Interview mit Boy

Valeska Steiner (links) und Sonja Glass - die Gummistiefel sind nicht im Bild. Foto: Add On Music/Inga Seevers
Valeska Steiner (links) und Sonja Glass – die Gummistiefel sind nicht im Bild. Foto: Add On Music/Inga Seevers

Die Musik von Boy ist eigentlich zu filigran und dezent, um an einem lärmenden Festivalwochenende bestehen zu können. Trotzdem sind Valeska Steiner und Sonja Glass längst so etwas wie Stammgäste auf Festivalbühnen. In diesem Sommer hat das Duo aus Hamburg/Zürich beispielsweise beim Hurricane, beim Frequency und beim Melt! gespielt, wo ich Boy vor ein paar Wochen zum Interview getroffen habe.

Ihre Garderobe ist, durchaus passend, ein bisschen abseits platziert – neben den beiden Räumen, die Rufus Wainwright bezogen hat, den Boy als sehr willkommenen Nachbarn bezeichnen. Valeska und Sonja kommen beide in Gummistiefeln zum Interview und erweisen sich, wie nicht anders zu erwarten, als äußerst charmante Gesprächspartner. Sie freuen sich auf die Shows von Bloc Party und Peter Licht später am Abend und plaudern über das nächste Album, die Festival-Tauglichkeit von Boy und den seltsamen Traum, einmal Bass bei Travis zu spielen.

Die Rolling Stones feiern in diesen Tagen ihr 50. Jubiläum als Band. 50 Jahre Boy – wäre das für euch ein Traum oder eine Horrorvision?

Sonja Glass (lacht): Das geht gar nicht. Wie alt wäre ich da? Ich glaube, ich wäre schon tot.

Valeska Steiner: Wenn es immer so viel Spaß macht wie jetzt, dann wäre das keine schlimme Vorstellung.

Sonja: Wahrscheinlich würde ich dann mit dem Krückstock auf die Bühne wanken.

Valeska: Vielleicht ist das bei Männern auch anders, vielleicht halten die den Rock’N’Roll auf Dauer besser aus.

Vielleicht ist es für ein Duo auch aus einem anderen Grund schwieriger, so lange zusammen zu bleiben: Wenn es bei Boy mal Konflikte gibt, müsst ihr sie immer eins gegen eins austragen.

Sonja: Das stimmt. Aber andererseits kann man dann auch sicher sein, dass man nicht alleine gegen drei andere Leute ankämpfen muss.

Ihr seid eine gefühlte Ewigkeit mit eurem Debütalbum Mutual Friends auf Tour, nach den Festivals stehen noch etliche Dates im Vorprogamm von Katie Melua an. Habt ihr nicht langsam Sehnsucht nach der Arbeit im Studio?

Sonja: Wir vermissen das sehr. Ich habe total Lust, zu schreiben, aber leider keine Zeit. Man sollte ja normalerweise die Phase, in der man inspiriert ist, auch nutzen. Das ist wirklich schade, dass das zurzeit nicht geht.

Valeska: Es ist aber nicht so, dass ich schon genug davon hätte, live zu spielen. Die Songs hängen mir nicht zum Hals raus oder so. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass es manchen Bands so geht, wenn die ewig unterwegs sind mit einem Album. Aber so weit ist es bei uns zum Glück noch nicht.

Entstehen auch Songs, wenn ihr unterwegs seid? Das einzige neue Lied, das es bisher bei euren Shows zu hören gab, handelt ja bezeichnenderweise vom Leben im Hotelzimmer.

Valeska: Das ist das einzige Lied, das bisher fertig ist. Auf Tour zu schreiben ist wirklich schwierig, vor allem, wenn es um die Texte geht. Wir haben versucht, immer mal ein bisschen zu schreiben, wenn wir mal drei Tage frei hatten. Ich brauche diese Zeit auch, das geht nicht im Bus. Und ich habe auch keine Lust, ein Album zu texten, das nur das Tourleben behandelt. Man kann auch im Bus viele Geschichten beobachten und wir erleben sehr viel, wenn wir unterwegs sind. Aber das sind dann oft keine Geschichten, mit denen sich jeder identifizieren kann.

Es fehlt euch momentan also nicht nur die Zeit zum Schreiben, sondern auch die Zeit zum Leben und Erleben?

Valeska: Ja. Deshalb haben wir uns jetzt zwei freie Monate erkämpft, in denen wir hoffentlich nur schreiben können. Anfang nächsten Jahres.

