Vince Staples – “Summertime ’06”

Künstler Vince Staples

Cover des Albums Summertime '06 von Vince Staples Kritik Rezension
Originell und mutig ist das Debüt von Vince Staples.
Album Summertime ’06
Label Def Jam
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Es gibt ein paar Eigenschaften, die Summertime ’06 wie ein typisches Rap-Album wirken lassen: Intros, in denen Schüsse zu hören sind. Der Hinweis „explicit“ am Ende jedes einzelnen Songtitels. Und natürlich muss es – Rap neigt schließlich zur Großmannssucht – als Debüt gleich ein Doppelalbum sein.

Doch der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Albums 21-jährige Vince Staples erweist sich dann als höchst eigenständiger Künstler. Der Kalifornier, der erstmals 2011 im Umfeld von Odd Future auf sich aufmerksam gemacht hat, verweigert sich nämlich einer der gängigsten Eigenschaften von HipHop: Angeberei. In keinem Moment von Summertime ’06 klingt er aggressiv, da kann er im (eher langweiligen und harmlosen) Street Punks noch so oft „You’re a motherfucking street punk“ skandieren. Niemals wirkt es, als müsse er sich produzieren und auf dicke Hose machen. Im Gegenteil: Die Stimme von Vince Staples wirkt eher, als würde er zu sich selbst sprechen.

Dazu passen Texte, die ebenfalls keine Angst davor haben, Angriffsflächen zu bieten. „I know I’m not perfect“, heißt es in Lemme Know (featuring Jhené Aiko and DJ Dahi). Wenn C.N.B. mit der Zeile „I wake up feeling like I’m the coldest nigger breathing“ beginnt (womit dann auch die Bedeutung der Abkürzung geklärt wäre), dann ist das kein Raketenstart in den Tag mit viel Swag. Vielmehr scheint Vince Staples zu taumeln, noch im Halbschlaf. In Lift Me Up klingt er fast moribund, in Summertime geradezu kontemplativ.

Das ist ungemein wohltuend, auch weil Summertime ’06 ein paar zentrale Elemente des Genres (Hang N’ Bang würde sicher auch Eminem sehr gut gefallen, Jump Off The Roof ist mit Kuhglocke, Chor und eingängigem Refrain am nächsten an dem, was man für einen Hit halten könnte) mit viel Originalität und Mut verbindet. So gibt es wilde Flamenco-Handclaps (Loca), Tracks mit verschlepptem Tempo, das für beachtliche Bedrohlichkeit sorgt (Surf), einen auch mal waffenscheinpflichtigen Bass (Birds & Bees) oder Songs wie Get Paid, die auf faszinierende Weise schwebend wirken.

Auch der Beat in Norf Norf ist eher dezent, trotzdem ist es beeindruckend, wie mühelos der Rap von Vince Staples die gesamte Klangwelt des Tracks dominiert. 3230 gerät sehr spannend und lebendig, ohne dafür auch nur eine Spur von Bombast zu brauchen. Dopeman (featuring Joey Fatts and Kilo Kish) ist eines von mehreren Stücken, mit denen Vince Staples zeigt, dass Frauen im Rap auch auf Augenhöhe, oder sogar aus einer Position der Überlegenheit heraus, mitwirken können. Like It Is erweist sich als weiterer typischer Moment: eher reif und abgeklärt als wild und großkotzig.

Das ist das wunderbare an dieser Platte und am Hip-Hop-Verständnis à la Vince Staples: Er erzählt vom Erwachsenwerden nicht als einer Reise hin zu immer mehr Geld, Partys und Weibern. Sondern als Suche nach der eigenen Persönlichkeit.

Auch nicht gerade protzig: das Video zu Norf Norf.

Website von Vince Staples.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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