We Were Promised Jetpacks – “Enjoy The View”

Künstler*in We Were Promised Jetpacks

We Were Promised Jetpacks Enjoy The View Review Kritik
“Enjoy The View” ist stark von der Corona-Pandemie beeinflusst.
Album Enjoy The View
Label Big Scary Monsters
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

„Mitglieder einer Band streiten sich”, hat Rick Wakeman einmal in einem Interview erzählt. Er spricht aus Erfahrung, schließlich war er rund zehn Jahre lang der Keyboarder bei Yes (und danach bezeichnenderweise fast nur noch als Solist oder Studiomusiker aktiv). “Das muss man doch verstehen: In wie vielen anderen Berufen hockt man sich ständig auf der Pelle? Auf Tour frühstückst du gemeinsam, fährst zusammen zur Arbeit, nimmst jede Mahlzeit mit den anderen ein. (…) Ganz egal, wie freundlich alle zueinander sind, irgendwann kommt der Tag, an dem du dir sagst: Wenn der Typ sich noch einmal so am Kopf kratzt, dann steche ich ihn ab.“

Es gibt sicher viele Musiker*innen, die diese These bestätigen werden. Somit ist es also eine Leistung, wenn eine Band 15 Jahre lang zusammen bleibt und es bis zum fünften Album schafft. Im Falle von We Were Promised Jetpacks und Enjoy The View könnte man etwas bösartig vielleicht noch ergänzen: Bei ihnen ist es umso erstaunlicher, denn seit dem Monster-Hit Quiet Little Voices, der sich 2009 schon auf dem Debütalbum fand, hat die Band aus Edinburgh wenig vorgelegt, das die Welt in Brand stecken oder ihnen Legionen neuer Fans bescheren könnte.

Auch auf Enjoy The View bestätigen Adam Thompson, Sean Smith und Darren Lackie (von Gitarrist Michael Palmer haben sie sich getrennt, und zwar nicht mittels Messerstecherei im Tourbus, sondern freundschaftlich) diesen Eindruck: Es gibt viele gute Songs, aber wenig herausragende. Manchmal kann man bei We Were Promised Jetpacks weiterhin den Eindruck haben: Wenn sie nicht vor vielen Jahren diesen einen sehr lichten Moment gehabt hätten, wären sie vielleicht auf ewig eine solide, wenig bekannte Rockband geblieben.

Nothing Ever Changes heißt ein Song auf diesem Album, aber ganz so immergleich ist die Musik dann doch nicht, und das ist der Pluspunkt der Platte. Das Lied deutet Hektik und Alarm an, nimmt das dann aber immer wieder zurück – und mit dieser und ähnlichen Methoden haben die drei Schotten hier auch ein paar Entwicklungen, Überraschungen und Neuerungen im Gepäck. Das liegt auch daran, dass sie – bedingt durch die Corona-Pandemie – zu einer neuen Arbeitsweise gezwungen waren. “Wir haben uns schon immer mehr als Live-Band denn als Studioband gesehen”, sagt Schlagzeuger Darren Lackie. “Aber diesmal haben wir uns mehr darauf konzentriert, ein wirklich gutes Album zu machen, als darüber nachzudenken, wie wir es live spielen. Das Motto war: Lasst uns ein Album machen, das für uns einfach ein bisschen anders ist.”

Die paar Songideen, die seit der Veröffentlichung des Vorgängers The More I Sleep The Less I Dream (2018) entstanden waren, wurden per Austausch übers Internet weiterentwickelt, und zwar viel demokratischer als bisher. “Ich schätze, dass die Zusammenarbeit zwischen uns dreien am Ende sehr viel gemeinschaftlicher war”, hat Bassist Sean Smith beobachtet. Auch Frontmann Adam Thompson merkt die Vorteile an: “Wenn du versuchst, einen Part zu schreiben, während zwei andere Leute auf ihre Instrumente einschlagen, ist das nicht so einfach. Wenn man aus der Ferne schreibt, kann man Teile stumm schalten und im Kopf an Dingen arbeiten. Das gab uns einfach ein bisschen mehr kreative Freiheit, um verschiedene Dinge auszuprobieren.”

Man hört die Auswirkungen davon beispielsweise in Not Me Anymore, das so entspannt und einfühlsam ist, dass man beinahe an Soul denken kann, oder im ungewohnt schwelgerischen Wish You Well. Wuchtiger und auch düsterer ist All That Glittered, schließlich geht der Text des Songs natürlich mit “wasn’t golden” weiter. Für If It Happens darf der Bass ins Rampenlicht, sodass man dem Lied vor allem am Ende eine große Tanzbarkeit attestieren kann.

Fat Chance bietet viel Schwung und Punch, aber ohne beides überzustrapazieren, und den unverkennbar schottischen Akzent von Adam Thompson. In What I Know Now singt er in einer bisher selten von ihm gehörten Kopfstimme, die das Lied fast alleine trägt. Don’t Hold Your Breath For Too Long vereint Ungeduld und Kraft über einen schönen Spannungsbogen, Just Don’t Think About It beschließt Enjoy The View mit Gitarrenpicking und einem fast abwesend wirkenden Gesang, sodass eine hypnotische Wirkung entsteht, die den Songtitel zum Mantra werden lässt. Und dann ist da noch ein Stück, das etwas luftiger und dezent funky wird, sodass es auch zu The Kooks passen würde, und mit seinem Songtitel vielleicht am besten erklärt, was die Elemente sind, die We Were Promised Jetpacks auch nach 15 Jahren noch relevant bleiben lassen und ihnen ein treues Publikum bescheren: Blood, Sweat, Tears.

Für die  Liveversion von Fat Chance waren die drei dann doch zusammen in einem Raum.

Website von We Were Promised Jetpacks.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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