Hingehört: Frank Turner – “Tape Deck Heart”

Frank Turner ist auch auf "Tape Deck Heart" so cool, weil er nie cool sein will, sondern bloß echt und gut.
Frank Turner ist auch auf “Tape Deck Heart” so cool, weil er nie cool sein will, sondern bloß echt und gut.
Künstler Frank Turner
Album Tape Deck Heart
Label Xtra Mile Recordings
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung  

Es gibt ein paar Dinge, die tut man als Mann viel zu selten. Seine Kumpels in den Arm nehmen. Seine Schwester anrufen. Um seine Vorfahren weinen. Seien wir ehrlich: Die meisten von uns Kerlen sind emotionale Wichte.

Zum Glück haben wir aber Frank Turner. Einen Mann, der für BlutSchweißUndTränen steht, für NoBullshitAuthentizität, für DasHerzAmRechtenFleck. Wir können seine Musik hören. Seine Stimme, die immer ein bisschen lauter, höher und leidenschaftlicher singt, als sie eigentlich zu vermögen scheint. Seine Lieder, die Pferde stehlen, Trost spenden, Leben retten können. Und dann können wir für einen kurzen Moment merken, wie schön, intensiv und hoffnungsvoll das Leben doch wäre, wenn man nicht ständig versuchte, cool zu sein.

An Frank Turner kleben eine Menge Begriffe, die absolut nicht cool sind: sympathisch, ehrlich, politisch. Seinem stetigem Aufstieg stand all das nicht im Weg: Der 31-Jährige, der als Sänger der Post-Hardcore-Band Million Dead begann, hat mittlerweile 300.000 Platten verkauft und durfte im vergangenen Jahr gemeinsam mit Paul McCartney, Duran Duran und den Arctic Monkeys die Olympischen Sommerspiele in London eröffnen. Natürlich macht ihn all das dann doch unfassbar cool.

Tape Deck Heart, sein fünftes Studioalbum, kann mit einigem Recht als bisheriger Höhepunkt seiner Karriere angesehen werden. Nicht nur, weil die Platte ihm mit Platz 2 in seiner englischen Heimat die mit Abstand höchste Chartplatzierung eingebracht hat. Sondern vor allem, weil es ein Meisterwerk von zwölf famosen Songs ist, die einen Künstler zeigen, der genau weiß, was er will und kann, ohne auch nur in die Nähe von Abgehobenheit zu gelangen.

Dazu passt auch ein gut funktionierender Shit Detector, der Frank Turner davor bewahrte, Tape Deck Heart zu überfrachten. Das Album sollte auf keinen Fall länger als 45 Minuten werden, hatte er sich vorgenommen: „Wir hatten rund 25 Songideen, als wir uns ins Studio begaben, und nicht alle davon waren wirklich gut“, sagt er. „Also dampften wir das Material auf die besten zwölf Songs zusammen. So passt es auch ganz wunderbar auf eine Seite einer C90-Kassette.“

Am Beginn steht die erste Single Recovery, ein Lied, das vordergründig von Liebeskummer, Schuldgefühlen und Flucht in den Rausch erzählt, aber eigentlich von Romantik und Zusammenhalt handelt. Schon in den ersten Sekunden, wenn nur Gesang und Gitarre zu hören sind, kann man sich der Dringlichkeit nicht entziehen, die Frank Turner ausstrahlt. Im Refrain steckt dann all die Hoffnung und Zuversicht der Welt: Er singt wie ein Gefangener, der endlich seine Ketten gesprengt hat, wie ein Taugenichts, der sein erstes selbst verdientes Geld in der Tasche hat, oder wie ein Jungspund, der gerade ein Kuss von einem Mädchen bekommen hat, von dem er sich nicht mal ein Lächeln zu erhoffen gewagt hätte.

