Róisín Murphy – “Róisín Machine”

Künstler Róisín Murphy

Roisin Machine Róisín Murphy Review Kritik
Rund zehn Jahre umfasst die Spanne der Songs, die auf “Roisin Machine” enthalten sind.
Album Róisín Machine
Label Skint
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Es ist ein Statement des ultimativen Selbstbewusstseins. Mit dem Albumtitel Róisín Machine macht die 47-jährige Sängerin ihre Kraft und Unaufhaltsamkeit überdeutlich. „Alles, was ich tue, kommt aus dem Bauch heraus. Und dabei bin ich immer aktiv, sei es als Musikerin, Regisseurin oder in anderen kreativen Bereichen. Das Album heißt Róisín Machine, weil ich wirklich eine Maschine bin. Ich stehe niemals still.“ Das hat neben den vier Platten mit Moloko und den erwähnten Tätigkeiten abseits der Musik nun ihr mittlerweile fünftes Soloalbum zur Folge.

Der Titel steht aber auch für eine bestimmte Herangehens- und Arbeitweise, die auch hier wieder offensichtlich wird. Über einen Zeitraum von zehn Jahren sind diese Songs gemeinsam mit ihrem treuen Kompagnon DJ Parrot (alias Crooked Man) entstanden. „Bei allem, was ich mache, bemerke ich den Einfluss des ‚Club Kid‘ in mir. Das gilt für die Musik und mein komisches Tanzen, und wahrscheinlich unterscheidet mich das von den ‚echten’ Popstars“, sagt die Künstlerin, die mittlerweile zwischen London und ihrer irischen Heimat pendelt. Der Wille zu Inszenierung und Verkleidung gehört dazu, auch die Vorstellung von der Tanzfläche als einer Welt mit eigenen Gesetzen und die Entschlossenheit zur Verführung. Kingdom Of Ends ist der treffende Beleg dafür: Die Stimmen sind verfremdet und verwoben, nur der Synthie-Bass sorgt für Struktur, dann baut der Track sogar so etwas wie Rave-Dramatik auf. Auch Narcissus kann man hier anführen, die zuerst besonders prominenten Streicher kämpfen darin mit dem Bass (und natürlich der Stimme) um die Vorherrschaft.

Mit DJ Parrot hat sie einen passenden Partner dafür gefunden. „Er sitzt da, schließt die Augen und kann sich in diesen Momenten auf genau das Entscheidende konzentrieren“, beschreibt Róisín Murphy die Zusammenarbeit. „Es ist erstaunlich, wie er perfekte Clubsounds erschaffen kann, wenn man bedenkt, dass er selbst seit mehr als 20 Jahren in keinem Club mehr gewesen ist. Aber die Stücke werden so mitreißend, weil er das alles in- und auswendig kennt. Er schließt einfach seine Augen und sieht alles vor sich.“ Man hört das in einem Track wie We Got Together, der plakativ beispielsweise im Sinne von Frankie Goes To Hollywood wird, oder Incapable, das in keiner Weise zu verbergen versucht, wie es funktioniert, und gerade durch diese Transparenz dann auch zündet.

Das erste Stück, das für die neue Platte entstand, eröffnet nun auch das Album. „I feel my story’s still untold“, heißt die erste Zeile in Simulation. Begleitet von Streichern nähern sich dann ganz vorsichtig Bass und Beat an. Auf betörende Weise wird die Kraft der Wiederholung ebenso genutzt wie der einmalige Reiz dieser Stimme. „Ich liebe dieses Stück. Es gehört zum Besten, was ich je gemacht habe“, sagt Róisín Murphy. Als Simulation 2012 als Single veröffentlicht wurde, „war aber leider niemand sonst dieser Meinung“, erinnert sich DJ Parrot. Dass die damals gefloppte Single nun mit Jealousy (2015 ebenfalls bereits als Single veröffentlicht) die Klammer für diese Platte bildet, ist kein Ausdruck von mangelnder Produktivität, sondern ebenfalls von Selbstvertrauen: Róisín Murphy glaubt weiter an die Stärke dieser Songs, aus gutem Grund. In Jealousy stehen die acht Buchstaben des Songtitels am Beginn, nicht als Wort, sondern als ein Schrei, der durch Mark und Bein geht. Danach wird diese Betrachtung über „the darker side of a beautiful feeling“ auf fast übermütige Weise funky, vor allem durch den quirligen Bass.

Dass iTunes diese zehn Lieder im Genre „Disco“ einordnet, ist ebenso schlüssig wie irreführend. Wie immer geht es bei dieser Künstlerin um viel mehr, als bloß das Futter für ein paar Minuten Glück auf der Tanzfläche zu liefern. Wie ambitioniert diese Platte ist, zeigt beispielsweise die Tatsache, dass sich Róisín Murphy für die ersten drei Tracks satte 21 Minuten Zeit nimmt. Something More (gemeinsam mit Amy Douglas) schließt dieses Trio ab, und die Zeile „I want something more“ darf man auch auf ihre Kunst beziehen: Der Track ist elegant, beschränkt sich aber nicht darauf, sondern entwickelt auch eine gute Dramaturgie. Shellfish Mademoiselle scheint den Flat Beat abzuwandeln, die Stimme ist heiser und kratzbürstig, trotzdem einschmeichelnd. Das beste Lied der Platte wandelt den vermeintlichen Fluch ihres Nachnamens in ein weiteres Bekenntnis von Selbstvertrauen um: Murphy’s Law.

Nur ganz wenige Passagen auf diesem Album (Game Changer ist so ein Fall) sind geschmäcklerisch und ereignislos, wie es bei diesem Ansatz, der stets Atmosphäre, Outfit und Bühne mitdenkt, eben geschehen kann. Ansonsten ist hier die Energie und Kreativität unverkennbar, die der Irin 2015 eine Mercury-Prize-Nominierung für den Vorgänger Hairless Toys und im Jahr darauf den AIM Independent Music Award für ihre „Outstanding Contribution to Music“ eingebracht hat. Diese Triebkräfte sind auch während des Lockdowns nicht erloschen, als Róisín Murphy („Ich wäre untröstlich, wenn ich niemals wieder auf einer Bühne singen könnte“) mangels echter Auftrittsmöglichkeiten einfach auf ihrem YouTube-Kanal performt hat. Unverkennbar ist sie nicht nur eine Maschine, sondern vor allem eine Überzeugungstäterin: „Ich bin stolz auf jede Platte, die ich gemacht habe. Ich weiß, was es für ein Privileg ist, das sagen zu können. Es wäre mir wirklich unmöglich, einen persönlichen Favoriten herauszupicken. Wenn es unbedingt diese eine Erfolgsgeschichte in meiner Karriere geben soll, dann möglichst, dass mein gesamter Katalog auch in der Zukunft noch Bestand hat.“

Beispiele für den “wonky dance” kann man auch im Video zu Narcissus entdecken.

Website von Róisín Murphy.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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