Antilopen Gang – „Abbruch Abbruch“

Künstler Antilopen Gang

Antilopen Gang Abbruch Abbruch Review Kritik
Zugriff? Die Antilopen Gang will lieber das Gegenteil, in ganz vielen Kontexten.
Album Abbruch Abbruch
Label JKP
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Der Abbruch wäre für die Antilopen Gang naheliegend gewesen, als die erste Inkarnation dieses Kollektivs auf tragische Weise zu Ende ging. 2013 nahm sich NMZS das Leben, aus dem Quartett wurde ein Trio, das fortan vor der Frage stand: Sollen wir weitermachen? Die Antwort lautete: Unbedingt, und diese Entschlossenheit ist der Treibstoff von dem die 2009 gegründete Band aus Düsseldorf und Aachen auch heute noch befeuert wird.

2013, das erste Lied auf ihrem heute erscheinenden dritten Album, erinnert an diesen Moment, an den Neuanfang nach Schock und Trauma, an die gemeinsame Entscheidung zum Weitermachen und zum Dranbleiben angesichts der Erkenntnis: Diese Gang ist wichtig für unsere Identität, für unser Leben. Vielleicht sogar das Wichtigste.

Auch vor drei Jahren hätte für Danger Dan, Koljah und Panik Panzer vielleicht ein guter Zeitpunkt für eine Exit Strategie sein können. Damals hatte das Album Anarchie und Alltag die Spitze der deutschen Charts erreicht, im Sinne von „Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören“, hätte man die Gang damals auflösen können, vielleicht auch angesichts der zahlreichen und durchaus erfolgreichen Soloaktivitäten des Trios.

Stattdessen gibt es erst jetzt Abbruch, dafür sogar gleich doppelt. Was die Antilopen Gang mit Abbruch Abbruch meint, ist das Gegenteil von „Zugriff“. Im Albumtitel steckt also der Appell: Wir sollten uns keine blinde Entschlossenheit einreden lassen, keinen Aktivismus und keine unerschütterlichen Gewissheiten. Stattdessen sollten wir zweifeln, auf die Bremse treten, ausscheren aus den gewohnten Pfaden. Das führt zu vielen höchst überraschenden Ergebnissen und einem spektakulär eigenständigen und sehr überzeugendem Album.

Die Single Trenn dich zeigt recht deutlich, mit wie viel Lust sie das vermeintlich Normale ins Gegenteil verkehren. Hier wird nicht ums Kämpfen für die kriselnde Beziehung geworben, wie sonst so gerne in Liebesliedern. „Schluss machen ist besser als Frust tragen“, heißt stattdessen das Prinzip, einschließlich des Hinweises: Die Möglichkeit zur Trennung (und zugleich: der Anspruch auf eine glückliche Beziehung) ist eine Errungenschaft der Moderne, keineswegs eine historische Selbstverständlichkeit. Statt Landlust erkennen sie in der Provinz mit ihrem Kleingeist, ihrem Traditionsbewusstsein und ihrem Lokalpatriotismus das Zentrum des Bösen. Bei den anstehenden Konzerten dürfte Smauldo ein Kracher werden. Die Analyse darin lautet: Alle geben viel zu viel Meinung (und dabei fast nur Banalitäten) von sich, trotzdem fordern sie nicht nur Aufmerksamkeit dafür ein, sondern sogar Zustimmung. Die unmissverständliche Antwort der Antilopen Gang auf dieses Grundrauschen aus heißer Luft heißt: Halt dein Maul!

Besonders eindrucksvoll funktioniert diese Herangehensweise auf Abbruch Abbruch, wenn Danger Dan, Koljah und Panik Panzer sie auf sich selbst beziehen. Der Ruf ist ruiniert ist hart, dreckig und aufgebaut rund um das Eingeständnis, dass dieses Image erstens selbst verschuldet (und nicht etwa Folge einer Verschwörung gegen sie) und zweitens gut fürs Geschäft ist. Auch Wein zu Wasser gesteht ein: Wir sind destruktiv, zerstörerisch, widersprüchlich, ein Fluch und eine Plage. Wie wir leben seziert Schein und Sein und erkennt dabei genau, wie oft wir uns etwas vormachen, über unsere Gesundheit und viele Lebensbereiche jenseits davon. Den Vogel in dieser Hinsicht schießt Bang Bang ab. Der Track erweist sich als Sammlung erstaunlich offenherziger Berichte von meist peinlichen Versuchen, die eigene Unschuld zu verlieren, resultierend in der Botschaft: Macht nicht so viel Aufhebens um Sex. Das ist höchst ungewöhnlich, nicht nur im hormongetriebenen Rap.

Auch nicht gerade erwartbar ist das Lied gegen Kiffer, dessen Aussage tatsächlich lautet: Kiffen ist scheiße. Das kann man nur dreimal unterstreichen, zumal die Gang das erstaunlich wenig oberlehrerhaft rüberbringt. Auch Kluk bricht ein typisches HipHop-Klischee, nämlich den Stolz auf die eigene Herkunft und den beschwerlichen Werdegang. Hier wird er relativiert, nicht nur in der Schreibweise „Wir sind so kluk.“ Das Ego wird heruntergefahren und die Demut wird entdeckt beim Blick auf die eigene Biographie. Das Narrativ „Ich bin mir immer treu geblieben und habe genau das erreicht, was ich immer wollte“ gibt es auch hier, es wird aber angereichert um den Gedanken: „Ich weiß auch, dass dabei längst nicht nur Ehrgeiz und Talent eine Rolle spielten.“ In Reimform übertragen heißt das dann: „Fleiß oder Schweiß können vielleicht sogar Früchte tragen / aber besser ist es, einfach nur Glück zu haben.“

Roboter wird die Antilopen-Hymne zur Industrie 4.0 (und darüber hinaus zur Uniformität). Keine Party macht aus dem Frust übers Älterwerden und der Enttäuschung, dass selbst am Geburtstag so wenige Leute an einen denken, eine spektakuläre Rachefantasie, die auch deshalb beeindruckend ist, weil es im Sound einer Philipp-Poisel-Klavierballade umgesetzt ist. Auch an vielen anderen Stellen findet das Münchener Produzentenkollektiv C.O.W. immer wieder klasse Klänge für die vielen guten Textideen dieses Albums.

Abraxas beschließt das Album als Abschiedsgruß an die Kneipe, die einst zum Zufluchtsort wurde, für die Antilopen Gang, für viele andere Gäste, sogar für die Wirte selbst. Wünsch dir nix ist kein Diss gegen ihre Label-Bosse, sondern verweist darauf, dass Illusionen als einziger Strohhalm im Leben nichts helfen, erst recht nicht, wenn man im tiefsten Inneren ein Trottel und Grantler ist. Auch darin steckt der Hinweis: Ich bin selbst verantwortlich für mein Glück, und ich komme damit klar. Auch mit den Fehlern, die ich gemacht habe. Auch mit den Chancen, die ich verpasst habe.

Abbruch Abbruch ist damit nichts weniger als ein Triumph. Mehr kann man nicht erwarten von einem HipHop-Kollektiv, das auf eine zehnjährige, turbulente Geschichte zurückblickt: Die Antilopen Gang ist hier erwachsen, vielseitig, abwechslungsreich, stolz und selbstironisch – also sehr vieles, was fast alle ihrer Wegbegleiter und Nachgeborenen nicht sind.

Beim Lied gegen Kiffer sind natürlich auch die Drukos ein Fest.

Website der Antilopen Gang.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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