Sportfreunde Stiller – “New York, Rio, Rosenheim”

 

Künstler Sportfreunde Stiller

"New York, Rio, Rosenheim" ist rechtschaffen und gut gelaunt wie eh und je.
“New York, Rio, Rosenheim” ist rechtschaffen und gut gelaunt wie eh und je.
Album New York, Rio, Rosenheim
Label Universal
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung

Man darf da wohl von einer Krise sprechen. Irgendwann, als sich das Jahr 2010 zum Ende neigte, hatten die Sportfreunde Stiller genug von ihrem MTV Unplugged in New York-Konzept. Es gab eine Pause. Es gab die erstaunliche Erkenntnis, dass sie seit 2007 (damals spielten Aachen, Cottbus und Bielefeld noch in der Bundesliga und Stuttgart wurde Deutscher Meister, so lange ist das her) kein Studioalbum mehr gemacht hatten. Es gab ein großes Fragezeichen.

Jetzt sind die Sportfreunde Stiller wieder da, mit dem neuen Album New York, Rio, Rosenheim. Und mit der Botschaft: Es ist alles (wieder) gut. Peter Brugger, Rüdiger Linhof und Florian Weber spielen zusammen, als wäre nichts gewesen. Und ihr wichtigstes Ziel ist noch immer die gute Laune.

New York, Rio, Rosenheim zeigt in Nuancen, wie sich das Trio weiterentwickelt hat, betont aber vor allem die Kontinuität – das, wofür die Sportfreunde Stiller schon immer gestanden haben. Schon der Opener Hymne auf dich lässt daran keinen Zweifel. Von der ersten Sekunde an ist das Lied stadiontauglich im Sinne von Biffy Clyro. „Du bist du und ich bin ich / jeder hier hat sein Gesicht / also sing doch mal gelegentlich / eine Hymne auf dich“, lautet der Refrain. Man darf das durchaus als Beschwörung des Zusammenhalts innerhalb der Band interpretieren, sogar als Liebeserklärung an die Bandkollegen. Die Botschaft lautet aber auch: Individualität ist okay. Anderssein ist okay. Außenseitersein ist okay. Unvollkommensein ist okay.

Das ist ein durchaus wichtiges Element in der Geschichte der Sportfreunde Stiller. Trotz ihres immensen Erfolgs hat diese Band nichts Genialisches. Man merkt ihnen an, bei aller Leichtigkeit, die auch New York, Rio, Rosenheim wieder ausstrahlt, dass sie sich diese Lieder erarbeiten müssen. Peter Brugger wird in seinem Leben kein großer Sänger mehr und erst recht kein begnadeter Dichter und auch als Musiker gibt es Legionen von Mitstreitern, die dieses Trio in den Schatten stellen. Die Sportfreunde Stiller wissen das, und sie ersetzen Virtuosität mit Kampfgeist und dem unbedingten Willen zum Optimismus.

Wenn Pferde schlafen ist ein gutes Beispiel dafür. Es ist ein Liebeslied, wie nur die Sportfreunde es hinbekommen (und vielleicht noch Madsen), mit dem Kopf in den Wolken und dennoch mit ganz viel Bodenständigkeit. „Immer wenn ich denke, ich denke an nichts / denke ich immer nur an dich“, heißt die entscheidende Zeile. Man kann das peinlich finden, wenn man ein Zyniker ist. Wenn man verliebt ist, wird man sicher sein, dass die Sportfreunde einem damit direkt aus dem Herzen sprechen.

Auch Festungen und Burgen, eine Ballade über die Unfähigkeit, sein Leid zu artikulieren und in schwachen Momenten seine Gefühle zu zeigen, trägt diese Ambivalenz in sich. Man kann das unerträglich und schlagerhaft finden oder putzig und tröstlich. Auch der Rausschmeißer Wunder fragen nicht fällt in diese Kategorie: Der Song ist unbestritten hymnisch, klingt aber zugleich, als hätte jemand die Toten Hosen gezwungen, innerhalb von drei Stunden ein Geburtstagslied für Joseph Ratzinger zu schreiben.

