Oasis – “Supersonic”

Künstler Oasis

Oasis Supersonic Review Kritik
“Supersonic” zeichnet die Geschichte von Oasis bis 1996 nach.
DVD Supersonic
Produktionsfirma Ascot Home Elite
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

Rund 18 Jahre lang existierten Oasis, nur etwa 14 Prozent dieser Zeitspanne deckt Supersonic ab, die erste offizielle Film-Dokumentation über die Band aus Manchester. Dennoch gelingt es Regisseur Mat Whitecross, die Essenz von Oasis einzufangen. In knapp zwei Stunden präsentiert er nicht nur die Musik, die noch heute geschätzt und gefeiert wird, sondern zeichnet auch nach, wie Noel Gallagher, Liam Gallagher, Paul “Bonehead” Arthurs, Paul “Guigsy” McGuigan und Tony McCarroll zu einem Phänomen werden konnten, das die Musikwelt verändert und insbesondere in Großbritannien eine ganze Generation geprägt hat.

Der Film beginnt mt Szenen aus Knebworth im Sommer 1996, wo Oasis an zwei aufeinander folgenden Abenden die beiden größten Konzerte spielten, die je in Großbritannien stattgefunden haben. Insgesamt 250.000 Zuschauer waren damals dabei – und das war nur ein Bruchteil all derer, die diesen Moment live erleben wollten. Insgesamt hätte die Band 2,6 Millionen Tickets verkaufen können. Dieses riesige Interesse generierten Oasis nur zweieinhalb Jahre, nachdem sie ihren ersten Plattenvertrag unterschrieben hatten. Im Bonusmaterial der DVD sind O-Töne aus den Interviews für diese Dokumentation zu hören, unter anderem erzählen die Bandmitglieder darin, wie sie noch im April 1994 in Leeds ein Konzert in einem komplett leeren Saal gespielt haben. Im Zentrum des Films steht die Frage: Wie konnten fünf Taugenichtse aus schwierigen Verhältnissen in so kurzer Zeit einen solchen Status erreichen?

Bezeichnenderweise heißt die Antwort nicht: mit herausragender Musik. Die Performance von Columbia in Knebworth, die in den ersten Minuten des Films zu sehen ist, kann man allenfalls als mittelprächtig bezeichnen. Anhand dieses Ausschnitts aus dem musikalischen Output von Oasis wird es Nachgeborenen jedenfalls sichtlich schwer fallen, die Begeisterung nachzuvollziehen, die diese Band ausgelöst hat. Genau damit gibt Supersonic aber bereits zwei sehr wichtige Hinweise für den weiteren Verlauf des Films. Erstens: Oasis waren in dieser Zeit unberechenbar, sie standen für Exzess, Chaos, Spaß – und dazu zählte auch, dass sie scheiße klingen konnten (wie auch beim von Crystal Meth ruinierten Auftritt in Los Angeles, der hier ebenfalls dokumentiert ist). “Oasis was definitely like a fucking Ferrari. Great to look at, great to drive – and it fucking spinned out of control every now and then when you went too fast”, bringt Liam Gallagher das zu Beginn des Films auf den Punkt. Zweitens: Zur Erfolgsgeschichte von Oasis gehören auch der Hype, der Kontext, das Image, die Historie. Die Nachwehen von Grunge und die konfektionierte Popmusik der frühen 1990er Jahre, das neue Selbstbewusstsein von Cool Britannia, die Macht der Boulevardpresse – all das waren notwendige Bedingungen, um diese Geschichte möglich zu machen, genauso wie die umwerfenden Songs, die dann später in diesem Film natürlich auch noch zur Genüge zu entdecken sind.