Das scheint eine ziemlich knappe Zeit zu sein, wenn ihr so viel Nachholbedarf habt. Reichen zwei Monate, um genug Erlebnisse und Erfahrungen für ein ganzes Album zu sammeln?

Sonja: Natürlich nicht. Aber man kann mal wieder ein bisschen leben und in eine andere Phase des Musikerdaseins eintauchen.

Ihr geht als nicht mit dem Ziel in diese zwei Monate, danach ein fertiges Produkt zu haben, ein Album oder eine EP?

Sonja: Nein. Am liebsten wollen wir das wieder so machen wie beim ersten Album: Wir nehmen uns einfach die Zeit, die wir brauchen. Und diese Phase wird uns auf jeden Fall helfen, mal wieder richtig ins Schreiben eintauchen zu können.

Valeska: Beim ersten Album haben wir da auch eine Weile gebraucht, bis unsere Arbeitsweise richtig harmoniert hat, bis wir miteinander und mit unserem Produzenten so richtig gut funktioniert haben. Und wir haben wirklich das große Glück, dass wir ein Label haben, das uns nicht jetzt schon im Nacken sitzt und wissen will, wann das zweite Album fertig ist. Die wollen auch, dass das Album gut wird – und wissen, dass das Zeit braucht.

Auch wenn vom Label noch kein Druck kommt: Was denkt ihr, werden die Erwartungen an euer zweites Album sein?

Sonja: Ich denke, als Künstler sollte man sich von solchen Gedanken freimachen, auch wenn das sicher sehr schwer ist. Als Künstler möchte ich kreativ sein. Wir haben eine Vision, was wir machen möchten. Darum sollte es gehen – und nicht darum, irgendwelche Erwartungen von außen zu befriedigen. Sonst kann man sich leicht darin verlieren. Natürlich hoffe ich, dass es den Leuten gefällt, dass es unserer Plattenfirma gefällt und Philipp, unserem Produzenten. Aber jetzt sind wir noch an einem Punkt, wo wir uns eher wundern, warum so viele Leute schon nach dem Druck beim zweiten Album fragen.

Valeska: Ich denke, wenn wir die Linie verfolgen wie beim ersten Album, dann können wir nicht falsch liegen. Da haben wir uns nur auf uns selber konzentriert. Darauf muss man sich berufen. Wenn man mit den Gedanken schon bei der Frage ist, was vielleicht gut ankommt, dann macht man ja nicht mehr das, was man selbst gerne mag.

Mutual Friends lebt sehr stark davon, dass es so organisch und unprätentiös klingt. Ich stelle es mir sehr schwierig vor, diese ungezwungene Sound-Atmosphäre noch einmal zu wiederholen.

Sonja: Wir beide haben uns wirklich noch keine Gedanken über das zweite Album gemacht. Noch nicht eine Sekunde lang habe ich mich gefragt, ob das wohl funktioniert und wie es sein muss, damit es funktioniert. Vielleicht kommt das, wenn wir irgendwann ein paar Songs geschrieben haben und selber erkennen: Aha, da geht die Reise hin. Aber ich fände es gar nicht schlimm, wenn wir den Sound des ersten Albums nicht wiederholen können, sondern uns weiterentwickeln, aufbauend auf das, was wir bisher gemacht haben.

Valeska: Uns ging es ja schon einmal so: Wir hatten die Akustik-EP gemacht, weil wir uns damals einfach noch keine Band leisten konnten – obwohl die Lieder schon mit Band gedacht waren. Und als wir sie dann mit Band eingespielt haben, hielten das manche schon für überproduziert. Da haben wir schon gesehen: Es gibt immer Leute, die einfach an dem hängen, was sie schon kennen. Und es gibt andere, die für Entwicklung offen sind. So wird es beim zweiten Album sicherlich auch sein.

Sonja: Genau dasselbe noch einmal zu machen – das geht ja gar nicht. Da muss man sich einfach Fans wünschen, die offen sind und so eine Reise auch mitmachen.

Gibt es schon Punkte, die ihr auf jeden Fall ganz anders machen wollt als beim Debüt? Erfahrungen, die ihr seitdem gemacht habt und die auf jeden Fall euren Sound beeinflussen werden?

Sonja: Beim ersten Album haben wir wirklich sehr viel alleine gemacht in unserem Dreiergestirn. Inzwischen hat aber jeder aus unserer Live-Band seinen Teil zu unserer Musik beigetragen. Ich denke aber, dass wir uns wieder zu dritt hinsetzen werden und den Hauptteil machen.

