Mt. Desolation Through Crooked Aim Albumkritik

Mt. Desolation – “Through Crooked Aim”

Künstler*in Mt. Desolation

Mt. Desolation Through Crooked Aim Review Kritik
Mt. Desolation setzten für “Through Crooked Aim” auf viel Autonomie.
Album Through Crooked Aim
Label No Roads Records
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung Bandfoto oben: (C) Cargo Records

Mt. Desolation, im Kern bestehend aus Tim Rice-Oxley (Gründungsmitglied und Pianist von Keane) und Jesse Quin (seit 2008 als Bassist ebenfalls bei Keane), haben für dieses Nebenprojekt eine eigene Plattenfirma gegründet. Through Crooked Aim, ihr morgen erscheinendes drittes Album, haben sie selbst produziert und auch im eigenen Studio aufgenommen. Genauer gesagt im Old Jet, einem ehemaligen US-Luftwaffenstützpunkt mitten im ländlichen Suffolk, wo Quin ein kommunales Zentrum für Talente aus Musik, bildender Kunst, Poesie und Bildhauerei aufgebaut hat. Die Band hat während der Sessions für die Platte auch dort gewohnt und schwärmt: “Es war ziemlich intensiv und surreal – aufzuwachen und Hirschherden durch das Moor und den Nebel laufen zu sehen, während man von diesen Flugzeughangars umgeben ist. (…) Man kann nicht umhin, etwas von dieser Magie in die Aufnahmen einfließen zu lassen.”

Man kann diese Rahmenbedingungen vielleicht als Streben nach maximaler Autonomie interpretieren. Meint man es nicht so gut mit diesen Musikern (wie Pitchfork, das vor knapp 20 Jahren über Keane geschrieben hat, sie klängen “erbärmlich und kalkuliert rührselig” und “als wären sie die letzte in einer langen Reihe britischer Bands, die es leid sind, Radiohead zu imitieren und jetzt einfach den viel besser nachahmbaren Sound von Coldplay anstreben”), kann man vielleicht auch vermuten, es liege am mangelnden Interesse. Hatten Mt. Desolation mit ihrem Debüt im Jahr 2010 immerhin noch die UK-Charts erreicht (Platz 140) und Gastbeiträge von Branchengrößen wie The Killers und Mumford & Sons zu bieten, wurde die Band schon beim Vorgänger When The Night Calls (2018) zu einer mehr oder weniger privaten Angelegenheit. Möglicherweise ist es also auch so: Es gibt kein Label mehr, das die Band unter Vertrag nehmen und einen Studioaufenthalt finanzieren möchte.

Für beide Interpretationen finden sich auf Through Crooked Aim durchaus Indizien. Der Titelsong eröffnet das Album betont zurückhaltend und langsam, so als müsse diese Band niemandem mehr etwas beweisen und schon gar nicht neue Hörer*innen mit kurzen Aufmerksamkeitsspannen für sich gewinnen. Der Song gewinnt dann Größe unter anderem durch den Chor und die Bläser, nicht zuletzt durch den Text, der rund um die Zeile “Lord it ain’t easy” den Blick auf Grundsätzliches richtet. Roadside Bar ist bloß in Schönklang gegossene Banalität, Industry verwechselt Schwermut mit Langeweile, All Well I Trust bietet außer dem gekonnten Gitarrenpicking fast nichts. If You Knew bezeichnet Quin als den besten Song, den Rice-Oxley jemals geschrieben hat, und als ein Paradebeispiel dafür, “wie man etwas Geniales, Kurzes, Einfaches und doch so, so Gutes erschaffen kann”. Das Ergebnis klingt nach Travis mit Americana-Vorliebe, aber eher solide als erhaben.

