Künstler*in | Fritzi Ernst |
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Album | Jo-Jo | |
Label | Euphorie Records | |
Erscheinungsjahr | 2024 | |
Bewertung | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Foto oben: Fleet Union / Robin Hinsch |
Im Roman Wiedersehen in Howards End, den Edward M. Forster 1910 veröffentlicht hat, gibt es eine Figur, über die der britische Autor diese Sätze schreibt: „Die Musik hatte ihr alles vor Augen geführt, was in ihrem Leben geschehen war oder noch geschehen könnte. Sie las darin wie in einem Buch, das nie an Gültigkeit verlöre. Die Noten bedeuteten für sie dieses und jenes, und sie konnten gar keine andere Bedeutung haben.“ Solch ein Mensch ist offensichtlich auch Fritzi Ernst: Alles in ihrem Leben ist Musik. Jedes Erlebnis wird zu Musik, umgekehrt steckt Musik in jedem Erleben.
Auf ihrem zweiten Album, das sie wie den Vorgänger Keine Termine (2021) erneut gemeinsam mit Ted Gaier (Die Goldenen Zitronen) produziert hat, dient beispielsweise die Single Ich steh im Bett als Beweis dafür. Sie singt in diesem Song über nichts anderes als den Prozess des Songschreibens selbst. Es geht einerseits um die berauschende Freude eines inspirierenden Moments, andererseits um den Druck, jeden kreativen Gedanken möglichst gewinnbringend zu verwerten – erst recht in einem prekären Künstlerinnendasein.
Auch anderswo findet man bei Fritzi Ernst wieder solche Zweideutigkeiten: Kratzer könnte ein harmloses Lied über Tollpatschigkeit sein, aber auch eine bedrückende Andeutung von häuslicher Gewalt (Letzteres erscheint wahrscheinlicher angesichts eines Sounds, der nur die ganz tiefen Tasten des Klaviers bedient und daneben eine Joy-Division-Gitarre erklingen lässt). Der Titelsong Jo-Jo handelt von Liebeskummer. Es geht um das Gefühl, wie banal es erscheint, dass gerade die eigene (Gefühls-)Welt zusammenbricht, während trotzdem alles unbeeindruckt weiter geht. Zu diesem Auf und Ab gehört aber auch der unausgesprochene Gedanke: Es wird vielleicht ein neues Verliebtsein kommen, auch wenn ich das jetzt für undenkbar halte, und dann womöglich auch wieder der nächste Liebeskummer.
Diese Ambivalenz ist das prägende Element der Platte: Irgendwie verändert sich alles ständig, irgendwie bleibt es aber auch ewig gleich. Fritzi Ernst findet dafür eine großartige musikalische Entsprechung, indem sie hier sehr häufig mit Loop-Elementen arbeitet. Die haben nicht nur in sich eine Kreislauf-Struktur, sondern bilden in den zehn Tracks immer wieder die Grundlage, zu der sich weitere Elemente dazugesellen, um manchmal noch mehr Klänge anzulocken, sich manchmal aber auch schnell wieder zu verabschieden.
Was sich mit diesem Ansatz für wunderbare Songs gestalten lassen, zeigt Ich bin so dumm besonders eindrucksvoll. Es geht um kleine Schwächen und zielsicher angesteuerte Fettnäpfchen, die für sich genommen winzige Patzer sind, in ihrer Häufung dann aber doch das komplette Selbstvertrauen einer Person zerstören können, wenn die hier artikulierte Abwertung zum Gefühl wird, über das man sich vielleicht am meisten definiert. Genauso schaukelt sich auch das Arrangement, beginnend mit einem Drumcomputer und ordentlich NDW-Feeling, zu einer ziemlich großen Sache auf.
„Klüger und unprätentiöser kann man zur Zeit keine deutschsprachige Popmusik machen“, schreibt Dax Werner (The Screenshots) im Presse-Info zu diesem Album, und das kann man problemlos unterschreiben. So verhandelt Nie drüber gelacht zuerst die ermüdenden Routinen im Popstar-Leben, dann recht deutlich (und sehr melancholisch) das Ende von Schnipo Schranke – inklusive eines erstaunlichen Versöhnungsangebots an die einstige Mitstreiterin Daniela Reis.
Auch Alarm, Alarm hat eine große, fast existenzialistische Ernsthaftigkeit: Da ist keine Ironie im Spiel und auch kein Humor, sondern Leidenschaft, Verzweiflung und auch Poesie. Bei einem Songtitel wie Ja ich pfeif auf deine Regeln würde man von Fritzi Ernst wohl Ungestüm erwarten, aber das Lied ist stattdessen ebenfalls ruhig und fast monoton. Es geht um Emanzipation, vielleicht von einem Elternteil, bei dem man erkannt hat, dass es eigentlich gar keine Legitimation (mehr) dafür gibt, es als Autorität zu betrachten. Mad World liefert die Erkenntnis, dass Fritzi Ernst auch Englisch kann und zudem in der Lage ist, diesem sattsam bekannten Lied von Tears For Fears einen eigenen Charakter zu verleihen. Märchen schließt das Album mit großer Lebendigkeit und viel Lust auf Wortspiele ab – und natürlich schließt es zugleich den Kreis, der mit dem Jo-Jo-Liebeskummer eröffnet wurde.