Kishi Bashi – “Omoiyari”

Künstler Kishi Bashi

Kishi Bashi Omoiyari Review Kritik
Unterdrückung und Ausgrenzung thematisiert Kishi Bashi auf “Omoiyari”.
Album Omoiyari
Label Joyful Noise
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Room For Dream hieß im Jahr 2011 die erste EP von Kishi Bashi. Mittlerweile hat er mit 151a (2012), Lighght (2014) und Sonderlust (2016) drei Alben folgen lassen, aber seinen Sound könnte man noch immer mühelos als “Raum für Träume” bezeichnen. Auch das am Freitag erscheinende Omoiyari klingt schwelgerisch und niedlich. Ein Song wie der fragile Auftakt Penny Rabbit And Summer Bear lässt an die akustische Entsprechung eines Kinderbuchs denken, in dessen viele hübsche Bilder man sich verlieben und aus dessen Lektüre man (durchaus auch als Erwachsener) zugleich etwas lernen kann. An der Oberfläche wirkt diese Platte keinen Moment lang kritisch oder gar wie ein empörter Versuch, aufzurütteln. Doch genau das ist sie, und das hat mit zwei US-Präsidenten zu tun.

Einer davon ist Donald Trump. “Ich war schockiert, als ich sah, dass die weiße Vorherrschaft in Amerika wieder ihre Zähne zeigt”, sagt der Künstler, der mit bürgerlichem Namen Kaoru Ishibashi heißt. “Meine Eltern sind Einwanderer, sie kamen nach dem Zweiten Weltkrieg aus Japan in die Vereinigten Staaten. Als Angehöriger einer Minderheit fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben in diesem Land sehr unsicher. Ich glaube, das war der eigentliche Auslöser für dieses Projekt.”

Der zweite ist Franklin Delano Roosevelt, nach dem die Single F Delano benannt ist. Er war von 1933 bis 1945 im Amt und damit genau in der Zeit, die für Kishi Bashi auf diesem Album im Fokus steht. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen hat er viel zu dieser Ära recherchiert, unter anderem zu den Anfeindungen gegen in den USA lebende Japaner nach den Angriffen auf Pearl Harbor. Ungefähr 120.000 von ihnen wurden damals interniert – ihr einziges Verbrechen war, dass sie Japanisch sprachen. „Das Lied ist von vielen widersprüchlichen Gefühlen inspiriert. Vor allem, weil FDR für viele Menschen aus der Generation der Great Depression ein Held war. Er fiel aber auch auf Vorurteile herein und verantwortete die Ausgrenzung der aus Japan stammenden Amerikaner.“ Der entsprechende Song hat viel Schwung durch den lebendigen Bass, ein Schlagzeug, das beinahe Marching-Band-Charakter hat, und auch den “Nanana”-Chor. Zugleich bleibt F Delano so verspielt, wie man das bei Kishi Bashi kennt.

Das zentrale Thema, das der Künstler im nächsten Jahr auch in Form eines über Crowdfunding finanzierten Films stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken will, ist auch in Summer Of ’42 klar erkennbar, das eine Liebesgeschichte aus einem der Internierungslager erzählt und von dramatischen Streichern eröffnet wird, die dann auch im weiteren Verlauf den gesamten Song prägen. In Marigold besingt Kishi Bashi schwierige Generationenkonflikte, zu einem Sound, der durch den Stimmeffekt wie eine reduzierte Indie-Kuschel-Version von Supertramp oder ELO klingt.

