Southside, Neuhausen ob Eck

Julian Casablancas amüsierte sich prächtig beim Southside. Foto: FKC Scorpio
Julian Casablancas amüsierte sich prächtig beim Southside. Foto: FKC Scorpio

Eine berechtigte Frage: Warum soll man ein Wochenende in brütender Hitze verbringen, untergebracht auf dem wenig charmanten Gelände eines ehemaligen Gewerbegebietes, umringt von betrunkenen Teenagern, umweht vom unverwechselbaren Hauch von Dixieklos? Warum sollte man nicht lieber am Strand sein oder auf der Veranda oder im Biergarten – vor allem, wenn an diesem Wochenende auch noch WM ist und Deutschland, Schweden und England im Achtelfinale spielen?

Das Southside-Festival in Neuhausen ob Eck hatte ein paar recht überzeugende Gründe parat. Zum Beispiel großartiges Wetter, sympathische Atmosphäre, gute Organisation – und die besten Bands aus Deutschland, Schweden und England. Und nicht zuletzt verpassten auch die 40.000 Fans in der Nähe des Bodensees nichts vom Fußball-Spektakel.

Der famose Tre-Kronors-Dreierpack aus Shout Out Louds, Mando Diao und Hives sorgte schon am Freitag dafür, dass einige schwedische Flaggen und Trikots zu sehen waren, auch noch vor dem entscheidenden Achtelfinale. Als Headliner des ersten Abends begeisterten dann die Strokes. Sie schienen sich ebenfalls mit der WM-Begeisterung angesteckt zu haben, denn so gut gelaunt hat man die New Yorker selten erlebt. Sänger Julian Casablancas – sonst eher der übercoole, nuschelnde Trunkenbold, der sich am Mikro-Stativ festhält – gab sich diesmal richtig Mühe und lieferte eine tolle Performance. Die Band spielte dazu so zackig und energisch, dass der Frontmann gar mit seinen Fans kommunizierte und schließlich schwor, noch nie im Leben so viel Spaß auf einer Bühne gehabt zu haben.

Deutlich weniger begeistert waren die Cardigans am Samstag. Kein Wunder: Nicht nur, dass sie auf die Bühne mussten, als gerade Deutschland gegen ihr Heimatland Schweden spielte und sie vor dementsprechend dezimiertem Publikum auftraten. Auch die Zwischenergebnisse, die ihnen auf der Bühne mitgeteilt wurden, drückten auf die Stimmung. Mit umso mehr Leidenschaft lehnte sich Nina Persson (neuerdings mit roten Haaren) in ihre Songs – und schien darin Trost zu finden. Beim allzu passenden Hit I’m Losing My Favourite Game ließ sich sogar ein leicht ironisches Lächeln auf den Gesichtern der Band erkennen.

Wir sind Helden profitierten dann als Headliner am Abend schon von der “Finale”-Euphorie, stellten aber bloß nonchalant fest: “Wir fahren sowieso nach Berlin…” Dazu gab es eine gute Show mit allen Hits und dem heimlichen Motto von Jürgen Klinsmann: “Wir können alles schaffen / wir müssen nur wollen.”

Leidensgenossen der Cardigans waren die britischen Newcomer Arctic Monkeys und Hard-Fi, die gestern das Spiel der Engländer verpassten. Beide schienen das Motto walten zu lassen: Wenn wir schon auf die Bühne müssen, dann können wir auch gleich fantastisch spielen.

Auch Nada Surf wurden zu Fußball-Opfern. Sie spielten beim Schwesterfestival “Hurricane” ebenfalls während des Deutschland-Spiels – allerdings nur vier Songs in der Halbzeit, weil die Videoleinwände für die Fußball-Übertragung gebraucht wurden. Beim Southside hatten sie tags darauf mehr Glück und lieferten ein Set, bei dem fast jeder Song nach den ersten Tönen irgendwo im Publikum ein “Au ja!” auslöste. Höhepunkt war eine grandiose Version von Blonde On Blonde, in der Sänger Matthew Caws klar machte, dass es nur eine Gitarre und eine Stimme braucht, um für Gänsehaut zu sorgen. Er hinterließ ein restlos begeistertes Publikum.

Diesen Effekt erzielten auch Gogol Bordello – allerdings mit ganz anderen Mitteln. Die neue Lieblingsband von Franz Ferdinand fuhr zwei Tänzerinnen in gelben Leggins, einen Sänger mit obszönem Schnauzbart und dazu Akkordeons, Geigen und Waschbretter auf. Mit ihrem Polka-Punk, der Elemente von Klezmer, Skiffle und Balkan-Sounds integriert, wurden sie zum Überraschungssieger des Festivals. Und machten deutlich, wie radikal, mitreißend und unterhaltsam Rockmusik sein kann. Ein ganzes Wochenende lang.

Schlechtes Bild, wenig los, große Show: Die Arctic Monkeys beim Southside:

httpv://www.youtube.com/watch?v=vkpjs3ZKRPQ

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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