BC Camplight – “Shortly After Takeoff”

Künstler BC Camplight

Shortly After Takeoff BC Camplight Review Kritik
“Shortly After Takeoff” sieht BC Camplight als Abschluss einer Trilogie.
Album Shortly After Takeoff
Label Bella Union
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Natürlich kann man auch über den Tod lachen. „Meistens hat, wenn zwei sich scheiden, einer etwas mehr zu leiden“, hat Wilhelm Busch schon geschrieben. Woody Allen witzelte später: „Ich habe nichts gegen den Tod, Ich möchte nur nicht dabei sein, wenn es passiert.“ Es gibt mittlerweile Vorträge auf Palliativstationen, wie Humor den Betroffenen, den Angehörigen und nicht zuletzt dem Personal helfen kann, die Situation zu ertragen. Es gibt lustige Traueranzeigen, es gibt auch einen Comic von Roz Chast, der auf spaßige Weise den Tod der Eltern thematisiert. Bei genauerer Betrachtung ist all das nichz allzu überaschend: Humor schafft Distanz zum Leid.

Auch Brian Christinzio alias BC Camplight kennt diese Methode. Ghosthunting, das zweite Lied auf dieser heute erscheinenden Platte, beginnt er mit einem fiktiven Stand-Up-Auftritt, wie er sie in seinen abenteuerlichen Liveshows gelegentlich auch in Wirklichkeit einstreut. Er macht darin Witze über Begegnungen mit dem Geist seines gerade verstorbenen Vaters. Auch das ist offensichtlich ein Versuch der Bewältigung mittels Humor. Denn Grund zum Kummer hatte der aus Philadelphia stammende Künstler zuletzt reichlich: Er musste seine Wahlheimat Manchester aus Visum-Gründen zeitweise verlassen, dann machte sich eine neurologische Krankheit wieder bemerkbar, die jahrelang keine Beschwerden mehr bereitet hatte, dazu kam der plötzliche Tod seines Vaters.

„Ich will den Hörer in diese Situation hineinziehen und hoffentlich fragen sie sich, warum sie sich darin unwohl fühlen“, umschreibt BC Camplight sein Ziel. Im erwähnten Ghosthunting tut er dies zunächst mit betont softem Gesang zu Harfe und Streichern, bevor mit denselben Instrumenten eine recht rabiate Passage als Kontrapunkt entsteht. Dieser Kontrast ist typisch für Shortly After Takeoff, an dem Adam Dawson (Schlagzeug) und Francesca Pidgeon (Gesang, Saxofon, Klarinette) mitgewirkt haben. BC Camplight attestiert sich eine “ziemlich kurze Aufmerksamkeitsspanne“, und das wird hier immer wieder deutlich. I Want To Be In the Mafia ist plakativ und geheimnisvoll, integriert beispielsweise eine singende Säge, 80er-Keyboards und eine schneidige Gitarre. Born To Cruise schwankt zwischen versonnen und leidenschaftlich, rund um die ebenfalls augenzwinkernde Zeile „Nobody tells me how awesome I am.“ I Only Drink When I’m Drunk, vom Künstler sehr treffend umschrieben als „Hank Williams auf Hustensaft, der von wilden Gitarren aus dem Schlaf gerissen wird“ ist ein zunächst reduzierter Beginn für die Platte, bis der Vocoder-Refrain einsetzt und es am Ende doch recht voluminös wird.

Die Platte betrachtet BC Camplight als „eine Analyse von Wahnsinn und Verlust. Ich hoffe, sie löst eine längst überfällige Debatte aus.“ Die Auswirkungen von psychischen Krankheiten hat er in seiner Musik stets reflektiert, auch auf den beiden Vorgängern How To Die In The North (2015) und Deportation Blues (2018), die er nun gemeinsam mit diesem Album als „Manchester Trilogie“ bezeichnet. „Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass dies keine Geschichte von Erlösung ist. Ich bin ein Typ, der vielleicht ein bisschen hart lebt und mitten in einigen schwierigen Problemen steckt. Aber ich denke, ich habe mein bestes Album gemacht.“

Als perfekte Zusammenfassung von Shortly After Takeoff betrachtet er Back To Work. „Die Strophe wirkt noch recht schlüssig. Als du dann gerade denkst, du hast sie verstanden, kommt wie aus dem Nichts dieses Boom Boom. Das ist der unendliche Kreislauf von psychischen Krankheiten“, beschreibt er das Lied, das mellow beginnt und dann seltsam abstrakt wird. Cemetery Lifestyle nimmt eine noch wildere Entwicklung: Die ersten Sekunden wirken wie aus einem Punk-Proberaum, dann setzt, genauso überraschend, ein ELO-Gedächtnis-Refrain ein. Der Titelsong Shortly After Takeoff vereint Klavier, Gesang und einen elektronischen Beat. Das Ergebnis zeigt, dass es eine ungeahnte Mitte zwischen Alex Cameron und Rufus Wainwright gibt.

Arms Around Your Sadness ist als niedliche Ballade einer der wenigen Momente auf Shortly After Takeoff, der keine offensichtlichen Brüche oder doppelten Böden hat. In diese Kategorie gehört auch der Album-Abschluss Angelo. Das Stück trägt den Namen des Vaters und lässt einen engelsgleichen Frauenchor auf fast meditative Trommelschläge treffen, die den Herzschlag repräsentieren und schließlich verstummen. Den Albumtitel wählte BC Camplight übrigens, weil sich die Wucht des Lebens („Ich bin in eine Spirale geraten, die schlimmer war als alles, was ich seit meinen Zwanzigern erlebt habe.“) für ihn so anfühlt wie die Beschleunigung, die Astronauten kurz nach einem Raketenstart in den Sitz drückt. „Ich wollte eine Platte machen, die völlig frei von Selbstmitleid und Ironie ist, die einfach klar und offen und ehrlich ist. Textlich wollte ich, dass die Leute mich diesmal verstehen können. Wenn ich früher über das Sterben meines Vaters geschrieben hätte, wäre vielleicht ein seltsamer Bullshit dabei herausgekommen wie eine Analogie über einen Baum, der Blätter abwirft oder so. Dieser Brian ist weg. Ich habe jetzt einen direkten Draht zum Hörer. Ich habe auch einen direkten Draht zu mir. Es ist ein Benchmark-Moment für mich.”

Die offiziellen Manchester-Meisterschaften in “Schere, Stein, Papier” zeigt das Video zu Cemetery Lifestyle.

Website von BC Camplight.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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