Bandfoto von Fortuna Ehrenfeld

Futter für die Ohren mit Fortuna Ehrenfeld, Explosions In The Sky, Gregor McEwan, The Kills und Animal Collective

Ob es nun das fünfte oder doch eher das achte Album seit 2016 ist, das Fortuna Ehrenfeld am 8. September veröffentlichen werden, wissen sie selbst nicht so genau. In jedem Fall ist die Band aus Köln äußerst produktiv und hat diesen enormen Output auch genutzt, um eine unnachahmliche Ästhetik zu definieren. Auf Glitzerschwein, so wird die neue Platte heißen, bewegt sich diese „zwischen Flüsterkneipe und Rave, zwischen Tom Waits und Fatboy Slim, zwischen NDW und Bossa Nova“, wie das Presse-Info ankündigt. Einen prominenten Beat und elektronische Elemente gibt es tatsächlich auch zu Beginn der Vorab-Single Als unsre Gegenwart Science-Fiction war (***1/2). Danach erweist sich der Song aber nicht als Tanzflächen-Feger (das Albumcover zeigt eine Discokugel!), sondern als verschlafene Ballade mit Nuschelgesang und wieder einmal grandios-romantisch-verschrobenen Zeilen wie diesen: „Wir gehen jetzt schaukeln und dann schau’n wir uns mal an / wie man aus dem, was Schrott ist, Neues bauen kann.“ Natürlich kann man darin Bestandsaufnahme und Gesellschaftskritik erkennen, man kann einen Aufruf zur Weltflucht oder zur Revolution hineininterpretieren, Nostalgie ebenso heraushören wie die Sehnsucht nach einer neuen Utopie. Vor allem aber erkennt man – was auch der Clip wunderbar unterstreicht – auch in diesem Lied wieder einmal Martin Bechler als Melancholiker mit Lust auf große Geste, Eskalation und notfalls auch etwas Klamauk. Am 29. September spielen Fortuna Ehrenfeld im Kupfersaal in Leizpig.

In der Zeit, in der Fortuna Ehrenfeld das oben erwähnte Oeuvre erschaffen haben, gab es von Explosions In The Sky in puncto neuer Musik genau: nichts. Jetzt ist die Pause der Band aus Austin beendet, mit End wird es am 15. September ein neues Album geben. „Unser Ausgangspunkt war das Konzept eines Endes – Tod oder das Ende einer Freundschaft oder Beziehung“, erklärt das Quartett zum prägenden Thema der sieben neuen Songs. „Vielleicht liegt es in unserer Natur, aber wir hatten immer das Gefühl, dass der Albumtitel letztlich viel mehr Interpretationsspielraum lässt – das Ende einer Sache oder einer Zeit kann einen Schlusspunkt bedeuten, aber auch einen Anfang, und was nach dem Ende einer Sache passiert, verblasst möglicherweise im Vergleich zu dem, was danach kommt.“ Das erste Lied der Platte ist auch der erste Vorab-Track. Ten Billion People (***1/2) nimmt viel Anlauf, trotzdem ist schnell Spannung da. Warum Explosions In The Sky ihre instrumentalen Tracks gerne als „kathartische Mini-Symphonien“ bezeichnen, wird auch hier schnell deutlich, denn der Song hat Kraft, Eleganz – und für ein Musikstück ohne Text und Gesang eine erstaunliche erzählerische Dynamik.

Auch Alison Mosshart und Jamie Hince haben sich fast sieben Jahre Zeit gelassen, um neue Musik als The Kills vorzulegen. Jetzt gibt es gleich zwei neue Songs, die jeweils an einer der amerikanischen Küsten verortet sind. Während LA Hex (***1/2) getragen und cool daher kommt, vereint die Single New York (****) ein schräges Ensemble aus Gitarren / Streichern / Bläsern, das an Led Zeppelin ebenso denken lässt wie an Avantgarde und statt Akkordfolgen oder Flächen eher so etwas wie Punches setzt. Das ist sexy, überraschend, gefährlich und wild entschlossen wie die beiden Boxer im Videoclip. Rund um die beiden Veröffentlichungen planen The Kills übrigens allerlei Besonderheiten, nicht nur beim Format (es gibt eine limitierte 2-Track-7″-Edition, wobei Alison Mosshart selbst die Plattenhüllen gestaltet hat), sondern auch mit exklusiven Merch-Pop-ups in New York (im Studio des legendären Rock- und Modefotografen und Metaverse-Pioniers Steven Sebring an der Lower East Side) und Los Angeles (inklusive DJ-Set im Viper Room).

Bei Album #5 ist Gregor McEwan mittlerweile in seiner Karriere angekommen, und so eine Platte wie die nun anstehende wollte er schon immer machen: alles alleine eingespielt, Gesang und Westerngitarre als einzige Bestandteile. Eigentlich war diese Platte aber irgendwann um das Jahr 2060 herum geplant, als Alterswerk im Stile von Johnny Cashs American Recording. Nun kam es anders, wobei vor allem Covid und die Folgen eine Rolle spielten: Keine Tourneen => viel Zeit => neue Songs => Kontaktbeschränkungen => Plattenaufnahmen fast ohne Mitstreiter. Going Solo heißt entsprechend das Werk, das am 1. September erscheint und von Linus Volkmann im Pressetext als „sein Schlüsselwerk, sein Weißes Album“ angekündigt wird. In der Tat zeigt auch Halo: Reach (****), das als letzte Vorab-Single erscheint, wie souverän Gregor McEwan mittlerweile sein Metier betreibt, wie inspiriert das Gitarrespiel ist, wie einnehmend die Stimme, wie originell die gedanklichen Ansätze, die er in Songs verwandelt (der Songtitel verweist auf ein Egoshooter-Computerspiel und führt das im Text beispielsweise mit einer Anspielung auf Pat Benatars 1983er Hit Love Is A Battlefield zusammen). Das alles fühlt sich an, als würde man in seinen alten Lieblingspullover schlüpfen, so wohlig, so vertraut, so nah.

Wie sich Animal Collective wohl einen Soul Capturer (***1/2) vorstellen? Nach Angaben der Band handelt der neue Song, zugleich Auftakt des am 29. September erscheinenden Albums Isn’t It Now? von allen Dingen, die online versuchen, erst unsere Aufmerksamkeit und dann unser Wohlbefinden zu rauben. Das kann ein Pop-Up-Fenster sein, das sagenhafte Sonderangebote verspricht, eine Spam-Mail vom märchenhaften Prinzen, der seinen Reichtum verschenken will, oder eine Chatnachricht einer dringend liebesbedürftigen Schönheit. Hinter diesen Verlockungen steckt die Idee von Gier, zeigen Avey Tare, Panda Bear, Deakin und Geologist: Alles ist zwar vielleicht ganz gut gerade, aber es könnte eben noch viel schöner sein – und natürlich sollte man als vernünftiger Mensch diesem Gedanken widerstehen können, Dankbarkeit und Demut kennen. Wer das für Hippie-Philosophie hält, wird sich im Sound von Soul Capturer bestätigt finden, der hypnotisch, betörend und esoterisch klingt und wunderbar zu den Beach Boys gepasst hätte. Ansonsten benennen Animal Collective als wichtige Einflüsse für das mit Produzent Russell Elevado (D’Angelo, The Roots, Kamasi Washington) entstandene Album: Schlagzeug, Klavier und Musik der Renaissance.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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