Maximal reduziert: "Liminal" hört fast auf, Musik zu sein.

The Acid – “Liminal”

Künstler*in The Acid

Maximal reduziert: "Liminal" hört fast auf, Musik zu sein.
Maximal reduziert: “Liminal” hört fast auf, Musik zu sein.
Album Liminal
Label Infectious
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

In einer Welt, in der annähernd alles penetrant um Aufmerksamkeit buhlt, ist eine Platte wie Liminal beinahe ein Wunder. The Acid haben damit ein Debütalbum vorgelegt, das nicht so grell, laut und aufdringlich wie möglich daher kommt, sondern von absoluter Stilsicherheit lebt. Und die Frage aufwirft, wie weit man Musik reduzieren kann, bis sie aufhört, Musik zu sein.

Schon die ersten Töne von Animal weisen in diese Richtung. Gesang, Bass, Beat – alles ist da und wunderschön, aber es wird immer wieder unterbrochen und ist stets im Begriff, zu sublimieren. Veda setzt auf ein paar Klaviertupfer und einen Gesang mit maximaler Behutsamkeit; beinahe glaubt man, dass sich da selbst das Mikrofon verschämt abgewendet haben müsste, um diese fragile Stimme nicht weiter zu stören. Irgendwann gibt es dann doch einen Beat in diesem Track, nicht robust, aber tanzbar, und man weiß gar nicht, auf welch magischen Wegen er dorthin gelangt ist.

In Basic Instinct ist ebenfalls alles denkbar sanft, man kann so einen Song allenfalls mit einer Feder, einem Lufthauch oder der Berührung eines Wesens aus Seide vergleichen, doch diese Empfindsamkeit harmoniert wunderbar sowohl mit pompösen Drums, die kurz angedeutet werden, als auch mit verzerrtem Gesang. Eine akustische Gitarre, ein Bass und Gesang prägen Ra; es sind die gewöhnlichsten Zutaten, aber bei The Acid klingen sie wie aus einer anderen Welt. Clean ist ein weiterer Track, in dem jeder Bruchteil eines Sounds wichtig ist, das Ein- und Ausatmen der Stimme, das Oszillieren in den Widerständen der Studiogeräte, das kaum hörbare Rauschen im Hintergrund.

Natürlich entsteht solche Musik nicht beim Schrammeln im Proberaum. Hinter The Acid stecken drei Produzenten und ausgewiesene Studiotüftler: der Engländer Adam Freeland (neben etlichen eigenen Platten und namhaften Remixes kann er auch eine Grammy-Nominierung vorweisen), der Amerikaner Steve Nalepa (er unterrichtete jahrelang Studiotechnik an der kalifornischen Chapman University, was ihm den Ehrentitel „The Professor Of Party“ von der LA Times eingebracht hat) und der Australier Ry X (er sorgte unlängst mit seiner Berlin EP für einige Aufregung im Netz). Ry und Adam kannten sich schon eine Weile, als sie sich 2013 bei einer Party in Los Angeles wieder getroffen haben. Sie begannen, Ideen auszutauschen und stellten fest, dass ihre Arbeitsmethoden wunderbar harmonieren.

“It’s like painting before you know what you are painting”, umschreibt Ry X die Herangehensweise bei The Acid. “You’re stuck in the process before you’ve got an idea of what you’re making. The beauty of that is complete freedom.” Einem Song wie Fame merkt man diese Freiheit besonders an: Er klingt, als könne er in den Röhren des Large Hadron Colliders am CERN für alle Zeiten seine Runden drehen, ohne dass dem Song etwas fehlte, ohne dass etwas hinzukommen müsste oder weggenommen werden könnte. In Tumbling Lights vermählen The Acid ein Glockenspiel und einen sehr dominanten Bass, beides klingt bei ihnen gleichermaßen geheimnisvoll. Red verlässt sich vor allem auf den geisterhaften Gesang, was an Xiu Xiu denken lässt, ansonsten ist es so gut wie unmöglich, passende Referenzen für die Musik auf Liminal zu finden.

Bei Ghost könnte man meinen, die drei Produzenten hätten einen Eurodance-Track genommen, nur den Bass davon übrig gelassen, und die Worte eines Sterbenden darüber gelegt. In Creeper wird deutlich, dass The Acid bei allem Minimalismus auch zu Aggressivität fähig sind, wobei die natürlich unter diversen Schutzschichten steckt. Wenn man sich wundert, dass Liminal trotz des sehr reduzierten Sounds, des meist gemächlichen Tempos und des sehr einheitlichen ästhetischen Gesamtbilds in keinem Moment langweilig wird, dann findet man in solchen Passagen die Antwort darauf. Und in spannenden Sounds, die bei The Acid mitunter auch auf Alltagsgeräuschen basieren: Straßenlärm, das Knirschen einer Lederjacke, Vogelgezwitscher – all das ist auf Liminal verewigt.

Es ist eine Meisterleistung, solch ungewöhnlich Bruchstücke so stimmig zusammenzusetzen. Feed, der Schlusspunkt des Albums, ist ein weiterer phänomenaler Beweis dafür: Man bekommt nicht einmal annähernd mit, wie viele Entscheidungen, Neuversuche und Überarbeitungen nötig gewesen sein müssen, um ein Ergebnis zu bekommen, das so spontan, selbstverständlich und atemberaubend schön klingt.

The Acid spielen Basic Instinct live in Brüssel.

httpv://www.youtube.com/watch?v=HEn3sOY1198

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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