Hingehört: Sløtface – “Try Not To Freak Out”

Künstler Sløtface

Sløtface Try Not To Freak Out Kritik Rezension
“Try Not To Freak Out” haben Sløtface in Oslo aufgenommen.
Album Try Not To Freak Out
Label Propeller
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Night Guilt, ungefähr in der Mitte von Try Not To Freak Out platziert, erklärt von allen Liedern auf dieser Platte vielleicht am besten, wie das Debütalbum von Sløtface funktioniert: Im Zentrum steht eine Gitarre, die nicht nur ein bisschen an New Noise von Refused erinnert, der Sound ist nervös und desorientiert, aber trotzdem entschlossen. Damit ist der Charakter der Norweger gut auf den Punkt gebracht: Sie wissen um die Defizite und Tücken von Unerfahrenheit, aber auch um die Gnade und Einmaligkeit der Jugend. Die 20- bis 22-jährigen Bandmitglieder selbst sehen das Album als den Abspann für ihre Teenager-Zeit, und das ist ein sehr treffendes Bild.

“The main thread of the album is never feeling that you’re in the right place, or that you’re not doing the right thing, which I think is a common thing in your twenties when you’re trying to figure out what you wanna do with your life”, sagt Sängerin Haley Shea. Diese Frage haben die Norweger für sich selbst recht eindeutig beantwortet: Sie wollen Musik machen, Spaß haben, Konzerte spielen. Wer Sløtface nach den EPs We’re Just OK (2014) und Sponge State (2016), etwa wegen der auch hier erkennbaren Parallelen zu Be Your Own Pet, noch für Punk-Rabauken mit viel DIY-Spirit gehalten hat, wird von Try Not To Freak Out vor allem in einer Hinsicht erstaunt sein: Die Platte strotzt vor Ehrgeiz.

“We realised we all wanted to play shows, we wanted to be professional”, sagt Shea über die Zeit, als die vier Mitglieder ihre bisherigen Bands verließen und sich als Sløtface zusammentaten. “We wanted to be engaged. We wanted to make music videos and put on shows and parties and have experiences with people that we wouldn’t necessarily meet in our hometown.” Liedern wie Pitted, die voller Ungestüm und Begeisterungsfähigkeit stecken, kann man das sehr gut anhören. Auch Pools lebt in jeder Hinsicht von diesem Bewusstsein (und Anspruch), anders zu sein als der Rest, sich beweisen wollen.

Produziert wurde Try Not To Freak Out von Dan Austin (wie schon Sponge State). “We cooperate a lot better when he’s around, I think”, sagt Bassist Lasse Lokøy. Der Produzent schafft es, das sehr kreative Songwriting der Norweger und ihre erkennbar kurze Aufmerksamkeitsspanne sowohl in packende Songs als auch in ein stimmiges Ganzes zu verwandeln, auch wenn man sich für Try Not To Freak Out ein bisschen mehr Hitpotenzial gewünscht hätte. In Nancy Drew klingen Sløtface, die aus Stavanger stammen und mittlerweile in Bergen leben, so heavy, dass sie einem wirklich Angst machen können. “I promised not to freak out this week”, heißt die zentrale Zeile von Try, wieder geht es also um den Konflikt zwischen Selbstbeherrschung und Assimilation auf der einen Seite und Trieb, Lust, Wildheit und Freiheit auf der anderen.

Einen großen Anteil daran hat Haley Shea. Zum einen konterkariert ihre niedliche Stimme immer wieder sehr reizvoll die beträchtliche Härte des Sounds. Zum anderen sorgen ihre Texte für eine Besonderheit, ebenfalls durch ihre Rolle als Frontfrau. “I wanted to write indie rock stories from a female perspective, and be really specific about that experience – women have been able to relate to indie rock dudes forever, so guys would probably be able to relate to my stories, too”, erklärt sie ihren Ansatz. Wie das gemeint ist, zeigt etwa der Album-Auftakt Magazine, in dem nicht nur Patti Smith als Leitbild für integres Verhalten gefeiert, sondern auch mit dem Schlanke-Figur-Fanatismus abgerechnet wird, den uns Frauenzeitschriften ins Hirn pflanzen. “I really wanted to write a breakup song, but I’ve never really had any experience with heartbreaking, devastating, aggressive breakups, so I thought I would write a breakup song about breaking up with bad body image.” Auch Sun Bleached beleuchtet den Kontrast zwischen Äußerlichkeiten und Innenleben; das Lied ist leidenschaftlich, aber nicht verzweifelt, sondern mit so etwas wie einem Grundoptimismus ausgestattet.

Auch die beeindruckende Entschlossenheit und Konzentration von Sløtface ist wohl zu einem nicht geringen Teil auf die Ambitionen der Frontfrau zurückzuführen. “I’m one of those typical over-achievers that’s trying to convince themselves that you can always do more and be better and the only reason that you’re failing is because you’re not working hard enough”, hat die Sängerin erkannt. Welch fulminante Ergebnisse das bringen kann, zeigt nicht zuletzt der Album-Schlusspunkt Backyard. “We are adventuring / in our backyard”, heißt es darin. Den ersten Teil dieses Satzes glaubt man sofort. Der zweite Teil muss wohl eher nicht den Hinterhof als Bezugsrahmen nennen, sondern die ganze Welt.

Eine sehr originelle Version eines Lyric-Videos ist Nancy Drew.

Website von Sløtface.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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