Hingehört: SoKo – “I Thought I Was An Alien”

Mit "I Thought I Was An Alien" legt SoKo ein offenherzerweichendes Debüt vor.
Mit “I Thought I Was An Alien” legt SoKo ein offenherzerweichendes Debüt vor.
Künstler SoKo
Album I Thought I Was An Alien
Label Babycat Records
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung ***1/2

Machen wir uns nichts vor. Es geht hier nicht um die Musik. „Im Grunde ist alles, was ich tue: mich auf meiner Gitarre ausheulen“, sagt SoKo. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

So gibt auf es auf ihrem Debütalbum I Thought I Was An Alien denn auch reichlich Lieder, die entsprechend reduziert klingen. Der Opener I Just Want To Make It New To You hat einen Kinderkeyboardschlagzeugbeat und ein bisschen amateurhaften Bass (beides bekam SoKo übrigens von Stella Mozgawa geschenkt, der Drummerin von Warpaint). Der Titelsong als schüchternes Liebeslied kommt über weite Strecken mit bloß zwei Akkorden aus, der Rausschmeißer You Have A Power Over Me klingt wie ein Demo, das zerbrechliche No More Home, No More Love ist eines von mehreren Liedern, das nur aus Gitarre und Gesang besteht.

Freilich waren Virtuosität oder üppige Instrumentierung noch nie die Eigenschaften, die SoKo ausgemacht haben. Bei Stephanie Sokolisnki, geboren 1986 in Bordeaux, dann in Paris zuhause und seit 2008 in Los Angeles beheimatet, geht es um die Texte. „Wenn mich Leute noch meinem Musikstil fragen, antworte ich, dass ich vertonte Punk-Geheimnisse erzähle“, sagt sie, und das ist kein schlechter Fingerzeig. SoKo steht für den Willen zur Veränderung, für Wut, Radikalität, Spontaneität und Mut, aber auch für Verletzlichkeit.

Ihre Musik bringt wunderbar die Suche nach Orientierung, Sinn, Liebe auf den Punkt, die man ihrer Generation so gerne unterstellt. Es ist ein Lebensgefühl des Relativen, Ungefähren, Vorläufigen. Das macht es nicht nur schwierig, einen Standpunkt zu beziehen, sondern auch, einen Gegner zu bestimmen, gegen den man rebellieren könnte, um sich wenigstens darüber zu definieren. „Half folky / half punky, half french / half polish, half actress / half music-nerd, half singing / half talking, half dreaming / half dancing, half joking / half deep, half tearful / half crazy, half wise / half child, half orchestral / half lo-fi, half depressed / half joyful, half funny / half touching, half cat / half tiger, half sing along / half sing alone”, lautet bezeichnenderweise die Selbstbeschreibung von SoKo. Der möchte sie gerne noch hinzufügen: „komplett wild, komplett vegan und immer unberechenbar“.

Es ist die famos romantische Lyrik von SoKo, die ein perfektes Ventil dafür wird. Und es ist eine Freude, sie anhand dieser Texte beim Leben, Lieben und Lernen zu begleiten. „You will discover me through my songs”, kündigt sie in der ersten Zeile des Albums an, “learn my heartbreaks and fears and depression / hear all the cracks and the lack of talent / and I hope that you don’t hate me by then.”

Diese schmerzhafte Offenheit gibt es reihenweise auf I Thought I Was An Alien, sodass man sich mitunter wie ein Spanner vorkommen muss. In First Love Never Dies stürzt sich SoKo kopfüber in Nostalgie und Liebeskummer, begleitet von Orgel, Bläsern und der allerersten Liebe. Treat Your Woman Right ist eine bitterböse Abrechnung, die trotzdem keine Genugtuung verschafft, fast nur mit Gitarre und Gesang und der Intensität von Leonard Cohen.

In Don’t You Touch Me muss sie erkennen, dass so viel Ehrlichkeit nicht unbedingt der Normalfall bei ihren Mitmenschen ist. „I stayed pure as a dove for you my love / but you are a werewolf / aren’t you my love?”, lautet ihr Verdacht, und sie bringt ihn ausnahmsweise fast trotzig und aggressiv hervor, wie sich Kate Nash das neuerdings auch gerne mal erlaubt. Auch im ebenso putzigen wie herzzerreißenden Happy Hippie Birthday klammert sie sich an eine Liebe, die sich schon alleine dadurch erfüllen sollte, weil sie so stark daran glaubt, und doch ist da bereits die Ahnung, dass alle Hoffnung hier vergebens ist.

Glücklicherweise wird dieser Tagebuch-Charakter gepaart mit Rätseln wie dem beinahe verträumten People Always Look Better In The Sun (Part 1). Die zentrale Zeile von I’ve Been Alone Too Long heißt “I’m still looking for my father / so I cannot have a lover now”, und SoKo singt sie zu einer spannungsgeladenen Begleitung zuerst so, als sei ihr diese Erkenntnis gerade erst gekommen, genau in diesem Moment, und danach so, als wolle sie sich selbst darin bestätigen, dass es die Wahrheit ist, vielleicht sogar die Antwort auf alles.

Natürlich gibt es auch wundervolle Lebensweisheiten, sie so rührend und schlau sind, dass man beinahe heulen möchte: In We Might Be Dead By Tomorrow steckt eine davon, umgarnt von wenigen Paukenschlägen und himmlischen Streichern: “I don’t want to judge / what’s in your heart / but if you’re no ready for love / how can you be ready for life ?“ Noch ein göttlicher Vers fürs Poesiealbum steckt in Destruction Of The Disgusting Ugly Hate, das mit tollem Gesang und ganz viel Energie zum Höhepunkt dieser Platte wird. „I got a tattoo on my heart / your name is written in black / you have tattoos everywhere / but my name is not there.” Wenn PJ Harvey einmal nichts mehr fühlen sollte als Schmerz oder The Duke Spirit sich an die endgültige Ballade wagen sollten, dann könnte das so ähnlich klingen.

Das beeindruckendste der 15 Lieder auf I Thought I Was An Alien ist jedoch For Marlon, in dem SoKo vom vergeblichen Versuch erzählt, einen Süchtigen zu lieben, bis ihr klar wird, dass für ihn doch immer seine Drogen an erster Stelle stehen werden. Am Ende klingt diese Liebeserklärung wie eine Bitte um Vergebung, zugleich bedroht und verängstigt. Auch da ist wieder nur Gitarre und Gesang zu hören, trotzdem stecken ganz viel Dramatik und Emotion in diesem Lied. „If you get sober / I will be here for you”, heißt das Versprechen, doch das “if” zieht SoKo darin so sehr in die Länge, dass darin eine ganze Welt des Zweifels und Bangens steckt.

Diese Perfektion im Detail erklärt womöglich auch, warum SoKo so verdammt lange für ihr erstes Album gebraucht hat, nachdem sie mit ihren ersten Demos schon 2007 für reichlich Furore gesorgt hat. Offensichtlich war sie auch klanglich lange Zeit auf Sinnsuche, bis die Aufnahmen mit Produzent Fritz Michaud (Elliott Smith) im Jahr 2010 begannen. Der Rat eines guten Freundes wies ihr schließlich den Weg: „Das Album sollte so wie Du klingen.“ Ein besseres Erfolgsrezept scheint es für SoKo nicht geben zu können.

SoKo spielt I’ve Been Alone Too Long:

httpv://www.youtube.com/watch?v=Ka2zpU-za3o

SoKo bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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