Woodstock – 3 Days Of Peace & Music

Film Woodstock – 3 Days Of Peace & Music

Jimi Hendrix spielte nur einen von vielen legendären Gigs in Woodstock.
Jimi Hendrix spielte nur einen von vielen legendären Gigs in Woodstock.
Produktionsland USA
Jahr 1970
Spielzeit 184 Minuten
Regie Michael Wadleigh
Hauptdarsteller The Who, Jimi Hendrix, Joe Cocker, Canned Heat, Joan Baez
Bewertung

Worum geht’s?

Es war ein Wagnis: Zwei junge Männer stellten ein Rockfestival auf die Beine. Sie hatten keine Ahnung, ob es ein Erfolg werden würde. Schließlich war die Location, eine Farm im Bundesstaat New York, nicht sonderlich gut geeignet, die Organisation reichlich amateurhaft für ein Event, das schließlich 400.000 Menschen anziehen sollte, und selbst das Format eines Open-Air-Festivals noch nicht sonderlich etabliert. Für die Vorbereitung standen nur wenige Monate zur Verfügung, am 15. August 1969 gingen schließlich die ersten Künstler auf die Bühne. Drei Tage später hatte Woodstock eine ganze Generation definiert.

Das sagt shitesite:

Insgesamt 33 Acts traten an den drei Tagen des Woodstock-Festivals auf. Schaut man heute diesen preisgekrönten Rückblick auf das Event (Woodstock – 3 Days Of Peace & Music erhielt einen Oscar als bester Dokumentarfilm), fällt vor allem auf, wie unspektakulär das Line-Up dabei wirkt. Viele prägende Künstler der Flower-Power-Ära waren nicht dabei, unter anderem hatten die Veranstalter vergeblich bei den Rolling Stones, den Doors und Bob Dylan angefragt. Stattdessen standen heute weitgehend vergessene Künstler wie Sha Na Na, Keef Hartley oder Bert Sommer auf der Bühne. Auch bei den weitaus prominenteren Namen wird klar, dass ihr Gastspiel in Bethel, New York, für wenige ein Karriere-definierender Auftritt war. Manche Konzertmitschnitte, die man hier sehen kann, wirken routiniert, manche leiden auch an den unzureichenden Möglichkeiten, was Bühnenbild und Sound angeht. Fast niemand scheint hier angereist zu sein in dem Bewusstsein, an einem historischen Ereignis beteiligt zu sein und mit dem Bestreben, diese Gelegenheit für eine künstlerische Höchstleistung zu nutzen. Für Nachgeborene offenbart sich ziemlich schnell: Woodstock ist zum Inbegriff dafür geworden, wie viel Kraft in Musik stecken kann, wie Zusammenhalt, Jugendkultur und sogar eine gesellschaftliche Utopie durch sie entstehen können. Doch dieser Effekt ist eher durch das Geschehen rund um die Bühne entstanden als durch die Auftritte auf dieser Bühne.

Natürlich gibt es Ausnahmen davon. Die legendäre Performance von Jimi Hendrix (inklusive der verstümmelten Nationalhymne, die auf unerhörte Weise die Brücke aus Woodstock nach Vietnam schlug) gehört dazu, ebenso das Konzert von Santana, der damit quasi seine Weltkarriere begann. Eine ganz besondere Rolle kommt dem Auftritt von Joe Cocker zu. Als der damals 25-Jährige am dritten Tag des Festivals kurz nach 15 Uhr zum letzten Lied seines Sets ansetzt, wird dies der Moment, der seine gesamte Karriere überstrahlen wird. Zugleich bringt er mit einer Coverversion ein ganz entscheidendes Element für das Verständnis von Woodstock mit: die Beatles. Es ist wohl nich übertrieben, in ihnen die geistigen Vorväter dieses Festivals zu sehen, auch wenn die Fab Four damals selbst schon längst keine Konzerte mehr spielten. Aber nach der Initialzündung durch Elvis war es die Beatlemania, die zum entscheidenden Katalysator für die Selbstermächtigung der Jugend in den 1960er Jahren führte, die bis heute nachwirkt. Damals wurde der jungen Generation klar: Wir müssen nicht so leben wie unsere Eltern. Wir müssen Traditionen und Konventionen nicht selbstverständlich hinnehmen, sondern wir können das Hinterfragen zu unserem Grundprinzip machen. Wir können einen eigenen Lebens- und Gesellschaftsentwurf entwickeln.

