Interview mit Empire Escape

Empire Escape Leipzig Interview
Den Blick für die Welt öffnen Empire Escape auf ihrem zweiten Alnum. Foto: Toni Propeller

Maximale Einigkeit herrscht bei Empire Escape, als ich sie vor ihrem Auftritt in Leipzig zum Interview treffe. Alle vier Mitglieder der Band aus Berlin haben sich Zeit genommen, alle wirken sehr im Reinen mit sich und dem Zustand ihrer Band am zweiten Abend der aktuellen Tour, alle vier trinken Beck’s, alle vier haben Limettenpasta zum Abendessen bestellt. Hendrik (Gesang und Gitarre), Michael (Schlagzeug), Ihno (Gitarre) und Martin (Bass) erweisen sich als höchst angenehme Gesprächspartner. Und sie verschleiern sehr geschickt, dass sie alle ziemlich heftig erkältet sind, wie Hendrik dann später beim Konzert in der Nato erzählen wird. Bevor ihre Limettenpasta komplett kalt wird, reden wir über Kunst und Kommerz, die Kapitalisierung von Liebe und den Abschied des früheren Gitarristen.

Ich lese gerade ein Buch namens Sound Of The Cities. Es geht darum, wie bestimmte Städte bestimmte Szenen, Genres und musikalische Markenzeichen hervorbringen. Ihr habt euer zweites Album You Are Not Alone in Hamburg aufgenommen. Wie hat diese Stadt den euren Sound geprägt?

Hendrik: Eher als die Stadt, in der wir aufgenommen haben, hat sich da wahrscheinlich der Produzent bemerkbar gemacht, mit dem wir aufgenommen haben. Mit Torsten Otto hatten wir schon mit einer alten Band mal was gemacht und wussten noch: Das ist ein super Typ. Und er sitzt nun mal in Hamburg.

Michael: Torsten ist vom Typ her aber ein wenig so, wie man sich einen Hamburger vorstellt: ein bisschen stoisch, sehr ruhig, sehr besonnen.

Das Kapitel über Hamburg in Sound Of The Cities nennt zwei Charakteristika für die musikalischen Besonderheiten der Stadt. Erstens: Die Texte müssen gut sein, wenn man es in Hamburg zu etwas bringen will. Seid ihr zufrieden mit den Texten von You Are Not Alone? Habt ihr euch in dieser Hinsicht weiterentwickelt?


Hendrik: Man muss da natürlich darauf hinweisen, dass beim ersten Album unser früherer Gitarrist Julius einen großen Einfluss hatte, insbesondere auf die Texte. Auch auf der neuen Platte sind noch ein paar Texte von ihm. Ein paar sind von uns, zwei Texte sind von einer jungen Dame, die das auch herausragend gut kann – meiner Meinung nach sind ihre beiden Texte sogar die schönsten auf dem Album.

Sind bei euch normalerweise die Texte zuerst da, bevor die Musik entsteht?

Hendrik: Nicht unbedingt. Meistens hat einer eine Idee und entwirft daraus eine Art von Song. Da muss man nicht unbedingt vorher eine klare Vorstellung vom Text haben. Ich selber mache es oft so wie Grönemeyer und singe erstmal Melodien mit irgendwelchen Fantasielauten wie Hmmrpssuu. Ich schaue, was phonetisch passt. Dann geht es darum, welches Thema mich gerade berührt und bewegt, und daraus wird dann ein Text.

Das zweite Hamburg-Charakteristikum ist angeblich die Fähigkeit, Kunst und Kommerz zu vereinen. Wenn ihr euch entscheiden müsstet: Höchste Kritiker-Weihen nach eurem Tod oder 10 Millionen verkaufte Platten innerhalb der nächsten drei Jahre – was würdet ihr wählen?

Hendrik: Seien wir ehrlich: Wir wollen natürlich beides (lacht).

Ihno: Das muss sich ja nicht gegenseitig ausschließen.

Hendrik: Stimmt: Das Feuilleton springt einerseits ja meistens erst auf einen Zug auf, wenn der Erfolg schon da ist, das ist eine selbst erfüllende Prophezeiung, finde ich. Und andererseits muss Erfolg ja auch nicht automatisch bedeuten, dass die Musik schlecht ist.

Ist das für euch ein Thema diese beiden Bereiche auszutarieren? Oder seht ihr das sogar als Problem?

Michael: Ich glaube, dass Torsten Otto auch da eine wichtige Rolle gespielt hat. Er hat mit vielen großen Namen gearbeitet, und dabei auch sehr erfolgreich gearbeitet. Er hat also einerseits einen Zugang zu dem, was funktioniert, andererseits auch ein gutes Händchen dafür, einen Sound nicht zu glatt werden zu lassen, sondern noch eine Kante reinzubringen. Er hat bei unserer Arbeit im Studio in beide Richtungen eingegriffen: manchmal in Richtung Mainstream, manchmal auch wieder zurück.

