mit möglichst vielen Ohrwürmern zu bescheren. Es geht auch darum, sich zu beweisen. Robbie Williams, 41 Jahre alt, seit 20 Jahren Solokünstler und nun mit seinem elften Album am Start, will zeigen, dass er es noch drauf hat. Sein Ziel sind nicht nur die Charts, sondern Songs, die erfolgreich sind und dabei trotzdem noch herausragen, sagt er. Shake It Off von Taylor Swift oder Uptown Funk von Bruno Mars – dort liegt seine Messlatte.

Man darf diese Zielsetzung natürlich nicht als Unersättlichkeit missverstehen. Die Songs von Robbie Williams, ebenso wie seine Bühnenpräsenz und sein Charme als öffentliche Person, speisen sich schon immer aus seiner Unsicherheit. Bin ich zu dick für Take That? Kann ich als Ex-Boygroup-Mitglied wirklich ernst genommen werden? Sehen mich die Pet Shop Boys, Tom Jones, Queen, Dean Martin oder R.E.M. – alles Kollegen, mit denen er schon zusammengearbeitet hat – tatsächlich als Ihresgleichen an? Solche Fragen prägen seine Karriere. Der Verdacht, dass die Antwort darauf vielleicht “Nein” lauten könnte, war stets der Treibstoff für seinen Ehrgeiz.

Dabei hätte er längst allen Grund, zufrieden zu sein: Als Solokünstler hat er mehr als 70 Millionen Alben verkauft. Von den 60 erfolgreichsten Alben aller Zeiten in Großbritannien hat er zwei abgeliefert, genauso viele wie die Beatles, Michael Jackson und Abba. Die einzige Band, die in dieser Liste mehr Alben platziert hat: Take That. Auch The Heavy Entertainment Show kann ihn durchaus stolz machen: In England erreichte das Album die Spitze der Charts und hat schon Gold-Status, in zehn weiteren Ländern gab es Top-5-Platzierungen.

Die Idee mit dem Album voller Hits wirkt sich aber leider nicht so aus, dass man hier elf (auf der regulären Version) oder gar 16 (auf der Deluxe-Edition) Killer-Tracks vorgesetzt bekommt. Im Gegenteil: Es gibt wenig auf The Heavy Entertainment Show, das sofort atemberaubend wäre oder sich dauerhaft in der Liste der persönlichen Lieblingslieder einnisten könnte. Der Reiz des Albums liegt in einem Best-Of-Charakter der anderen Art: Robbie Williams zeigt hier alle Facetten seiner Karriere, vereint in einem Werk.

An seine ersten Solo-Versuche erinnert vor allem Motherfucker. Das Lied hat den Biss, das Augenzwinkern und die Hybris (wahlweise in Hey Jude– oder Oasis-Ausprägung) des Frühwerks von Robbie Williams, ergänzt um eine schelmische Reife: Es ist ein Hohelied auf das unvernünftige Erwachsensein und die nötige Prise Wahnsinn im Leben, gerichtet an die eigenen Kinder.

Der Album-Auftakt The Heavy Entertainment Show schwelgt in Las Vegas-Grandezza und Bombast, angereichert ein um Sample von Serge Gainsbourg. Wie gut Robbie Williams dieser Sound steht, wissen wir schon seit Swing When You’re Winning. Dass er sich selbst noch immer ein wenig wundert, mit dieser Nummer reüssieren zu können, und auch hier seine Zweifel und seine Fähigkeit zur Selbstironie nicht verschwunden sind, zeigt seine Selbstbeschreibung als “Eminem meets Barry White” in einer Textzeile.

Bruce Lee, dessen Sound an ELOs Don’t Bring Me Down erinnert, verweist auf die etwas orientierungslose mittlere Phase in der Karriere von Robbie Williams. Seine elektronischen Gehversuche greift Sensitive auf, das ausgerechnet von Jealous (Nick Jonas) inspiriert ist, und sich als einer der modernsten und eingänigsten Songs der Platte erweist.

Entstanden ist der Track, wie einige weitere auch, gemeinsam mit Stuart Price (Zoot Woman). Diese Zusammenarbeit prägt The Heavy Entertainment Show genauso wie die Wiedervereinigung von Robbie Williams mit Guy Chambers, der einst seine größten Hits komponiert hatte. Zehn Jahre herrschte Funkstille zwischen den beiden, bevor dann für das 2013 erschienene Swing Both Ways das Kriegsbeil begraben wurde. Diesmal hat Chambers an 9 der 16 Songs auf der Deluxe Version mitgearbeitet.

Weitere Kollaborationen gibt es mit Johnny McDaid (Snow Patrol), Rufus Wainwright, John Grant, den Killers, Gary Go, Jewel, Ed Sheeran und dem Komiker Jimmy Carr. Mehr als 70 Songs standen zur Auswahl, und es ist diese Quantität der Möglichkeiten und Beteiligten, die dem Gesamteindruck schadet. „Ich wollte auf diesem Album große Refrains, universelle Texte und universelle Melodien. Die Herausforderung ist es diesmal, das Album so groß wie nur irgendwie möglich zu machen“, sagt Robbie Williams. Im Ergebnis fühlt sich The Heavy Entertainment Show zwar opulent an, hat aber weder einen roten Faden noch einen unverwechselbaren Charakter.

Das wird leider auch nicht durch reihenweise umwerfende Refrains aufgewogen. Im Gegenteil: Manche Tracks sind so unausgegoren, dass man sich fragt, wie die 54 Lieder wohl klangen, die es nicht aufs Album geschafft haben. Party Like A Russian, die erste Single, ist zwar vielschichtig im Sound (inklusive Prokofjew-Sample), wird aber kolossal in einem nicht unbedingt guten Sinne und hat auch keine Hemmungen, im Text reichlich Klischees zu bedienen, die Donald Trump auch nicht schlichter hinbekommen würde.

