Cursive – “I Am Gemini”

Künstler Cursive

Ein bisschen Mythologie, kein bisschen Hokuspokus: das ist "I Am Gemini".
Ein bisschen Mythologie, kein bisschen Hokuspokus: das ist “I Am Gemini”.
Album I Am Gemini
Label Saddle Creek
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung

Mathematik und Astrologie – kann das gut gehen? „Das Alphabet, mit dessen Hilfe Gott das Universum beschrieben hat“, pries Galileo Galilei die eine Wissenschaft. „Einen großartigen Beweis von der erbärmlichen Subjektivität der Menschen“, sah Arthur Schopenhauer in der anderen, weil sie “den Gang der großen Weltkörper auf das armselige Ich bezieht”.

Man muss angesichts dieser Symbiose also ein bisschen skeptisch sein, wenn man sich I Am Gemini nähert, dem siebten Album von Cursive. Die Band aus Omaha ist bekannt für ihren Post-Harcore-Sound – also harte Musik, die so durchkalkuliert, komplex und ambitioniert ist, dass ihr ein paar Schlaumeier das Etikett vom „Math-Rock“ angeklebt haben. Trotz dieser Kategorisierung im kühlen Reich der Naturwissenschaft verweisen sie auf I Am Gemini nicht nur im Albumtitel auf ein Sternzeichen. Sie erzählen auf dieser Platte auch die Geschichte der Zwillinge Cassius und Pollock, die bei der Geburt getrennt wurden, und sich nun unter ungünstigen Umständen wieder begegnen, was nicht nur ein bisschen an die Geschichte von Castor und Pollux aus der griechischen Mythologie erinnert.

Allerdings darf man auch ein gutes Stück Zutrauen in die 1995 gegründete Band haben. Schließlich haben Cursive schon im Jahr 2000 mit Domestica ein gelungenes (und gefeiertes) Konzeptalbum vorgelegt. Und sie beweisen auch auf I Am Gemini, dass sie nichts von ihrer Härte und ihrem Forscherdrang verloren haben.

Frontmann Tim Kasher hat die Texte diesmal alle nacheinander geschrieben, wie für ein Buch. Viele der Lieder, die im Sommer 2011 in Omaha aufgenommen wurden, gehen ineinander über, immer wieder greifen Cursive Motive noch einmal auf oder bauen kleine Verweise auf andere Songs des Albums ein.

This House Is Alive beschreibt den Ort des Wiedersehens von Cassius und Pollock und wird ein erstaunlich sachter Auftakt, bis nach zwei Minuten dann doch die Spannung zwischen den beiden Hauptfiguren spürbar wird. The Sun And The Moon könnte ein Stück von Weezer sein, wenn Rivers Cuomo einmal die Hit-Schablone zur Seite legen würde. Drunken Birds ist einer von vielen Momenten, der an Piebald denken lässt. Twin Dragon/Hello Skeleton klingt, als habe jemand die Red Hot Chili Peppers mit den Spin Doctors gekreuzt.

In Wowowow kann Kasher beweisen, was für ein famoser Sänger er ist, das instrumentale, vom Klavier getragene This House A Lie ist ein cleverer Moment zum Durchatmen, danach klingt das feurige The Cat And The Mouse, als hätte jemand die Libertines in die Musikschule geschickt.

Songs wie Warmer Warmer, A Birthday Bash oder Double Dead (mit dem besten Refrain des Albums) wechseln nicht nur alle paar Takte das Tempo, sondern gleich komplett das Genre. Das hat seine Vor-, aber auch seine Nachteile: I Am Gemini ist niemals vorhersehbar, aber auch niemals eingängig. Ein bisschen ist das alles wie in der Mathematik (und womöglich auch der Astrologie): sehr beeindruckend, aber wenig mitreißend.

Cursive spielen The Cat And Mouse live und akustisch:

httpv://www.youtube.com/watch?v=vojNPBv86fY

Cursive bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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