Johnny Cash Solitary Man

Johnny Cash – „American III: Solitary Man“

Künstler*in Johnny Cash

Johnny Cash Solitary Man Review Kritik
„Solitary Man“ sollte eigentlich Abschluss der American-Recordings-Reihe sein.
Album American III: Solitary Man
Label American Recordings
Erscheinungsjahr 2000
Bewertung Foto oben: Flickr / Heinrich Klaffs / unter CC BY-NC-SA 2.0

Als der Rolling Stone 1997 eine Zusammenstellung der Platten veröffentlichte, die in den Augen der Redaktion als musikalische Meilensteine der 1950er Jahre gelten können, zählte dazu auch das Debütalbum von Johnny Cash. Das 1957 veröffentlichte Johnny Cash With His Hot And Blue Guitar! sei „eine Platte wie Granit, klar und wahr“, hieß es dazu.

Es ist wahrscheinlich die größte Leistung von Solitary Man (und der von Rick Rubin initiierten und produzierten American Recordings-Reihe insgesamt), dass man dieses Urteil auch hier fällen könnte. Also 43 Jahre später, über die Musik eines Künstlers, der nicht mehr am vielversprechenden Beginn einer Karriere steht, sondern mehr als 80 Alben veröffentlicht hat und von Krankheit gezeichnet ist. „Es geht um die letzten Dinge, jeder Song eine Endstation“, hat ebenfalls der Rolling Stone über Solitary Man angemerkt, das ursprünglich als Abschluss der Reihe mit sparsam arrangierten Coverversionen geplant war, auch wenn dann 2002 noch ein vierter Teil erschien, bevor Cash im Jahr darauf verstarb.

Auch hier gilt wieder, dass jedes Lied nicht nur durch die Autorität des damals 68-Jährigen besser wird, sondern erstaunlicherweise auch durch den Kontext des Albums. Diese Platte hat, genau wie dieser Mann, eine unnachahmliche Aura – und es ist natürlich kein Wunder, dass im Jahr 2000 wohl jeder Songwriter dieser Welt darauf gehofft hatte, Johnny Cash und Rick Rubin könnten eines seiner Stücke für diese Reihe auswählen und dadurch ultimativ adeln.

Die Tracklist liefert, wie bei den ersten beiden Folgen der American Recordings, wieder einige Songs, bei denen man im Rückblick staunt, dass sie nicht lange zuvor von Johnny Cash gesungen (oder gar gleich für ihn komponiert) worden sind, ebenso wie Stücke, die man niemals hier erwartet hätte. In die zweite Kategorie gehört I Won’t Back Down als Auftakt. Der Song von Tom Petty behält hier erstaunlich viel von seiner Jeff-Lynne-Ästhetik und wird dennoch komplett verwandelt, allein durch die Gravität dieser Stimme. Auch U2s One hätte man nicht unbedingt auf dem Zettel gehabt, so überzeugend diese Idee und vor allem diese Interpretation im Nachhinein auch wirkt. Johnny Cash zeigt, wie stark und wandlungsfähig dieser Song ist, Rick Rubin verfeinert das mit grandiosen Details wie der leisen Orgel in der „Have you come here for forgiveness“-Strophe.

Nobody ist ein uraltes Stück (es wurde 1950 geschrieben, also sogar noch lange, bevor der Man In Black seine ersten Aufnahmen machte) und zeigt den Künstler im leicht humorvollen Sprechgesangs-Modus à la A Boy Named Sue. Will Oldhams I See A Darkness ist ihm auf den Leib geschrieben, Cash zeigt sich „als waidwunder Bulle, der sich zum Elefantenfriedhof schleppt“ (Rolling Stone) und der Sound kreist um einen Schmerz, der ihm im Verlauf des Lieds erst selbst so richtig klar zu werden scheint. The Mercy Seat aus der Feder von Nick Cave ist ebenso kongenial: Da finden zwei zusammen, die im Herzen vielleicht eigentlich Prediger sind.

Country Trash offenbart auch nach einer sechs Jahrzehnte umspannenden Weltkarriere, dass immer noch ein bisschen gekränkter Stolz in Johnny Cash steckt, ein Wille, sich zu beweisen. In der Tat macht auch dieses Album deutlich, dass sich der Groll, der aus diesem Mann hervorbrechen kann, auch zu einem guten Teil auf das Musikgeschäft und die Art und Weise bezieht, wie er wahrgenommen wird (oder eben nicht). Auch das macht American Recordings im Rückblick zu solch einem Triumph: Spätestens mit diesen Platten stellte Johnny Cash sicher, dass er nicht als Folk-verliebtes Landei in Erinnerung bleiben würde, nicht als unberechenbarer Junkie und nicht als Künstler, der eigentlich schon in den Siebzigern als einer „von gestern“ galt, sondern als ein Monolith, der niemals Angst davor hatte, Grenzen zu überschreiten, der Generationen geprägt und sich dabei niemals verbogen hat.

Neil Diamonds Solitary Man passt tatsächlich so gut zu ihm, dass es dem Album zurecht gleich den Titel gegeben hat. In Field Of Diamonds merkt man hingegen nichts von seinem Legenden-Status: Es klingt, als würden da einfach ein paar Leute zusammen ein Lied singen, so organisch, spontan und ursprünglich wie vor 100 Jahren. Would You Lay With Me (In A Field Of Stone) zeigt, wie viel Romantik auch in dieser Stimme stecken kann, I’m Leavin‘ Now besingt hingegen das Ende einer Beziehung, wobei das nicht traurig, sondern erleichtert klingt, nicht nach Niederlage, sondern nach Aufbruch.

Blasphemie klang selten so ehrwürdig wie in That Lucky Old Sun (Just Rolls Around Heaven All Day). Auf die Tatsache, dass Johnny Cash im Jahr 2000 nicht nur dieses neue Album veröffentlichte, sondern auch eine Compilation, die Lieder aus seiner gesamten Karriere nach den Kategorien „Love“, „God“ und eben „Murder“ sortierte, verweist auch Mary Of The Wild Moor, in dem er zum Märchenonkel wird, auch wenn diese Märchen grausam, düster und natürlich ohne Happy End sind.

Der Album-Abschluss Wayfaring Stranger ist wieder so ein Fall von einem Lied, das wie geschrieben wirkt für diesen Mann, mit dieser Historie voller Rausch und Reue, für diesen Moment, in dem er weiß, dass er sich bald vor seinem Schöpfer wird richten lassen müssen. „Das Wissen, dass Cash auf beiden Seiten jener dünnen Linie zuhause war, die Sünde und Erlösung voneinander trennt, verstärkt nur die Aura der Integrität, die ihn umgibt“, hat Anthony DeCurtis im Rolling Stone dazu geschrieben. „Es ist die mutige Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit, der unbegreiflichen Vorstellung, all die Freuden und Sorgen des Lebens hinter sich lassen zu müssen. Kaum denkbar, dass irgendjemand außer ihm so ein Album hätte machen können.“ Auch er formuliert übrigens einen Satz über das Frühwerk von Johnny Cash, der sich mühelos auf American III: Solitary Man übertragen lässt: „Er meißelte einen Sound, der nur noch Haut und Knochen war, ohne eine einzige überflüssige Note.“

Der Titelsong mit Lyrics im Video.

Website von Johnny Cash.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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