Noah Levi – “Jung & Naiv”

Künstler Noah Levi

Noah Levi Jung & Naiv Review Kritik
Nicht “Jung & Naiv”, sondern vergleichsweise erwachsen kommt Noah Levi daher.
EP Jung & Naiv
Label Jive
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Ein Frühstarter wäre Noah Levi mit dieser morgen erscheinenden EP auch noch, wenn Jung & Naiv tatsächlich sein erstes musikalisches Lebenszeichen wäre. Doch im Alter von 18 Jahren bringt der Wahlberliner tatsächlich schon so etwas wie eine beachtliche Vorgeschichte mit: Als 13-Jähriger war er bei der dritten Staffel von The Voice Kids gestartet, die er auch gewann, im April 2015 hat er seinen ersten Song veröffentlicht, all das hat ihm stattliche 250.000 Follower auf Instagram eingebracht.

Man darf also davon ausgehen, dass der Titel Jung & Naiv (die Plattenfirma nennt die Sammlung von sieben Liedern lieber „Tape“ als EP) mit ein wenig Ironie verbunden ist, denn viel erfahrener als er kann man als 18-Jähriger im Musikgeschäft kaum sein. Zugleich ist diese Aussage offensichtlich auch Ausdruck dafür, dass Noah Levi sehr wohl bewusst ist, wie viel er noch nicht erlebt hat und was er alles noch nicht wissen kann. Dass diese Lieder halbwegs reflektiert sind und sich in ihren Themen oder ihrer Gefühlswelt auch nicht auf Schwarz-Weiß einlassen, ist eine ihrer Stärken. „So wie Musik gibt, nimmt sie auch. Sie kann einsam machen. Dazu führen, dass man sich fremd fühlt. Alles hat eine Kehrseite. Musik hat mir aber auch beigebracht, mich selbst zu lieben“, sagt Noah Levi passend dazu.

Der letzte Satz bezieht sich auf den Moment, als er als 10-Jähriger anfing, Gitarre zu lernen. Der Gitarrenunterricht vermittelt ihm erstmals das Gefühl, sein eigener Herr zu sein – nachdem er vorher nirgends richtig hineinpassen wollte, auch nicht in der Schule. „Ich konnte auf einmal mein Innerstes ausdrücken und mich voll auf eine Sache einlassen. Anfangs habe ich mich an anderen Musikern orientiert, bis ich meinen eigenen Stil gefunden und bewusst ausgebaut habe. Später habe ich lange Straßenmusik gemacht, und die Erfahrungen und das echte Feedback haben mich dazu gebracht, Musik als meinen Beruf zu verstehen“, erklärt er.

Dass er (zu Zeiten von The Voice Kids) Ed Sheeran als eines dieser Vorbilder nannte, leuchtet angesichts der sieben hier zu findenden Lieder schnell ein, ebenso die Tatsache, dass er lose mit dem Cro-Label Chimperator verknüpft ist. Down erweist sich zum Auftakt von Jung & Naiv als Gesamtschau seiner Einflüsse: Es gibt einen mediterranen Beginn, im Refrain dann plötzlich Clubsound, später treffen eine akustische Gitarre und Besenschlagzeug auf Handclaps und Monster-Bass. Bei so einem bunten Mix ist es wohl angebracht, dass Noah Levi im Text sicherheitshalber seine Autonomie betont.

So nice ist das einzige Stück, dem man Anbiederung bei der eigenen Generation vorwerfen könnte. „Bitte stör‘ mich nicht in meinem Film“, lautet eine der Zeilen, in der viele Kritiker vielleicht das Credo der angeblich so schluffigen Millennials erkennen mögen, zu einem natürlich sehr entspannten Sound und einem Text, der die Loyalität zu den Kumpels und Homies betont. Der Titelsong Jung & Naiv ist das Gegenstück dazu. „Wir streben alle nach der Perfektion / auf der Suche nach Bestätigung / (…) Was uns fehlt ist Selbstreflexion“, wirft Noah Levi sich und seinen Altersgenossen darin vor. Das ist zwar weit entfernt von einer tiefgehenden Analyse der Generation Y, artikuliert aber immerhin die Ahnung, dass etwas nicht stimmt mit dem eigenen Ethos und Verhalten.

Sonne oder Regen wird ebenfalls geprägt von einem Gefühl der Zufriedenheit, die aber keine Selbstgefälligkeit wird. Nicht nur der Chor klingt darin fast nach Gospel, und dieser Sound und diese Attitüde stehen Noah Levi ziemlich gut. Dass diesem Teenager der frühe Erfolg nicht zu Kopf gestiegen ist, zeigen auch Aussagen wie diese: „Manche denken, ich hätte alles im Griff – und klar, keiner zeigt gerne Schwäche, besonders in Zeiten von Social Media. Aber mir geht’s wie allen, ich erlebe es jeden Tag selbst – ich schaue auf niemanden herab.“

Vergleichsweise erwachsen klingt auch der Ansatz des Liebeslieds Tupac, weil er darin Beistand anbietet statt Bewunderung zu erflehen, allerdings mit einem Text, dessen Schlichtheit sehr nahe an Schlager ist, auch wenn der Sound deutlich cooler wird. Auch Drei Straßen wird, umgesetzt mit E-Gitarre und Vocoder-Stimme, so wirkungsvoll, weil er kein Problem damit hat, die eigene emotionale Bedürftigkeit zu zeigen. Ganz am Ende von Jung & Naiv platziert Noah Levi einen weiteren Track, den man als Liebeslied begreifen könnte, das Objekt wird dabei schon im Titel benannt und ist wohl tatsächlich das, was ihm im Leben bisher am meisten Glück beschert hat: Musik.

Das Video zu Down würde auch Cro gefallen – und allen, die weiß mögen.

Homepage von Noah Levi.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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