Für die Dokumentation führten die Macher umfangreiche Interviews mit den Bandmitgliedern, Noel und Liam werden sogar als Executive Producers geführt. Zudem wurde sehr fleißig in den Archiven gekramt. Der Zuschauer erlebt Oasis in Studios, Backstage, bei Interviews, Konzerten und im Proberaum, teilweise ist dabei auch bisher unveröffentlichtes Material zu sehen. Drei Besonderheiten gibt es hinsichtlich der Form: Erstens sind die Aussagen durchweg nur als Voice Over zu hören, manchmal zu Filmmaterial, manchmal zu Fotos, auch zu Animationen, die sehr gut die vor allem von Brian Cannon geprägte Ästhetik aus der Blütezeit von Oasis aufgreifen. Zweitens sind nur Insider zu hören, also die Mitglieder der Band und ihrer Entourage, aber – anders als in anderen Oasis-Dokumentationen – keine Journalisten, Rock-Historiker oder sonstige Experten. Das bedeutet auch: Es gibt in Supersonic keine Meta-Ebene und schon gar keine Kritik an der Band. Drittens endet die erzählte Zeit mit den Shows in Knebworth, deren 20. Jubiläum zugleich Anlass für die Veröffentlichung des Films ist. Alles, was danach kam, findet nicht statt.

Gerade diese Konzentration auf die Phase des Aufstiegs der Band ist eine extrem gute Entscheidung, nicht nur für Fans der ersten Stunde, die in den folgenden Jahren nicht nur Umbesetzungen, sondern auch ein paar weniger legendäre Alben ertragen mussten, sondern auch für alle, die in der Rückschau verstehen wollen, was den Reiz von Oasis ausmachte. Supersonic ist zum einen eine Heldenreise, eine klassische Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte, zum anderen aber auch ein Porträt der ebenso fragilen wie einzigartigen Banddynamik, die in den Jahren nach 1996 nie mehr so intakt war wie hier.

Im Zentrum steht natürlich die Hassliebe der beiden Brüder Noel Gallagher, der die Songs schrieb, und Liam Gallagher, der die Stimme von Oasis war. Insbesondere die Aussagen ihrer Mutter Peggy in Supersonic sind in dieser Hinsicht sehr erhellend. Ihre recht einleuchtende These für diese mehr als turbulente Beziehung lautet: Noel war eifersüchtig auf Liam, weil der ihm die Rolle als Nesthäkchen in der Familie genommen hat. Umgekehrt kämpfte der fünf Jahre jüngere Liam immer um die Aufmerksamkeit und Anerkennung des größeren Bruders. Bei allen Frotzeleien, Beleidigungen und handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen ihnen (sie zanken sich hier schon 1991 im Proberaum, 2009 führte der Dauerstreit schließlich zum Ende der Band), die auch hier bestens belegt sind, macht der Film trotzdem auch klar: Der Nährboden für diese intensiven Konflikte ist eine große Nähe. In etlichen Szenen lässt Supersonic erkennen, wie groß die Zuneigung zwischen diesen beiden Brüdern und wie einzigartig der Humor war, der diese Band zusammenhielt – aus heutiger Sicht fast rührend.

Auch darüber hinaus liefert die Dokumentation einige neue Einblicke in das Innenleben von Oasis. Es gibt Amateuraufnahmen aus der Zeit, als die Band noch The Rain hieß und Noel Gallagher noch nicht dabei war (als er sich der Gruppe anschließen wollte, bot ihm Liam zuerst den Posten als Manager an, erfährt man). Auch Bilder des legendären Gigs in Glasgow, als Alan McGee sie sah und ihnen einen Plattenvertrag anbot, konnten die Macher auftreiben. Liam erzählt überraschenderweise, dass er sich überhaupt nicht für Musik interessierte, bis er 16 war. Die Bedeutung von Wegbegleitern wie Marc Coyle wird gewürdigt. Bezeichnend ist auch, wie freimütig sich die Beteiligten im Rückblick über das Geschehen äußern. So sagt Noel Gallagher über den Rauswurf von Schlagzeuger Tony McCarroll, der einen schlagzeilenträchtigen Gerichtsprozess nach sich zog: “Es war so, wie wenn ein Rudel wilder Hunde einen Welpen ausstößt.” Nicht zuletzt gibt es reichlich Anekdoten wie die von der zerstörten Stereoanlage im gemeinsamen Kinderzimmer von Noel und Liam, die Letzterer noch heute als Stein des Anstoßes für ihre gegenseitige Hassliebe sieht.

