The Smashing Pumpkins – “1991-2000. Greatest Hits Video Collection”

Künstler Smashing Pumpkins

The Smashing Pumpkins 1999-2000 Kritik Rezension
21 Videos und viel Bonusmaterial gibt es auf der DVD.
DVD 1991-2000. Greatest Hits Video Collection
Label Virgin
Erscheinungsjahr 2001
Bewertung

Parallel zum Best-Of-Album Rotten Apples erschien im November 2001 die Greatest Hits Video Collection der Smashing Pumpkins. Es gibt einige Gründe, diese DVD dem Tonträger vorzuziehen, obwohl beide Veröffentlichungen weitgehend dieselben Songs enthalten. Erstens bietet die DVD-Sammlung einiges Material, das bisher unveröffentlicht war, darunter einen Clip zu I Am One aus dem Jahr 1992 (der belegt, wie früh diese Band in Sound, Look und Attitüde schon ausformuliert war), eine neue Version des Videos zu Rocket (1994) und den ersten Kurzfilm von Star-Regisseur Jonas Åkerlund mit dem Titel Try.

Zweitens sind die Clips mit reichlich Bonusmaterial angereichert. So gibt es zu jedem Song die sehr aufschlussreichen Kommentare von Frontmann Billy Corgan, Schlagzeuger Jimmy Chamberlin, Gitarrist James Iha und den jeweiligen Regisseuren des Clips (Bassistin D’arcy Wretzky, die 1999 die Band verlassen hatte, kommt nicht zu Wort, ebenso wenig ihre Nachfolgerin Melissa Auf der Maur). Auch reichlich Outtakes sind auf der Greatest Hits Video Collection zu sehen. Vielleicht das wertvollste Feature ist Ode To No One, das einem Inferno gleichkommt – ein Mitschnitt vom letzten Konzert, das die Smashing Pumpkins in ihrer Heimatstadt Chicago gespielt haben.

Denn, angesichts des späteren Comebacks mit Oceania oder der aktuellen Gerüchte um eine Wiedervereinigung muss man das in Erinnerung bringen: Sowohl Rotten Apples als auch die Greatest Hits Video Collection waren als ultimative Abschiedsgeschenke gedacht. Im Mai 2000 hatte die Band ihre Auflösung verkündet, Ende des Jahres spielten sie die letzten Shows, danach sollte Schluss sein, für immer. Man darf diese Sammlung also als ein Testament verstehen. Dieses Vermächtnis als DVD zu erleben, ist in der Tat noch lohnender als der rein akustische Zugang. Denn zum einen waren die Smashing Pumpkins schon immer eine Band mit hoher Affinität zum Visuellen, mit einem sehr genauen Bild von der eigenen Ästhetik. Zum anderen fällt dieser Abschnitt ihrer Karriere in eine goldene Zeit sowohl für die Kunst des Videoclips als auch für die Bedeutung von alternativer Rockmusik.

Bullet With Butterfly Wings zeigt das am deutlichsten. Für die Band war die Lead-Single des dritten Albums der Beginn eines neuen Kapitels: Mit Siamese Dream (1993) hatten sie den kommerziellen Durchbruch geschafft, nun agierten sie in neuen Dimensionen, auch im eigenen Anspruch: Der Song war die erste Kostprobe aus dem Doppelalbum Mellon Collie And The Infinite Sadness, das satte 28 Lieder enthielt, Platz 1 der US-Charts erreichte und der Band vier Top40-Hits sowie sieben Grammy-Nominierungen einbrachte. Der Clip ist entsprechend riesig: Mehr als 2000 Statisten waren dabei, um die Geschichte eines Jungen umzusetzen, der in einem Tagebau einen Schmetterling findet und ihn zu beschützen versucht. Regie führte Samuel Bayer, also genau der Mann, der auch mit seinen Clips zu Smells Like Teen Spirit (Nirvana), Zombie (The Cranberries), No Rain (Blind Melon) oder Only Happy When It Rains (Garbage) diese Ära visuell geprägt hat.

