Hingehört: Lail Arad – “Someone New”

Witzig, sexy, aufregend: "Someone New" ist ein famoses Debütalbum.
Witzig, sexy, aufregend: “Someone New” ist ein famoses Debütalbum.
Künstler Lail Arad
Album Someone New
Label Notify
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung ****

Mit Frauenzeitschriften kenne ich mich, was sich auf lange Sicht sicher als folgenschwerer Fehler erweisen wird, nicht sonderlich gut aus. Aber ich vermute, dass Blätter wie Brigitte Young Miss oder Glamour so sein wollen, wie Someone New ist, das Debütalbum von Lail Arad: voller Witz und Jugend, mitten aus dem Leben und immer mit ganz viel Stil.

Die junge Dame aus London legt eine Platte vor, die hoch sympathisch ist, extrem kurzweilig, famos musikalisch, sexy und voller Lebensfreude. Wer sich wünscht, SoKo würde ein bisschen häufiger lächeln, oder einen halbwegs adäquaten Ersatz für Lily Allen sucht, der könnte hier seine neue Lieblingssängerin gefunden haben.

Over My Head gibt zu Beginn des Albums schon die Richtung vor. Lail Arad greift, begleitet von einem verspielten Piano, die Überforderung durch die Highspeedhightechwelt auf, kokettiert mit den eigenen Unzulänglichkeiten und ist wunderbar poetisch, wenn sie darin feststellt, dass die größten Rätsel der Welt doch noch immer zwischen Männern und Frauen bestehen. „The universe is way over my head / the internet is something I don’t get / the economy is beyond me / but you’re the biggest mystery to me.“

In Winter betont sie, dass sie ab und zu ganz gerne Single ist, aber nicht unbedingt in der kalten Jahreszeit. „Who wants to be free when it’s freezing“, heißt die im höchsten Maße einleuchtende rhetorische Frage zu akustischer Gitarre und dezenter Orgel.

Schon diese beiden Lieder reichen aus, um ganz viele Stärken von Someone New zu benennen. Da ist zum einen der Humor, der in fast allen Texten dieses Albums steckt und selbst der schlimmsten Katastrophe noch ein bisschen Erträglichkeit verleiht. „Ich habe nie geplant Lieder zu schreiben, die komisch sind. Ich bin schließlich kein Comedian. Ich versuche so ehrlich wie möglich über Sachen, die ich erlebe oder erfahre, zu schreiben, und manchmal kommt es dann humorvoll rüber, besonders wenn es um Beziehungen geht. Viele meiner Lieblingskünstler – Jonathan Richman, David Byrne –  schreiben Texte voller Humor, selbst wenn die Themen oft eher traurig sind“, erklärt die 27-Jährige dieses Element.

Da ist zum anderen ein musikalisches Spektrum, das kaum zu fassen ist für ein Debütalbum. Flöten, Banjos, Trompeten, Celli erklingen, die Genres reichen vom zerbrechlichen Folk wie The Magic über Countrypop wie Reminds Me Of You und Gypsy- und Latin-Elemente in Who Am I bis hin zum Quasi-Rock des ausgelassenen Mm Mm. Das liegt an der Sozialisation von Lail Arad, die in einem sehr musikalischen (und offenbar höchst geschmackvollen) Elternhaus aufwuchs. „Was meine Freunde in den 1990ern hörten, ging an mir irgendwie vorbei – ich war damit beschäftigt, mir alle Songs von Simon & Garfunkel, Joni Mitchell, The Kinks und vieler anderer beizubringen“, erinnert sie sich. Zuhause habe sie, wie durch Passivrauchen, ganz zwangsläufig viel großartige Musik mitbekommen – im putzigen Had It Harder blickt sie mit einem Augenzwinkern auf diese behütete Jugend zurück.

Nicht zuletzt lebt Someone New davon, dass Lail Arad zweifellos eine Überzeugungstäterin ist. Sie lebt für ihre (manchmal anscheinend sogar: in ihrer) Musik. So kann eine kleine Anekdote für einen Song herhalten wie im rührenden Rausschmeißer The Q Song, auch die ganz grundsätzliche Lage der Welt lässt sich in ein paar Akkorde packen wie im Titelsong. All das wird verdelt von einer tollen Stimme, und jede Sound-Spielart ist dabei erst einmal denkbar. Auch hier profitiert Lail Arad von der Möglichkeit, sich ganz früh musikalisch austoben zu können. „My performing and singing really got going at school. There was a wonderful music department that put on a lot of little concerts where we could perform covers, folk nights, rock concerts, cabarets… I loved them all”, hat sie im Interview mit Folkradio erzählt.

Noch ein weiteres Charakteristikum prägt diese Platte: ihre fast beiläufige, niemals blasierte Internationalität. Lail Arad, die in London geboren wurde, deren Eltern aus Tel Aviv stammen, und die bei einer französischen Plattenfirma unter Vertrag steht, geht ganz selbstverständlich damit um, dass die Welt längst ein globales Dorf ist.

Im sehr coolen Everyone Is Moving To Berlin nimmt sie (nach einem JFK-Sample am Beginn) diese Tatsache in einem ironischen Talking Blues aufs Korn. Im irren The Pay You Have To Price doziert sie über ihre Bettgeschichten mit den verschiedensten Nationalitäten. Wir lernen: Spanier nehmen es mit der Treue nicht so genau, Japaner stehen auf synthetische Drogen, bei Franzosen sollte man sich auf Geschlechtskrankheiten gefasst machen, bei Italienern hat natürlich die Mama das letzte Wort und Israelis legen keinen gesteigerten Wert auf Verhütung.

Immer wieder baut Lail Arad zudem ein paar Zeilen aus Fremdsprachen in ihre Texte ein. Sie zelebriert den Exotismus, auch ihren eigenen. In ihren Texten finden sich ständig irre Reime, auf die man als Muttersprachler der dritten Generation wohl niemals gekommen wäre. Auch darin spiegelt sich der unverkrampfte, spielerische, freche Ansatz wider, der Someone New zu einem so großen Spaß macht. Übrigens nicht nur für den Hörer, sondern auch für Lail Arad selbst: „Für mich war das Machen des Album so, als ob ich einen Haufen Musiker, Ex-Boyfriends, köstliches Essen und geheime Tagebücher in eine große Waschmaschinentrommel geworfen hätte, das Ganze dann bei Höchsttemperatur so lange geschleudert hätte, bis schlussendlich ein wunderbares buntes Kleid herauskam, das ich schrecklich gern anziehe.“

Lail Arad spielt Over My Head ganz akustisch:

httpv://www.youtube.com/watch?v=BZv2U8azIZM

Lail Arad bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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