Damit sind wir bei einem Problem von New York, Rio, Rosenheim angelangt: Das Album ist so zahm und rechtschaffen, dass es beinahe gefährlich ist. Wieder kein Hit ist ein Beleg dafür. Das Lied thematisiert die Schaffenskrise in der Bandpause und kommt akustisch daher (man muss wohl eher sagen: unplugged; schließlich haben auch diesmal wieder Oli Zülch und Dave Anderson produziert, wie schon bei MTV Unplugged in New York). „Habe schon wieder nicht getan, was ich sollte / sondern einfach nur, was ich wollte“, singt Peter Brugger. Wie in der Hymne auf dich wird da scheinbar das Unkonventionelle gepriesen. Aber das Abweichen ist bei den Sportfreunden Stiller immer nur innerhalb eng definierter Grenzen gemeint und nur innerhalb der Dimension des Privaten.

Der Titelsong macht das am deutlichsten. New York, Rio, Rosenheim ist sehr eingängig und setzt mit glaubwürdig guter Laune und einer prägnanten Keyboardmelodie auf ein bewährtes Sportfreunde-Erfolgsrezept. Aber spätestens bei Zeilen wie „Wir lieben unser Leben / und das Göttliche in jedem“ kippt die Zuversicht in eine ekelhafte Zufriedenheit. Solche Texte (und viele andere auf dieser Platte) stehen für die Verweigerung von Diskurs, das Ausblenden von Problemen und den Rückzug in eine trügerische Heimeligkeit.

Freilich muss man erwähnen: Diskurs ist nicht unbedingt die Aufgabe von Popmusik. Es ist vollkommen legitim, sich auf schöne Lieder und saftige Kracher zu beschränken, und davon gibt es etliche auf dieser Platte. Die Single Applaus, Applaus darf man wohl als Loblied auf die Vaterfreuden verstehen. Clowns & Helden setzt auf eine Soundästhetik, die auch gut zu The Sounds passen würde. Lederjacke, mit einem heavy Bassriff in der Strophe und einem stürmischen Refrain, hat auch nicht weniger Schmackes als die Beatsteaks. Let’s Did It! spielt halbwegs witzig mit Elektronik (allerdings auf einem Level, wie das Phonoboy schon vor acht Jahren gemacht haben) und ist so ein wichtiges Element für die Spannungskurve dieses Albums.

Es muss was Wunderbares sein (von mir geliebt zu werden), das sie gelegentlich schon bei der letzten Tour spielten, bietet reichlich Elemente, die man sonst selten zu hören bekommt bei den Sportfreunden Stiller: ein Klavier als dominierendes Instrument, einen karibischen Rhythmus, den Gesang von Schlagzeuger Flo Weber, Streicherpathos à la Rammstein und (hoffentlich) eine satte Dosis Ironie.

Und schließlich gibt es noch Unter unten!, das beste Lied der Platte. Es ist nicht nur so etwas wie die Vertonung des Wortes „Niveaulimbo“, sondern auch vollkommen ausgeflippt und mitreißend. Es gibt einen Sprechgesangsteil, der genauso frisch und frech klingt wie Kraftklub. Es gibt einen „dädedä“-Refrain, der ähnlich effektiven Mitgrölmomenten von Scooter (!) oder den Fratellis in nichts nachsteht, und es gibt einen Teil, der die Worte „Zicke zacke, zicke zacke, hoi, hoi, hoi“ mit filigranen Streichern (!!) unterlegen lässt. Nicht zuletzt ist die Botschaft von Unter unten! auch der womöglich entscheidende Schlüssel zum Verständnis der Sportfreunde Stiller: Vergiss Fremdschämen! Manchmal macht nichts so viel Spaß wie schlechter Geschmack.

Regen in Hamburg, trotzdem gab es beim ESC für die (und von den) Sportis Applaus Applaus:

httpv://www.youtube.com/watch?v=6CMPYzHIeaI

Homepage der Sportfreunde Stiller.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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