Immer wieder überrascht Tape Deck Heart mit enormer Eingängigkeit. Produzent Rich Costey (Franz Ferdinand, Weezer) dürfte daran einigen Anteil haben. Vielleicht hat auch die kalifornische Sonne während der Aufnahmen in Burbank mitgeholfen. The Way I Tend To Be beispielsweise ist schlicht ein sehr hübscher Popsong über Einsamkeit und die Suche nach dem Glück. Das beinahe pompöse Oh Brother gönnt sich ein paar Flöten, ein mächtiges Klavier und ein Gitarrensolo. Losing Days ist damit beschäftigt, sich mit dem Älterwerden abzufinden, und nicht nur wegen der prominenten Mandoline klingt das wie REM oder gar die Hooters.

Den Vogel schießt Four Simple Words ab, das bisher schlicht und ergreifend beste Lied des Jahres: Der Track beginnt wie eine Musicalnummer, wird dann zum Folk-Schunkelliedchen und zum Punkrockfeger, jeder Part ist dabei grandios gelungen. Wenn dann nach dem zweiten Refrain nichts weniger als die Essenz des aufrichtigen Rock’N’Roll eingefordert wird, dann ist das schlicht atemberaubend.

Bei allem Hitpotenzial wird die Platte dennoch niemals oberflächlich oder gar anbiedernd. Immer wieder bricht Frank Turner aus aus dem mitunter glamourösen Sound, gönnt sich reduzierte, intime Momente wie das Break in The Way I Tend To Be oder das akustische, wehmütige Good & Gone (mit der wunderbaren Textzeile „Fuck you Motley Crue“).

Nicht zuletzt sind seine Themen mitten aus dem Leben. Polaroid Picture trauert den noch gar nicht so lange zurückliegenden Jahren des eigenen Sturm und Drang nach und erkennt doch an, dass eine neue Generation nachfolgt, die ihre eigene Party feiert. Das am Ende hymnische The Fisher King Blues blickt sagenhaft weise und gelassen auf das Leben („We’re all broken boys and girls, at heart / Come together fall apart“), schüttelt beinahe amüsiert den Kopf über all das amouröse Treiben und ist dennoch kein bisschen immun gegen den Schmerz, den dieses Treiben mit sich bringen kann. Anymore erzählt ganz unsentimental vom Ende einer Liebe, und wird gerade deshalb so herzzerreißend.

Plain Sailing Weather handelt von Unrast und Verlockungen, mit einem blutenden Herzen gesungen und einem Geist, der die eigene Unvollkommenheit zu 99 Prozent verflucht und doch zu 1 Prozent genießt: „The problem with falling in love in late bars / Is that there’s always more nights, there’s always more bars / The problem with showing your lover your scars / Is that everybody’s lover is covered in scars“, singt Frank Turner, und wenn es gegen Ende dazu reichlich Schlagzeugwirbel gibt, dann könnte man ihn fast für einen Flagellanten halten ob all dieser Aufrichtigkeit und Selbstanklage.

Nach einem Song wie dem unfassbaren Tell Tale Signs dürfte man eigentlich keinen anderen auf der Welt mehr guten Gewissens als „Liebeslied“ bezeichnen, so viel Gefühl, Bitterkeit und Wärme steckt in diesen 253 Sekunden. Es ist eines von vielen Liedern, die man gerne so schnell wie möglich selbst auf der Gitarre spielen möchte, um ihnen noch ein bisschen näher zu kommen, um sie noch ein bisschen besser nachfühlen zu können.

Ganz wenige Musiker haben diese Mischung aus Echtheit und Feuereifer hinbekommen, aus Bodenständigkeit und Attraktivität, aus dem, was unser aller Leben ist, und der Kunst, daraus die ganz besonderen Momente (und Zeilen) zu destillieren. Bruce Springsteen hat es vor langer Zeit geschafft, The Streets, die Arctic Monkeys in ihren Anfangsjahren. Frank Turner gelingt das jetzt schon seit sieben Jahren, immer intensiver, immer besser. Tape Deck Heart ist ein Album, das man sofort an alle Freunde verschenken will, auf dass auch sie daraus Kraft schöpfen können. Frank Turner ist ein Name, den man sich sofort tätowieren lassen muss. Mitten aufs Herz.

Ein Making Of von Tape Deck Heart:

httpv://www.youtube.com/watch?v=seDBUiPSvKk

Homepage von Frank Turner.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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