Hingehört: The Old 97’s – “Most Messed Up”

"Hau es einfach raus" - das Prinzip funktioniert bei The Old 97's bestens.
“Hau es einfach raus” – das Prinzip funktioniert bei The Old 97’s bestens.
Künstler The Old 97’s
Album Most Messed Up
Label ATO
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

“I’m not crazy about songs that get self referential / most of this stuff should be kept confidential”, singt Rhett Miller im ersten Lied dieser Platte, nach knapp drei Minuten. Man kann ihm zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr glauben. Denn besagtes Lied, Longer Than You’ve Been Alive, beginnt gleich mit den Zeilen “We’ve been doing this longer than you’ve been alive / propelled by some mysterious drive.”

Das Lied handelt von nichts anderem als der Liebe zum Musikerdasein, und der Vers trägt damit den Kern des Albums in sich: Die Musik der Old 97’s ist auch auf ihrem zehnten Album großartig, aber schnell erklärt: kompetenter Rock mit Americana-Schlagseite im Stile der Drive By Truckers, Jayhawks oder von Built To Spill. Viel mehr als um diesen Sound geht es hier aber um die Texte und die Attitüde des aufrechten Rockers, der nichts anderes will als seine Songs in die Welt tragen. „Rock’n’Roll’s been very, very good to me / The open road’s the only place I wanna be”, heißt es am Ende des Lieds, und schon in diesen Opener packt das Quartett aus Texas damit mehr Authentizität als andere Bands in ihre ganze Karriere. “I wrote that song very quickly and didn’t rewrite one word of it”, erklärt Rhett Miller. “It’s sort of a thesis statement not just for this record, but for my life’s work.”

Er und seine Mitstreiter Murry Hammond (Bass), Ken Bethea (Gitarre) und Philip Peeples (Schlagzeug) sind mittlerweile seit mehr als 20 Jahren unterwegs, und The Old 97’s sind nach wie vor die Sorte Band, die man sich am besten, nein: ausschließlich, in einer Spelunke in den Südstaaten vorstellen kann. Sie haben für Most Messed Up dennoch eine wichtige Neuerung zu bieten: Vor den Aufnahmen, die in Austin über die Bühne gingen und bei einigen Songs auf die Verstärkung von Gitarrist Tommy Stinson (The Replacements) setzen konnten, hat Rhett Miller erkannt, dass die Dinge nicht immer verklausuliert sein müssen. „Hau es einfach raus“ – das ist diesmal sein Motto.

Let’s Get Drunk & Get It On ist ein gutes Beispiel dafür, nicht nur im Hinblick auf den Songtitel, den man einfach lieben muss. „A few people in my life said, ‘You can’t sing ‘Let’s Get Drunk And Get It On’”, erzählt Miller über die Entstehung des Stücks. “I said, ‘What do you mean? I’ve been singing that sentiment for 20 years! I was just never so straightforward about it.’“ Der Song fährt Whisky, billige Hotels und wahre Liebe auf, spielt aber eher schlau mit diesen Klischees, statt sie zu bedienen.

Auch Intervention ist denkbar roh, ausgelassen und direkt, The Ex Of All You See hat die größten Gesten und die größten Melodien des Albums, Guadalajara klingt wie Tom Petty auf dem Weg zu einem TexMex-Urlaubsflirt, Give It Time lässt erahnen, was passieren würde, wenn Weezer eines Tages von einer Motorrad-Gang gezwungen werden, nur noch Rockabilly zu spielen. Der Name des Albums erklärt sich spätestens im Titelsong ganz am Ende von Most Messed Up: „I am the most messed up motherfucker in this town“, lautet da die Selbstbeschreibung, in der natürlich mehr Stolz steckt als Selbstmitleid.

Freilich sind die Figuren in den Songs der Old 97’s oft genug “men who possess an appetite for indulgence and won’t let a few bad decisions get in the way of a good story”, wie der Pressetext es so schön umschreibt. Auch Rhett Miller selbst betont diese Facette. “There’s a lot of darkness hidden in this record. One of the big Old 97’s tricks is when we write about something kind of dark and depressing, it works best when it’s a fun sounding song. So it’s not until the third or fourth listen that you realize the narrator of this song is a complete disaster”, sagt er. This Is The Ballad ist ein guter Beleg dafür, eine Hymne auf die Unwägbarkeiten, die ärgerlich erscheinen mögen, aber letztlich genau das ausmachen, was wir „Leben“ nennen. Noch deutlicher wird dieser Effekt in The Disconnect. “I am now connected to the disconnect”, singt Miller, er feiert sich als Loner und stellt gegen Ende fest: “The real world isn’t that real anyway.”

Ein Lied, in dem sich The Old 97’s ein paar Selbstreferenzen gönnen, ist dann schließlich auch das grandiose Wasted. “Gonna play my guitar till my fingers fall off / sing till my voice is gone / they might say I’m wasting my life / they are wrong”, erklärt Miller voller rotzigem Selbstbewusstsein, wie es auch alle Fans von Frank Turner lieben dürften, dann mündet das Ganze in die Zeile: “Tonight I wanna get wasted with you.” Man sollte das unbedingt als Einladung verstehen.

The Old 97#s spielen neue Songs live für KEXP.

httpv://www.youtube.com/watch?v=Kk5gERLx_dg

Homepage von The Old 97’s.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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