Antilopen Gang – “Adrenochrom”

Künstler Antilopen Gang

Antilopen Gang Adrenochrom Review Kritik
Das zweite Album innerhalb eines halben Jahres legt die Antilopen Gang mit “Adrenochrom” vor.
Album Adrenochrom
Label Antilopen Geldwäsche
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Natürlich haut die Antilopen Gang aus Anlass von Adrenochrom wieder mächtig auf die Kacke. Zugleich kann man rund um die Veröffentlichung dieser im Lockdown entstandenen Platte auch reichlich Understatement beobachten. Schließlich haben sie in diesem Jahr, allerdings vor Corona, mit Abbruch Abbruch schon ein Album veröffentlicht. Im Begleittext zur neuen Platte kann man Zeilen wie „Sind die Zeiten schwer, wird die Musik der Antilopen Gang leicht“ lesen, auch Begriffe wie „locker“ und „intuitiv“ finden sich da, die Rede ist zudem von „Gelächter“ und „lebensnotwendiger Sprücheklopferei“. Es gab keine Promotion-Phase für Adrenochrom, es wird auch keinen physischen Tonträger geben. „Wir haben das Album im Internet geschrieben und nun geben wir es dem Internet zurück. Das Internet hat uns durch diese schwere Zeit gebracht, wir sind es ihm schuldig“, sagt die Antilopen Gang dazu.

Fast könnte man da meinen, sie betrachteten die ganze Platte als Nebenprodukt, quasi als einen Skit zwischen zwei regulären Veröffentlichungen. Auch der Auftakt deutet in diese Richtung, denn der erste Track heißt Plan B. Vielleicht ist das auch so gemeint: Dieses Album ist ein Ersatz für die Konzerte und Festivals, die als Plan A leider ausfallen mussten (jetzt ist für Frühjahr 2021 die “Aufbruch Aufbruch”-Tour geplant). Doch dass sie sich mit Nebenher keineswegs abgeben, stellen Koljah, Panik Panzer und Danger Dan nicht nur mit der Zeile „Wir sind die wichtigste Rap-Crew Europas / musikhistorisch bedeutend wie Mozart“ klar.

Trotzdem ist Adrenochrom (das ist kein Kunstbegriff, sondern der Stoff, der entsteht, wenn Adrenalin oxidiert) tatsächlich vor allem getragen vom Entschluss, zusammen eine gute Zeit zu haben, notfalls eher mit Insider-Jokes als Tiefgang und Klamauk statt Gesellschaftskritik. In der Latin-angehauchten Single Army Parka feiern sie ihre Schlitzohrigkeit, Pack It Up macht nicht nur durch das House Of Pain-Zitat viel Spaß, in Kuckuckskinder lassen sie die Konkurrenz wissen: „Ich bin HipHop sein Vater und ihr seid seine Kuckuckskinder.“ Auch Anführer deiner Feinde ist eine Kampfansage, wird bei aller Härte aber auch etwas plump. Die Botschaft von Pepsi und Basmatireis lautet: Wir sind uns selbst noch immer die liebste Gesellschaft, außerdem unberechenbar, notfalls sogar gefährlich.

Freilich wäre dies nicht die Antilopen Gang, wenn man auf Adrenochrom (die Tracks wurden produziert von Ghanaian Stallion, Shuko, Faluti, Fonty, Yourz, Tombs Beats, Provo, C.O.W. und der Gang selbst) nicht doch den einen oder anderen Blick auf den Wahnsinn dieser Zeiten finden würde. Globuli erweist sich als ihr „Anti-Aluhut-Song“, in Dirty Chai erscheinen sie erst als Spinner und Witzbolde, bis man bemerkt, dass es der kritischste Song der Platte ist, sogar eine Abrechnung mit der (gesellschaftlichen) Unvernunft. Den Titel von Warum sollte ich könnte man für phlegmatisch halten, aber er ist in Wirklichkeit ein Aufruf zu Autonomie und Kritik. Im Album-Abschluss Name und Adresse klingt die Gang sogar erstaunlich erwachsen. Vielleicht am typischsten für diese Platte ist Hokus Pokus. Darin wird Abbruch, Abbruch noch einmal erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit dem Begriff „Bonus“, was Adrenochrom ebenfalls treffend verortet. Zudem kann man darin die Ankündigung „Ab jetzt alle paar Monate Release Day“ finden. Bei dem Qualitätsniveau, das die Antilopen Gang auch hier bietet, klingt das wie ein Versprechen.

Ladendiebstahl, Corona-konform, präsentiert das Video zu Army Parka.

Website der Antilopen Gang.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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