Gerade durch den Mix aus Konzertmitschnitten, Doku-Passagen und Interviews mit Beteiligten und Besuchern, die häufig im Split Screen kombiniert werden, macht Woodstock – 3 Days Of Peace & Music diese Entwicklung klar: Eine Generation erkennt sich hier als mächig, und zwar künstlerisch ebenso wie politisch und wirtschaftlich. Dass es in With A Little Help From My Friends, dem Höhepunkt im Auftritt von Joe Cocker, um Zusammenhalt geht, ebenso wie um Drogenkonsum und die Privilegierung von jugendlicher Schwärmerei (“What do you see when you turn off the light? / I can’t tell you, but it sure feels like mine”) passt bestens. Zumal er aus der ironisch-leichtgewichtigen Vorlage der Beatles zusätzlich ein Lied voller Schmerz und Aufbegehren macht, das in Erinnerung bringt: Die Kids im Publikum feiern auch, dass sie hier zwei Autostunden vom Times Square entfernt ihre Jugend und ihr Leben zelebrieren können, statt sich wie viele Altersgenossen in Vietnam töten lassen zu müssen. Sie versuchen einige der gesellschaftlichen Erschütterungen zu verarbeiten, die es erst wenige Monate zuvor mit den tödlichen Attentaten auf Robert Kennedy und Martin Luther King gegeben hatte, und die sie zugleich als Beleg für das Versagen der älteren Generation betrachten.

Was sie hier errichten, ist nichts weniger als ein Paralleluniversum. Eine Welt, in der nicht das Establishment regiert, sondern die nach den Prinzipien der Jugend erbaut ist, mit eigener Mode, Kunst, Politik und natürlich Musik. Es geht um Liebe und Selbstlosigkeit statt Gewalt und Konflikt, um Individualität und Solidarität statt Konformismus und Ellenbogen. Natürlich gehört dazu auch ein gehöriges Maß an Naivität (gipfelnd in dem Glauben, man könnte ein Unwetter verjagen, wenn nur alle gemeinsamschaftlich laut genug “No rain!” rufen), trotzdem wird deutlich: Nie wieder war Popmusik so wirkungsmächtig wie hier. Dass nicht mehr ausschließlich alte Männer in Hüten, Anzügen und steifen Hemden definieren, was die USA sind, dass Jugendlichkeit zum gesellschaftlichen Role Model wird, dass Teenager und Gegenkultur als relevante gesellschaftliche Einflussgruppen (und Märkte) erkannt werden – all das wird hier deutlich, und es gilt bis heute. Interessant ist dabei nicht nur diese Relevanz, sondern auch die Tatsache, wie sie von den Beteiligten im Verlauf des Wochenendes mehr und mehr erkannt wird. Aus einer großen Party war etwas Historisches geworden – mit dieser Ahnung fahren etliche Fans und Musiker nach Hause.