Rivalität wird in Supersonic sehr klar als Grundprinzip bei Oasis erkennbar, nicht nur zwischen den Brüdern, sondern als gesamter Blick der Band auf die Welt (auch wenn etwa der Krieg mit Blur hier mit keinem Wort erwähnt wird). Aus dem Bestreben, sich als Bester zu erweisen und die anderen als Deppen dastehen zu lassen, erwächst der Ehrgeiz der Gallaghers. Er ist zugleich erprobt in den raueren Ecken von Manchester und angetrieben vom Bewusstsein, dass die Heimatstadt ihnen wenig Chancen zu bieten hat. Der Film zeigt noch einmal sehr eindrucksvoll, wie unwahrscheinlich dieses Ausmaß an Erfolg für diese Typen war, und wie sehr sie diesen Erfolg aus ihrer eigenen Überzeugung heraus möglich gemacht haben, aus dem Glauben an sich selbst. “Ich hatte immer das Gefühl, der Durchbruch würde kommen. Ich weiß nicht, was sonst aus uns geworden wäre. Es war einfach so: Wenn es nicht passieren würde, wäre die ganze Welt schwarz”, sagt Liam Gallagher an einer Stelle.

Auch das gehört natürlich zum Appeal von Oasis. “In my mind, my dreams are real / tonight I’m a Rock’N’Roll star” – diese Idee übertrugen sie auf ihr Publikum. Die Botschaft, dass man alles erreichen kann, unter widrigsten Umständen, wenn man nur fest genug daran glaubt, ist herrlich romantisch und natürlich hoch attraktiv in einer Zeit, in der Britannies Jugend einen Weg aus der eigenen Perspektivlosigkeit suchte. Bezeichnenderweise spiegelt sich die Bedeutung des Publikums, die ganz am Ende des Films noch einmal herausgestellt wird, auch in der Entstehung von Supersonic, wie Regisseur Mat Whitecross im Interview im Bonusmaterial erzählt: Die Fans haben mit ihren eigenen Archiven umfangreich zum Material beigetragen, aus dem er geschöpft hat.

Dass der Filmemacher selbst ebenfalls glühender Bewunderer von Oasis ist, merkt man dem Werk an, zugleich fällt diese Voreingenommenheit wenig ins Gewicht, weil es im Zeitraum, der hier erzählt wird, ohnehin wenig Negatives gibt, was man auch als noch so hartnäckiger Kritiker der Band hätte in den Fokus stellen können. Mat Whitecross wollte, so sagt er in diesen Interviews, wieder ein bisschen mehr die Musik in den Vordergrund rücken und das Wesen dieser Band, nicht die Skandalgeschichten, die noch heute die meisten Briten im Kopf haben, wenn sie die Namen “Noel Gallagher” oder “Liam Gallagher” hören. Das gelingt ausgezeichnet, ebenso wie ein Rückblick auf eine der wichtigsten Phasen und die aufregendste Band der jüngeren Musikgeschichte. Nicht zuletzt hat er mit seinem Film vielleicht dazu beigetragen, ein paar Wunden verheilen zu lassen. Insbesondere für Liam Gallagher hätte sich der Rückblick auf den Aufstieg der Band während der Interviews, die er mit ihm geführt hat, “vielleicht wie eine Therapie angefühlt”, sagt Whitecross. Man glaubt das (und kann eine Träne verdrücken) bei Aussagen des Sängers wie dieser: “Ich wollte alles, verdammt, hier und jetzt, verstehst du? Ich wollte, dass alles in einer riesigen Explosion der Verrücktheit passiert. Ich habe jede Minute davon geliebt. Es bedeutete einfach alles für mich.”

Der Trailer zum Film.

Website von Oasis.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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