Im Kinderzimmer von Produzent Philipp Steinke, wie bei Mutual Friends?

Sonja (lacht): Das wissen wir noch nicht. Das ist wirklich ein Punkt, bei dem wir uns schon gefragt haben, ob wir das wirklich wieder so machen sollten. Wahrscheinlich nicht.

Valeska: Obwohl wir uns freuen würden, wenn wir da wieder wären.

Sonja: Stimmt. Es hängt auch ein bisschen davon ab, wo unser Produzent sich dann aufhält.

Könntet ihr euch weitere Mitstreiter vorstellen? Wer wäre auf eurer Wunschliste der Künstler, mit denen ihr unbedingt einmal zusammenarbeiten wollt?

Sonja: Das ist schwierig. Weil viele Leute, die ich gut finde, sicher eine ganz eigene Arbeitsweise haben, die sich womöglich gar nicht so gut mit dem verträgt, wie ich Musik mache.

Valeska: Das sehe ich auch so. Wir haben bei Boy eine sehr enge, sehr kleine Zusammenarbeit, die alles hat, was man braucht. Da wäre es wirklich schwierig, jemanden von außen dazu zu holen. Aber ich hätte nichts dagegen gehabt, mal mit Jeff Buckley oder Johnny Cash auf der Bühne zu stehen.

Sonja: Ich habe gestern gerade wieder Travis gehört. Das ist auf jeden Fall eine Band, mit der ich supergerne einmal spielen würde. Der Bassist von Travis spielt ganz, ganz tolle Basslinien, und das wäre dann ja quasi meine Rolle. Ich könnte ihn für ein paar Lieder zum Kaffeetrinken schicken und dann einspringen. (lacht)

Habt ihr bei euren Konzerten vielleicht schon ein paar eurer Helden oder Vorbilder getroffen, die dann ganz beeindruckend oder total unsympathisch waren?

Valeska: Nein. Es gibt bei Festivals aber ein anderes Phänomen. Manchmal sind die Leute so nett, dass man darüber erst ihre Musik entdeckt. Wir sind zum Beispiel bei mehreren Festivals immer wieder Bat For Lashes begegnet, und das sind so nette Leute, dass wir uns dann erst richtig mit ihnen beschäftigt haben.

Festivals sind laut, schmutzig und flüchtig – passt das zu Boy?

Sonja: Ich denke schon. Es kommt natürlich immer auch darauf an, was es für ein Festival ist. Aber bis jetzt haben wir gute Erfahrungen gemacht und es macht wahnsinnig viel Spaß. Noch mehr Spaß als ich dachte.

Valeska: Ich muss sagen, dass ich vorher schon ein bisschen Respekt hatte. Ich war früher nicht so oft auf Festivals, und dann hat man so ein Klischee im Kopf, dass die Leute da in erster Linie wegen der Party hingehen und nicht, um die Konzerte zu sehen. Aber ich habe mich schnell eines Besseren belehren lassen, Zum Beispiel unsere Show beim Southside zum Sommeranfang war ganz wundervoll.

Sonja: Stimmt. Da dachten wir: Das war jetzt schon der Höhepunkt, besser kann die Festivalsaison nicht mehr werden. Besonders schön für uns ist es, wenn wir im Zelt spielen. Dann ist alles ein bisschen kompakter, man kann ein bisschen mehr Atmosphäre schaffen. Und selbst wenn alle schwitzen und das Wasser von den Decken läuft, wie es beim Southside war, dann ist das herrlich.

Was ist das typische Boy-Publikum?

Sonja: Mein Eindruck nach unseren ersten beiden Tourneen: Mehr Mädchen als Jungs und vom Alter her sehr gemischt. Und vor allem: ein sehr nettes Publikum. Wenn ich von der Bühne blicke, sehe ich ganz oft Leute, bei denen ich denke: Wow, die sehen total nett aus. Mit denen könnte man bestimmt gut einen Kaffee trinken. Das ist vor allem deshalb schön für uns, weil man am Anfang ja gar nicht weiß, wer zu den Konzerten kommen wird und wie die Leute drauf sind, bevor man die ersten Konzerte spielt.

Valeska: Sogar wenn wir auf der Straße angesprochen werden, ist das in der Regel sehr angenehm. Das ist nie ein dummer Spruch, sondern die Leute erzählen uns eher, was ihnen die Musik bedeutet. Das ist wunderbar.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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