Woodstock – 3 Days Of Peace & Music hat dabei selbst gehörig zu diesem Mythos beigetragen. Denn auch das gehört zum Narrativ dieses Ereignisses: Woodstock hätte eine Katastrophe werden können. Chaos, Gewalt und frustrierte Fans waren jedenfalls deutlich wahrscheinlicher als ein beseeltes Wochenende voller glücklicher Menschen, die jeweils 18 Dollar für ihr Ticket bezahlt hatten. Von den Veranstaltern, die ein Rockfestival vor allem deshalb organisieren wollten, weil sie es für eine gute Investmentidee hielten, hatte nur einer zuvor schon einmal etwas mit Konzertveranstaltungen zu tun. Anfangs rechneten die Macher mit 20.000 Besuchern, das Gelände verfügte über ein nicht nur aus heutiger Sicht primtives Setting und war weit von einer für ein Massenevent geeigneten Infrastruktur entfernt: keine Sponsoren, kein Catering, kein Merchandise. Dafür wurden auf dem Gelände Yoga, Atemübungen, spirituelle Unterweisung und Marihuana-Workshops angeboten. Viele im Publikum konnten vom Geschehen auf der Bühne nichts sehen und nicht einmal hören.

Die Gemeinde Wallkill, in der das Festival eigentlich stattfinden sollte, hatte fünf Wochen vor der Veranstaltung ihre Zusage zurückgezogen, weil es Bürgerproteste gegen so viele Hippies im eigenen Ort gab. Viele der ohnehin unter extremem Zeitdruck stehenden Planungen mussten deshalb noch einmal von vorne beginnen. Man kann sagen: Mindestens so sehr, wie die Musiker auf der Bühne bei ihren Soli und Jams improvisiert haben, war dieses Talent auch abseits der Bühne gefragt. Auch hier entfaltete sich allerdings die Kraft des Zusammenhalts: Farmer aus der Umgebung spendeten Lebensmittel, die Polizei unterstützte, weil sie ohnehin fast nichts zu tun hatte, und sogar das Militär erklärte sich bereit, mit Hubschraubern zusätzlichen Proviant herbeizuschaffen.

Diesen Komplikationen räumt Woodstock – 3 Days Of Peace & Music viel Raum ein, was dafür sorgt, dass der Film nicht nur unterhaltsam und historisch wertvoll ist, sondern auch spannend: 20 Kameraleute hatten das Event begleitet, aus deren Material der Film (bei der Auswahl war unter anderem Martin Scorsese beteiligt) dann entstand. Dass man die Probleme bei der Organisation nicht marginalisierte, stärkt ebenfalls den Eindruck: Empathie und Zuversicht haben hier widrigste Umstände überwunden und zu einem Triumph geführt. Besonders bezeichnend dafür ist eine Anekdote wenige Tage vor Beginn des Programms: Die Bauarbeiter teilten ihren Auftraggebern mit, dass sie nicht genug Baumaterial haben. Man könne entweder die Bühne fertigstellen, oder das Gelände umzäunen – aber nicht beides. Die Macher entschieden sich für die Bühne und nahmen damit in Kauf, dass jedermann ihr Festival besuchen konnte, auch ohne Ticket. Auch wenn die Entscheidung aus purem Pragmatismus getroffen wurde, kann man sie natürlich trefflich stilisieren: Kunst statt Profit. Uns ist es wichtiger, dass sich die Musiker entfalten und die Fans daran teilhaben können, als dass wir unsere Kosten decken (in der Tat war das Festival hochgradig defizitär, erst durch die 50 Millionen Dollar, die dieser Film im Nachhinein einspielte, wurde es auch ein finanzieller Erfolg).

Die dann doch noch rechtzeitig fertiggestellte Bühne ist auch für sich genommen bezeichnend für den Spirit von Woodstock: Die Location auf einer Farm wurde ausgesucht, weil sie nach Idylle und Ursprünglichkeit aussieht, und die Bühne ist beinahe am tiefsten Punkt des Tals platziert. Man blickt also nicht hinauf zu den Stars, sondern stellt die Musiker in die Mitte einer Gemeinschaft. Durch diese Idee sind nicht nur legendäre Luftaufnahmen entstanden, sondern die vielleicht beste visuelle Entsprechung des Gedankens von Woodstock: Nichts ist so wichtig und mächtig wie der gemeinschaftlich artikulierte Wille zur Freiheit.

Der Trailer zum Film:

httpv://www.youtube.com/watch?v=6H5jTMfesCM

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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