Zu den Stärken der Videosammlung gehört nicht nur der exzellente Sound, sondern auch die Tatsache, dass die Clips (der Soundtrack-Beitrag The End Is The Beginning Is The End fehlt als einziger, aus lizenzrechtlichen Gründen) in chronologischer Reihenfolge angeordnet sind. So lässt sich die Entwicklung der Band wunderbar nachverfolgen, ebenso wie Leitmotive im Werk der Smashing Pumpkins erkennbar werden.

Siva vom Debütalbum Gish macht somit auch hier den Auftakt, die Optik beschwört Psychedelik und die Sixties herauf, auch die Frisur von Billy Corgan (jawohl, damals noch mit langen Haaren) hätte in diese Ära gepasst. Laut Regisseurin Angela Conway strebte er einen “Jim-Morrison-Look” an, nach Angaben des Sängers war damals auch reichlich LSD im Spiel. Das scheint auch auf Rhinoceros zuzutreffen: Der Song ist zugleich träumerisch und heavy und vereint damit typische Qualitäten der Band, im Video wollte Courtney Love (damals die Freundin von Billy Corgan) unbedingt eine ganz bestimmte Einstellung von ihm haben mit der Begründung “You look great. You look like Satan.”

Der Nachfolger Siamese Dream ist mit vier Clips vertreten. Nachdem das kraftvolle und dramatische Cherub Rock einen etwas unentschlossenen Clip mit der Band inmitten eines fluoreszierenden Waldes bekommen hatte, wird hier die Phase erreicht, in der die Smashing Pumpkins das Videoformat kongenial für sich zu nutzen verstehen. Today ist der erste wirklich ikonische Clip der Band. Die Idee beruht auf einem Kindheitserlebnis von Billy Corgan mit einem durchgeknallten Eisverkäufer, gepaart wird sie mit Anspielungen auf Zabriskie Point, die Regisseur Stephane Sednaoui einbrachte. Symbolisch, zumindest im Rückblick, erscheint auch die Szene ganz am Ende des Videos, als der Rest der Band so genervt ist von Billy Corgan, dass sie ihn aus dem Auto werfen.

Die Idee von einem Jungen, der fliegen kann, im Video zu Disarm entstammt dem Roman Mr. Vertigo von Paul Auster und wurde von Regisseur Jake Scott (Sohn von Ridley Scott) vorgeschlagen. Hier zeigt sich schon, was auch bei den späteren Songs evident bleiben sollte: Die Mitglieder der Band sind nicht Akteure, sondern Beobachter. Sie sind Außenstehende, gehören nicht dazu. Passend dazu ist die Gegenwart in diesem Clip schwarz-weiß, nur die Vergangenheit leuchtet in Farbe. Auch in den anderen Videos lässt sich diese Perspektive erkennen. Das echte Leben, ob knutschende Pärchen oder spielende Kinder, wird sehnsüchtig und mit Sicherheitsabstand beäugt.

Das gilt auch in der kleinen Geschichte, die in Rocket erzählt wird, von einer Gruppe von Kindern, die sich zu ihrer Lieblingsband auf einen fernen Planeten schießen will. Die Regisseure Jonathan Dayton und Valerie Faris betonen, wie sehr die Band permanent darauf aus war, sich weiterzuentwickeln und unbekanntes Territorium zu erobern – und auch diese Einschätzung bestätigt die Greatest Hits Video Collection eindrucksvoll: Es dürfte wenige Bands geben, die innerhalb eines Jahrzehnts eine solch rasante Entwicklung mit derart radikalen Brüchen vollzogen hat wie die Smashing Pumpkins.