Dream Within A Dream wird mit seinem erzählerischen Ansatz atmosphärisch gelungen (unter anderem durch eine zweite Gesangsstimme und Streicher), verliert sich dann aber in genau die Selbstverliebtheit, die sich einstellen kann, wenn Musiker*innen die eigene Zusammenarbeit ein bisschen zu gerne haben und zu sehr auf eine Magie vertrauen, die sich dann eben doch nicht immer einstellt. “Die Chemie in dieser Gruppe und unsere Art, Ideen, Songs und Geschichten auszutauschen und zu versuchen, daraus eine zusammenhängende Platte zu machen, hat etwas seltsam Magisches”, sagt Rice-Oxley passenderweise. “Es geht nur um ein Gefühl oder eine Atmosphäre. Und die Band selbst ist wie eine fröhliche und unterstützende Freundschaft geworden, in die man ein Leben lang eintauchen und aus der man dann wieder aussteigen kann – wir alle schätzen sie sehr.” Wolf House könnte wieder so ein melancholischer Moment von Travis sein, aber es fehlt das Gloriose in der Melodie, in diesem Fall auch die letzte Überzeugungskraft im Gesang, stattdessen probieren es Mt. Desolation hier mit ein bisschen Sequenzer und einem sehr freigeistigen Gitarrensolo.

Es gibt allerdings auch Momente auf Through Crooked Aim, in denen man den Reiz dieser Band (nicht nur für die beteiligten Musiker*innen, sondern auch aus Publikumssicht) erkennen kann. Too Hard A Stone beginnt schwungvoll und mit viel Betonung auf dem Beat, entwickelt dann sogar Ausgelassenheit (unter anderem mit einem Saxofonsolo von Jake Clemons, Mitglied von Bruce Springsteens E-Street Band) und würde wunderbar etwa zu den Kooks passen. Auch There’s Not Much Love That You Can Say About Love ist ebenso schmissig wie angenehm und klingt dabei viel mehr nach Seattle oder South Dakota als nach Suffolk (schließlich hatten sich Mt. Desolation ja einst gegründet, um die Americana-Vorliebe auszuleben, für die es bei Keane wenig Platz gab). “Wir lieben Platten, bei denen die Identität einen Ort hat”, sagt Quin. “Ich kann das Bild nicht abschütteln, wie ich durch eine verschneite Straße in Amerika fahre, alles hat den Look eines körnigen Schwarz-Weiß-Heimvideos, und es kommt mir so vor, als landeten wir in einer Endlosschleife dieses Bildes, wenn wir den Geist von Mt. Desolation beschwören.”

Der Album-Abschluss Sunrise ist das Lied, in dem das am besten gelingt, es ist komplex, aber nicht überambitioniert, die auf dieser Platte so spürbare Musicianship steht der Wirkung nicht im Weg, sondern kann sich im Sinne des Songs entfalten, und dazu gibt es einen besonders schönen Moment, als der Gesang von Jess Staveley-Taylor einsetzt. “Sie ist seit dem ersten Album ein wichtiger Teil von Mt. Desolation und verleiht diesem Song mit ihrer Stimme eine ganz besondere Note. Ich bekomme jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich ihn höre”, schwärmt Tim Rice-Oxley. “Wir haben versucht, dieses Gefühl einzufangen, wenn man gerade versucht, ein wenig Luft zum Atmen im Leben zu finden – wenn es sich anfühlt, als würde man verzweifelt versuchen, den Kopf über den krachenden Wellen zu halten”, sagt er über Sunrise. “Ich hatte dieses Bild im Kopf, das ein paar ferne Hügel und eine tief stehende Wintersonne zeigt, die gerade hinter ihnen aufgeht und eine Art himmlisches Streulicht erzeugt. Diese Momente des Friedens können die Welt zu einem Ort machen, an dem man viel besser überleben kann, wenn man sich überfordert fühlt. Das ist der Geist des Liedes.”

Eine Liverversion von Too Hard A Stone aus dem Old Jet, allerdings ohne Hirsche.

Website von Mt. Desolation.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.