The Wytches – “Annabel Dream Reader”

Künstler*in The Wytches

The Wytches Annabel Dream Reader Review Kritik
Das Cover für “Annabel Dream Reader” haben The Wytches ausnahmsweise nicht selbst gestaltet.
Album Annabel Dream Reader
Label Heavenly
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

Drei ehemalige Hardcore-Musiker, die Black Sabbath lieben, deren Frontmann aber auch eine große Vorliebe für Singer-Songwriter wie Elliott Smith und Leonard Cohen hat. Eine Band, die großen Wert auf das “Do it yourself”-Prinzip legt und deshalb beispielsweise Flyer, den Bühnenhintergrund bei ihren Konzerten oder ihre Videoclips selbst gestaltet, aber auch kein Problem mit einer Namensänderung im Dienste der besseren Suchmaschinen-Auffindbarkeit hat (das y kam aus diesem Grund in The Wytches), und sich auch mächtig freut, wenn gleich das Debütalbum die Top50 der britischen Charts erreicht. Ein Trio, das so unterschiedliche Einflüsse wie Grunge und Surf, Metalcore und Agentenfilm-Soundtracks vereint.

All das sind The Wytches, gegründet 2011 von Kristian Bell (Gesang, Gitarre), Dan Rumsey (Bass, Gesang) und Gianni Honey (Schlagzeug), die damals in Brighton studierten und es mit dem erwähnten DIY-Spirit zu einigen selbst veröffentlichten Singles, Auftritten im Vorprogramm beispielsweise für Blood Red Shoes, Drenge, METZ, The Cribs und Japandroids sowie schließlich zu einem Deal mit Heavenly Records gebracht haben.

Ihr 2014 veröffentlichtes Debütalbum Annabel Dream Reader haben sie innerhalb von zwei Tagen mit Bill Ryder-Jones als Produzent aufgenommen, und die 13 Songs darauf lassen schnell erkennen, was der Grund für diese Erfolgsgeschichte war: Der Sound, von der Band selbst als “Surf Doom” beschrieben, ist eine in der Tat einmalige Melange. Digsaw eröffnete die Platte mit einem gewaltigen Feedback und einem schweren Beat, die Gitarre klingt nach Psycho, der Gesang noch viel mehr – spätestens als im Refrain eine Wut ausbricht, die nicht kleiner als die bei Nirvana ist.

Solche Entwicklungen und Spannungsbögen findet man auf Annabel Dream Reader immer wieder: In Summer Again finden The Wytches den Weg von verträumt zu aufgebracht, Fragile Male zeigt ihr großes Talent sowohl für Melodie als auch für Dramaturgie, Wire Frame Mattress spielt am Anfang noch mit Lo-Fi-Ästhetik, ist am Ende aber ein klarer Surf-Kracher. Crying Clown klingt in der Strophe so, wie es der Songtitel vermuten lässt, im Refrain aber wie ein böser Berserker. Die Formel für Burn Out The Bruise lautet: Wucht + Wahnsinn + Witz = sehr aufregende Rockmusik.

Geeignete Referenzen zu finden, ist schwierig. Im vom Bass dominierten Robe For Juda sind die Hardcore-Wurzeln des Trios besonders gut zu erkennen, bei Beehive Queen könnte man glauben, Johnny Rotten sei als Sänger bei den Arctic Monkeys eingestiegen. Weights And Ties wird vielleicht nicht direkt eine Ballade, erlaubt sich aber mehr wehmütige Weite und dafür weniger Tempo. Die Musik in Wide At Midnight deutet immer mal wieder die reflektierte Poesie an, die auch im Text steckt, trotzdem dominieren Lärm und Geschrei den Gesamteindruck. Das gilt auch für Gravedweller, wo vor allem der sehr coole Rhythmus eine Wildheit andeutet, die dann auch in den anderen Elementen des Songs gut zu erkennen ist.

Der Track 13 fällt als Album-Abschluss nicht nur wegen seines arg pragmatischen Titels aus der Reihe: Es gibt hier Singer-Songwriter-Klänge fast in Reinkultur, mit ausnahmsweise akustischer Gitarre und sogar etwas, das wie ein Cello klingt. Aber der düstere Schleier, der über diesem Lied liegt, kommt auch hier nicht nur davon, dass man zuvor 12 Songs mit beträchtlicher Brutalität gehört hat. Einen ähnlichen Effekt kreieren The Wytches auch in Part Time Model, dem vielleicht besten Song auf Annabel Dream Reader: Man kann hier viel Eleganz und Atmosphäre entdecken, wenn auch unter einer Schicht von Schorf und Dreck.

Man wüsste gerne, was in dem Glas ist, aus dem Kristian Bell im Video zu Gravedweller trinkt.

The Wytches bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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