Hendrik: Einige Male hat er gesagt: Das ist aber ein komischer Song, den ihr mir da anbringt! Das müssen wir irgendwie noch anders machen.

Streitet ihr dann über solche Vorschläge? Oder lasst ihr euch leicht überzeugen?

Martin: Nein, Torsten ist auch nicht der Typ zum Streiten.

Michael: Dafür geht man ja auch ins Studio, um dort auf einen Produzenten zu treffen, der einen neuen Blickwinkel einbringt. Dass er einen anderen Weg weist und sagt: Glaubt mir, in einem Jahr werdet ihr verstehen, was ich meine! Wir haben ihm geglaubt, und ich glaube, er hat Recht gehabt.

Ihno: Das Jahr ist noch nicht um! (alle lachen)

Was würdet ihr insgesamt als größten Unterschied zwischen You Are Not Alone und Colours bezeichnen?

Hendrik: Der größte Unterschied ist wahrscheinlich, dass Colours ein ganz klares Motiv hatte: Liebe, Emotion. You Are Not Alone hat ein anderes Leitmotiv. Wir beschäftigen uns darauf weniger mit uns selbst, sondern mehr mit Dingen, die in der Welt passieren.

In den ersten Rezensionen war fast immer davon zu lesen, das neue Album sei zugänglicher, nicht ganz so melancholisch wie Colours. Hattet ihr das angestrebt? Nehmt ihr das überhaupt auch so wahr?

Michael: Ich glaube, die Wahl des Produzenten hat da schon die Weichen gestellt. Und die Entscheidung, mit Torsten das neue Album aufzunehmen, war eine sehr bewusste. Wir kannten ihn und wussten, was er einbringen kann. Wir wollten diesen Input haben und nicht etwas, was uns als Band vielleicht sogar näher gelegen hätte. Wir haben zum Beispiel früher fast immer sehr analog und live aufgenommen, diesmal haben wir das mit Torsten bewusst anders gemacht.

Ein wichtiger Unterschied ist natürlich auch der Abschied von Julius Rothlaender, mit dem ihr jahrelang erst bei Ikaria und dann bei Empire Escape gespielt habt. Wenn so ein enger Wegbegleiter nicht mehr dabei ist, wie fühlt sich das an? Als müsse man das erste eigene Auto verschrotten? Wie Liebeskummer? Als wäre ein Familienmitglied gestorben?

Hendrik: Wir waren sehr lange gemeinsam unterwegs, alleine für Colours haben wir 60 Konzerte gespielt. Da wächst man sich ans Herz, natürlich ist das doof, wenn dann einer weg ist. Aber wir sind nicht im Bösen auseinander gegangen. Es gab keinen großen Konflikt in der Band, es war einfach seine persönliche Entscheidung.

Und wie fühlt sich das an?

Hendrik: Es ist sehr ambivalent. Manchmal hätte ich sagen können: Er war wie mein Bruder für mich. Manchmal auch ganz anders.

Michael: Wie eine Schwester. (alle lachen)

Hendrik: Er ist auf jeden Fall einer der liebsten Menschen, die ich kennenlernen durfte.

Bei allen Unterschieden meine ich auch eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Platten erkannt zu haben: Trost. Das scheint mir ein wichtiges Element in euren Songs zu sein. Trost ist vielleicht auch die Methode, die Euphorie und Melancholie verbindet. Könnt ihr mit dieser Interpretation etwas anzufangen?

Hendrik: Ich finde den Gedanken interessant. Habe ich so noch nicht gehört, und da könnte schon etwas dran sein. Ich muss da an einen Satz von Dirk von Lowtzow denken. Er hat neulich in einem Interview von der Kapitalisierung der Liebe gesprochen, also der Idee, dass alle immer auf der Suche nach dem noch Besseren sind, dem noch perfekteren Partner. Aber Liebe ist etwas Absolutes. Entweder ich liebe, oder ich liebe nicht. Das finde ich sehr treffend. Zum Beispiel haben wir den Albumtitel sehr bewusst gewählt. You Are Not Alone. Das ist ein Bekenntnis zu jemandem, wem auch immer, und das ist uns sehr wichtig. Da steckt natürlich Trost drin.

Die weiteren Konzertdaten von Empire Escape:

16.10.2015 – Musik & Frieden – Berlin

17.10.2015 – Molotow Karate Keller – Hamburg

20.10.2015 – Schon Schön – Main

21.10.2015 – Gotthard Bar – Zürich

22.10.2015 – Museumskeller – Erfurt

23.10.2015 – Tsunami Club – Köln

29.10.2015 – Glockenbachwerkstatt – München

30.10.2015 – Bebel – Cottbus

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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