Marry Me klingt so romantisch, kitschig und altmodisch, wie die Idee eines Heiratsantrags nun einmal ist. Mixed Signals, der Song, den Robbie Williams den Killers abschwatzen konnte, wäre bei Brandon Flowers & Co. eindeutig besser aufgehoben gewesen. Im “Track by Track” auf der Bonus-DVD gesteht Robbie Williams sogar, dass er Schwierigkeiten hatte, den Song so hoch zu singen. Love My Life klingt langweilig und seicht – dass da jemand von Snow Patrol am Werk war, überrascht nicht, auch Amy Macdonald wäre eine naheliegende Komplizin gewesen.

Besonders schade: Ausgrechnet dann, wenn die Texte am besten sind, wird die Musik von The Heavy Entertainment Show oft am schwächsten. When You Know ist dafür ein Beispiel: “When I found you, I found myself /… / I built a kingdom upon a hill / if you hadn’t found me, I’d be there still”, reimt Robbie Williams. Es ist einer seiner schönsten Strophen über die Neigung zum Unglücklichsein und die Hoffnung auf Liebe, aber die Musik dazu ist eher gewöhnlich.

Vielleicht ist When You Know Me auch das Lied, das die Bedeutung des Albumtitels am besten erklärt, denn auch darin thematisiert Robbie Williams die Diskrepanz zwischen Ernsthaftigkeit und Unterhaltung, Tiefgang und Massen-Appeal, nicht zuletzt seinen persönlichen Willen, Spaß zu haben und dabei doch in seine Abgründe zu schauen. Dass sein Werk mitunter als “leichte Unterhaltung” abgetan wird, wurmt ihn einerseits und brachte ihn anderseits zu einer eigenen Interpretation dieses Begriffs. „Ich habe über ‚leichte Unterhaltung’ nachgedacht – all die großen TV Shows in meiner Kindheit, die von dreißig Millionen Zuschauern gesehen wurden. Das gewaltige gemeinsame Erlebnis dieser Momente, die man ‚Light Entertainment‘ nannte. Manchmal kommt das bei Menschen nicht so gut an, aber für mich ist das ‚Heavy Entertainment‘. Und genau das versuche ich auf meinem neuen Album – ich möchte ein gemeinsames Erlebnis mit Millionen Menschen schaffen, mit Hilfe des Mediums ‚leichte Unterhaltung‘… aber auf Steroiden“, sagt er.

In den besten Momenten der Platte kriegt er dieses sehr spezifische Robbie-Gefühl natürlich wieder hin. Time On Earth thematisiert wunderbar die Diskrepanz zwischen Bühnen-Ich und Alltags-Ich. In Pretty Woman (mit Ed Sheeran geschrieben) erinnert das Beat-Fundament sehr stark an Adeles Rolling In The Deep, das Ergebnis ist eine Aufforderung zum Tanz (und mehr), die sehr wirkungsvoll ist. Sensational schwelgt herrlich in Arroganz, nicht ohne die Fußnote “I’m semi-serious with you right now” – die Energie der Live-Aufnahme verstärkt den Eindruck eines Gefühls der Unantastbarkeit.

David’s Song, das Robbie Williams seinem verstorbenem Manager gewidmet hat, erinnert zunächst an Barclay James Harvest, überzeugt aber danach mit einem göttlichen Refrain, einer sehr ungewöhnlichen Melodieführung und der schönen Erkenntnis. “Don’t want a brand new life / this one’s just right / why would I throw it all away?” Ein Highlight ist auch Best Intentions. “Please don’t read my mind / I’m so scared of what you’ll find”, singt Robbie Williams mit einer Entspanntheit und Coolness, die ihm gut steht, die Musik dazu würde ins Solowerk von Noel Gallagher passen. Der beste Song des Albums ist Hotel Crazy, eine Zusammenarbeit mit Rufus Wainwright: Vom ersten Ton an hat das Lied eine sexy Atmosphäre, die Stimmen scheinen miteinander verschmelzen zu wollen. Und das Thema ist das bekannte Leitmotiv: Robbie Williams versucht, seine dunklen Seiten nicht zu verdammen, sondern zu akzeptieren und sogar ins Herz schließen.

Trotz großer Ambitionen, trotz Guy Chambers und weiterer prominenter Mitstreiter und trotz des Eindrucks, dass Robbie Williams seinen Status und seine Möglichkeiten heute so klar erkannt hat wie nie zuvor in seiner Laufbahn, ist The Heavy Entertainment Show also kein großer Wurf geworden. Insgesamt ist die Platte eher interessant als einnehmend, zur intensiven Exegese taugt sie viel eher als zum euphorischen Mitsingen – auch wenn es genug Momente gibt, die für Pop-Glücksgefühle sorgen. Das Album ist Sinnbild der Karriere von Robbie Williams, und er scheint das zu ahnen. Im Booklet ist er als Boxer zu sehen, der gegen sein eigenes Ebenbild antritt. Mit grimmigem Blick, Schweiß auf der Stirn und wilder Entschlossenheit. Das ist eine treffende Metapher für den Kern von Robbie Williams, die auch als Fazit für The Heavy Entertainment Show funktioniert: Er bleibt ein Künstler, der gegen sich selbst kämpft. Und jedes Mal, wenn er in den Ringt steigt, geht er am Ende K.o. und triumphiert zugleich.

Das Video zu Party Like A Russian ist wie das Album: opulent, reich an Zitaten und nicht so clever, wie es gerne wäre.

Website von Robbie Williams.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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