In vielen anderen Momenten des Albums kann man The Shins oder Belle & Sebastian als Bezugspunkte benennen, dazu passt auch der sehr konstruktive Ansatz von Omoiyari. Das Wort bedeutet so viel wie Rücksicht, Mitgefühl, Teilnahme und Einfühlsamkeit. “Ich habe mich immer zu Themen wie Empathie, Mitgefühl und Verständnis hingezogen gefühlt, um Angst und Intoleranz zu überwinden. Aber ich hatte Schwierigkeiten, einen englischen Titel dafür zu finden. Omoiyari ist ein japanisches Wort. Es lässt sich nicht unbedingt mit Empathie übersetzen, aber es bezieht sich auf die Idee, Mitgefühl für andere Menschen zu entwickeln, indem man über sie nachdenkt. Ich denke, die Idee von Omoiyari ist das Wichtigste, wenn wir versuchen wollen, Aggressionen und Konflikte zu überwinden”, sagt der Künstler.

Erstmals hat er hier mit anderen Musikern zusammengearbeitet, dazu gehören Mike Savino (aka Tall Tall Trees), der Banjo und Bass beisteuert, und Nick Ogawa (aka Takenobu) am Cello. Ersterer hat in Theme From Jerome (Forgotten World) eine besonders prominente Rolle, das Stück, das auch eine Strophe auf Japanisch enthält, ist düsterer in der Grundstimmung als der Rest des Albums, sowohl im Streicher-Intro als auch in der folgenden Klavierfigur. Letzterer glänzt unter anderem in Violin Tsunami. “Ein brasilianisch-japanischer Freund von mir ist Geigenbauer und schenkte mir eine wunderbare Geige zum Spielen. Er hatte sie Tsunami genannt und während der Atomkatastrophe in Fukushima an ihr gearbeitet”, erklärt Kishi Bashi. “Dieser Song handelt von dem Chaos, das die Natur anrichten kann, aber auch von der Heilung und dem Wiederaufbau, zu dem der menschliche Geist fähig ist.” Das Ergebnis (auch wieder mit einer japanischen Strophe) ist majestätisch, vor allem durch die Streicher, aber auch durch den Gesang, der hier noch ein bisschen eindringlicher wird als auf dem Rest der Platte.

“Wenn wir uns mit der Geschichte befassen, kommt sie uns manchmal weit weg und entfernt vor. Aber es gibt grundlegende Lektionen über Liebe, Mitgefühl und Angst, die wir aus der Internierung lernen und auf heutige Fragen zu Flüchtlingen, Einwanderung und Minderheiten anwenden können”, erläutert der in Seattle geborene Künstler den Ansatz für Omoiyari. “Es gibt so viele Tragödien und Grausamkeiten, die zu verschiedenen Zeiten in der Geschichte auf der ganzen Welt geschehen sind, und ich denke, es ist wirklich wichtig, das Mitgefühl zu haben, um das Leid zu verstehen, das die Menschen vor uns ertragen haben, damit sich die Vergangenheit nicht wiederholt. Es soll kein Projekt über Geschichte sein, aber über die Bedeutung von Geschichte und die Lehren, die wir aus ihr ziehen können.”

So finden sich natürlich auch Songs, die keinen historisch-politischen Bezug haben. A Song For You wird sehr überzeugend in der Schlichtheit seiner emotionalen Wirkung und seiner Folkrock-Ästhetik, das instrumentale A Meal For Leaves lässt an Filmmusik denken. Angeline entwickelt einen dezenten Drive und glänzt mit einem bezaubernden Schlussteil mit Flöte, Glockenspiel und himmlischen Harmoniegesang. Der Album-Abschluss Annie, Heart Thief Of The Sea entpuppt sich überraschenderweise als lupenreiner (und ziemlich ausgelassener) Countrysong. Vielleicht kann man die Aneignung dieses ur-amerikanischen Genres dann doch auch als programmatisch verstehen, denn Kishi Bashi blickt natürlich auch nach vorne: “Teil des Projekts ist es auch die Aussage, dass man als Minderheit in diesem Land möglicherweise noch viel erreichen kann. Ich glaube, dass ein Paradigmenwechsel bevorsteht, besonders für Minderheiten und diejenigen, die sich unterdrückt fühlen. Amerika verändert sich.”

Violin Tsunami zeigt mit einem Animationsvideo das zentrale Thema des Albums.

Website von Kishi Bashi.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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