Die Lieder von Mellon Collie repräsentieren dabei die Blütezeit. Als ihr bestes Video überhaupt bezeichnet Billy Corgan den Clip zu 1979. Er zeige “das, was ich als Jugendlicher nie erlebt habe, aber wovon ich immer geträumt habe”, also Unbeschwertheit, Kumpanei, Abenteuerlust, Ungestüm. Eine Clique fährt durch die Stadt, das Jungsein, die Heimat und die Freunde sowohl bestmöglich genießend als auch heimlich verfluchend. Der Sänger sitzt, als sei er für alle anderen unsichtbar, auf dem Rücksitz. Dafür gab es nicht nur einen MTV Video Music Award für das “Best Alternative Video”, sondern beim nächsten Album sogar eine Fortsetzung: Perfect verfolgt einen ganz ähnlichen Ansatz, fünf Jahre später, mit denselben Darstellern.

Die Barock-Ästhetik im Clip zu Zero ist ein gutes Beispiel dafür, wie intensiv sich Billy Corgan in die filmische Umsetzung einbrachte, wie genau sein Auge für Ästhetik war, was auch die Macher des Videos bestätigen. Entsprechend ambitioniert waren auch die Arbeiten für Tonight, Tonight mit echten Theaterkulissen und Referenzen an den Filmpionier Georges Méliès (und wieder mit einer Band, die nicht sie selbst sein will, sondern in andere Zeiten und andere Welten flieht) und Thirty-Three, das unter der Regie von Yelena Yemchuk, mit der Billy Corgan später liiert war, umgesetzt wurde und aus lauter einzeln aufgenommenen Fotos besteht.

Eine Vorliebe für Skulpturen, Mythologie und Kunstfiguren zeigen auch die Videos zu den Singles der folgenden Alben Adore und Machina/The Machines Of God. Wie Nosferatu schreitet Corgan durch den Clip zu Ava Adore, der ohne Schnitt auskommt und insgesamt elf Stunden Dreharbeiten in Anspruch nahm (“One of the most frustrating days of our lives”, sagt Corgan im Audiokommentar dazu). The Everlasting Gaze, ein vordergründig recht konventionelles Konzept von Jonas Åkerlund (die Band, die ebenso ein Fan von ihm war wie er von ihnen, spielt den Song), erweist sich als in jeder Hinsicht verstört, am Ende sogar als eine Zerstörungsorgie. Die grotesken Elemente von Stand Inside Your Love sind ein gutes Beispiel für das künstlerische Risiko, das die Band immer wieder einging, indem sie genau wusste, dass sie auch übers Ziel hinaus schießen konnte und sich längst weit von irgendwelchen Erwartungshaltungen entfernt hatte.

Try, Try, Try, wieder unter der Regie von Åkerlund entstanden, ist ein Sozialdrama mit Dokumentarfilm-Ästhetik, das es später auf der DVD noch einmal in längerer Version als Try – A Short Film gibt. Ausgerechnet aus dem Mund eines obdachlosen Punk-Junkie-Mädchens werden hier auf fast naive Weise die bürgerlichen Träume vom eigenen Haus in der Sonne, einem prall gefüllten Kühlschrank und gemeinsamem Altwerden ausformuliert. Dieser Abschluss wird rührend und sogar herzzerreißend, weil man aus dem Clip schon das Ende der Geschichte kennt.

Will man die Smashing Pumpkins verstehen, sind diese Videos vielleicht tatsächlich der tauglichste Schlüssel. Farben und Effekte, Masken und Kostüme: All das zeigt, dass es ihnen ums Zerstören, Verfremden, Transzendieren geht. Die Bilder sind ebenso mit Metaphern, Referenzen und Symbolen aufgeladen wie die Musik, die eigentliche Botschaft bleibt dennoch rätselhaft (“In true Pumpkin fashion, we always avoided literal symbolism”, sagt Billy Corgan hier über einen der Clips). Vor allem aber zeigen diese Videos, wie ernst diese Band ihr eigenes Werk nahm. Fast nirgends auf dieser DVD, nicht einmal in den Outtakes, nicht einmal im Konzertmitschnitt von Geek USA, als es bei der Show in Seattle eine Stage Invasion von lauter Clowns gab, ist ein Lächeln zu sehen.

1979 ist nach eigener Einschätzung beste Video der Band.

Website der Smashing Pumpkins.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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