Mind Over Mirrors – “Bellowing Sun”

Künstler Mind Over Mirrors

Bellowing Sun Mind Over Mirrors Kritik Rezension
Drei Jahre lang haben Mind Over Mirros an “Bellowing Sun” gearbeitet.
Album Bellowing Sun
Label Paradise Of Bachelors
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

Man könnte es sich einfach machen. Hinter Mind Over Mirrors steckt Jaime Fennelly aus Chicago. Er hat drei Jahre lang an Bellowing Sun gearbeitet und die Musik darauf klingt wie Acrophasing: Nicht so sehr nach einem Song, sondern eher nach einem Geräusch, vielleicht aus dem Mutterleib oder einer Raumstation. Manchmal setzt er auf ein einziges Wabern und Dräuen (Talking Knots), holt eine Dauerschleife aus dem Nirwana hervor (A Palinopsic Wind) oder lässt zwei Chöre aufeinandertreffen, die nicht ganz synchron sind (Halfway To The Zenith).

Diese Betrachtungsweise wäre aber ein bisschen schlicht, denn wir haben es bei Mind Over Mirrors, die sich irgendwann zwischen 2007-2010 nach diversen Vorgängerprojekten von Fennelly formiert haben, mit Kunst zu tun. Seine Weltpremiere hatte das 73-minütige Bellowing Sun im Museum of Contemporary Art in Chicago. Schon seit 2001 arbeitet Fennelly mit Choreograph und Tänzer Miguel Gutierrez zusammen. Und auch für sein neustes Werk hat er ein ganz besonderes, sehr ausgefeiltes Konzept.

Die Kernidee der Platte ist schon auf dem Cover zu sehen: Ein eigens für dieses Projekt konstruierter Zylinder, der von innen beleuchtet ist und eine riesige Trommel darstellt. Bei den Konzerten von Mind Over Mirrors hängt er mitten im Raum und beleuchtet die Wände mit ständig neuen Mustern und Farben – so soll auch die Musik klingen: Basierend auf vorgegebenen Mustern entstehen durch Verschiebung und Kombination ständig neue Ergebnisse, beseelt von einem inneren Licht. So finden Elemente aus irischem Folk (Oculate Beings) ebenso ihrem Platz wie arabisch klingende Passagen (Vermillion Pink) und etliche andere Genres quer durch alle Zeitalter und Weltregionen.

Das Harmonium, das Fenelly meist spielt, ist dafür ein ideales Instrument, dazu kommen viele Instrumente aus der Frühzeit der elektronischen Musik. Zur Besetzung gehören Janet Beveridge Bean (Freakwater, Eleventh Dream Day), die vor allem den Gesang beisteuert und in Twenty-one Falls ihren größten Auftritt hat, Jim Becker (Iron And Wine) an der Geige und Jon Mueller (Death Blues, Volcano Choir) als Schlagzeuger. Aufgenommen wurde Bellowing Sun mit John McEntire von Tortoise.

Wie das Ergebnis klingt, demonstrieren die ersten beiden Stücke vielleicht am besten: Feeding On The Flats bietet als Auftakt von Bellowing Sun gleich mehrere Synthesizer, die sich ein Wettrennen zu liefern scheinen, und mündet dann nahtlos in Matchstick Grip. Da scheinen die Instrumente zunächst ganz schön aus der Puste zu sein und werden vom Gesang eher zum Durchschnaufen ermutigt als zur Fortsetzung des Rennens; lediglich die scheinbar improvisierten, aber sehr energischen Percussions scheinen darauf zu bestehen, dass noch ein Sieger ermittelt wird.

Auch in Zeitgebers wollen ein paar Elemente ungeduldig voranpreschen, während ein paar andere unentschlossen im Chaos verbleiben. Lanterns On The Beach klingt, nunja, wie Laternen am Strand, allerdings an einem, der kurz zuvor eine Ölpest über sich ergehen lassen musste und nun als einzige Attraktion noch den alten Mann mit der kaputten Drehorgel im Hintergrund zu bieten hat, weshalb die Laternen auch vorsichtshalber nur mit halber Kraft strahlen. Pausing To Wonder ist vielleicht das typischste Beispiel für den Sound von Mind Over Mirrors: Die Stimme von Janet Beveridge Bean dominiert und repräsentiert das Licht als Ursprung dieser Musik, aber auch der Hintergrund (als Entsprechung der Schatten, Farben und Muster, die das Licht entstehen lässt) ist höchst interessant.

Ausschnitte von der Weltpremiere in Chicago.

Mind Over Mirrors bei Bandcamp.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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