You Me At Six – “Suckapunch”

Künstler You Me At Six

You Me At Six Suckapunch Review Kritik
You Me At Six umarmen auf “Suckapunch” noch mehr die Elektronik.
Album Suckapunch
Label Underdog Records
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Normalerweise scheiße ich auf typografische Mätzchen von Bands. Sie bauen seltsame Ausrufezeichen an unmöglichen Stellen ein, integrieren Punkte und Zahlen dort, wo sie nicht hingehören und arbeiten besonders gerne mit Versalien. Auch bei MAKEMEFEELALIVE, dem zweiten Song auf diesem Album, ist das so, in diesem Fall will ich aber gerne eine Ausnahme machen und der Komplettgroßschreibung folgen. Denn dem Stück rund um die Zeilen „Make me feel alive / I’m fucking dead inside“ hört man die Verzweiflung ebenso an wie die Dringlichkeit. Leerzeichen zwischen den Wörtern oder Kleinbuchstaben wären hier in der Tat einfach unpassend gewesen.

Das Lied ist in vielfacher Hinsicht typisch für Suckapunch (der Albumtitel kursiert ebenfalls in einer Version mit ausschließlich großen Lettern), das siebte Studioalbum von You Me At Six. Es zeigt zum einen, dass die fünf Musiker aus Weybridge trotz des Erfolgs ihrer 2004 gegründeten Band (die ersten vier Alben erreichten jeweils Goldstatus im UK) zuletzt nicht alle eine rundum sorgenfreie Zeit hatten. “Wir sind seit einer Weile auf der Suche nach Glück, sowohl gemeinsam als auch individuell, und dabei haben wir herausgefunden, dass Glück mehr als nur ein Geisteszustand ist. Wir mussten uns unserem Schmerz direkt stellen und ihn in etwas Positives verwandeln. Unser siebtes Studioalbum ist das Ergebnis davon, dass wir Frieden und Akzeptanz für das finden, was war und ist“, sagt Sänger Josh Franceschi.

Zum anderen erkennt man an diesem Track bereits, was You Me At Six auch in den übrigen Songs beweisen: Sie haben ihren Rock-basierten Sound noch weiter in Richtung elektronischer Klänge diverser Spielarten geöffnet. WYDRN beispielsweise zeigt, dass sie auch mit solchen Elementen sehr gekonnt umgehen können. Der Titelsong Suckapunch beginnt mit dezenten Clubsounds und wird dann kraftvoller, das Ergebnis hätte auch von Republica stammen können, ist höchst wirkungsvoll und abwechslungsreich. Der Auftakt Nice To Me deutet die Elemente aus dem Computer zunächst nur an, um Spannung aufzubauen, der Refrain setzt dann aber auf pure Gitarren-Kraft ohne Experimente.

Man kann den Hut davor ziehen, dass eine Band auf ihrem siebten Album so offen für neue Einflüsse ist, die während der fünfwöchigen Aufnahmen im Karma Sound Studio in Bang Saray, Thailand mit Produzent Dan Austin (Biffy Clyro, Pixies, Massive Attack), der schon den 2018er Vorgänger betreut hatte, geschickt in die eigene Klangwelt integriert wurden. Man könnte auch den Vorwurf erheben, You Me At Six biederten sich an aktuelle Klänge an, weil sie wissen, wie schwierig es anno 2021 ist, mit Rock ins Radio oder in die Charts zu kommen. Das ist aber nicht das Kernproblem von Suckapunch. Vielmehr zeigt sich auch hier, wie schmal bei dieser Band der Sound zwischen Klasse und Kitsch sein kann.

Kill The Mood ist etwas zu pathetisch und vor allem ereignislos, auch What’s It Like wird fast vom eigenen Bombast erdrückt, immerhin ist dann die Zeile „It’s nothing personal“ so überzeugend gesungen, dass der Song noch funktioniert. Voicenotes hat nicht viel Substanz, aber You Me At Six machen noch das Beste daraus. Auch Adrenaline, das laut Franceschi davon handelt, dass in uns allen die Möglichkeit einer gespaltenen Persönlichkeit angelegt ist, offenbart: Manchmal klingt Rockmusik besonders altmodisch, wenn sie besonders modern sein will.

Insgesamt bietet Suckapunch aber mehr Pluspunkte als Defizite. Beautiful Way nimmt als dritter Track der Platte mit Picking auf der Gitarre und sanftem Gesang erstmals etwas das Tempo raus, umso wirkungsvoller ist dann der Drive im Refrain, der nicht nur wegen der Zeile „We’re fucked up in a beautiful way“ daran denken lässt, man hätte hier vielleicht die Erben von Linkin Park gefunden. Glasgow schreit vom ersten Moment an „große Ballade“, wirkliche Größe (und zwar in Biffy-Clyro-Dimensionen) erreicht das Lied dann aber erst nach gut vier Minuten, als Josh Franceschi tatsächlich auch schreit. Finish What I Started ist vielleicht der typischste Song für dieses Album: Einige Passagen wirken zu plakativ, aber es gibt auch gute Details und einige Überraschungen.

Das Video zu MAKEMEFEELALIVE ist ein Mini-Horrofilm.

Vielleicht, vielleicht wird man You Me At Six in diesem Jahr noch live in Deutschland erleben können:02.06.21 – Mojo Club (Hamburg)
03.06.21 – Metropol (Berlin)
04.06.21 – MusikZentrum (Hannover)
11.-03.06.21 – Rock im Park (Nürnberg)
11.-03.06.21 – Rock am Ring (Nürburgring)
15.08.21 – Highfield Festival (Leipzig)

Website von You Me At Six.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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