Bill Ryder-Jones Iechyd Da

Bill Ryder-Jones – “Iechyd Da”

Künstler*in Bill Ryder-Jones

Bill Ryder-Jones Iechyd da Review Kritik
Im eigenen Studio hat Bill Ryder-Jones “Iechyd da” produziert.
Album Iechyd Da
Label Domino
Erscheinungsjahr 2024
Bewertung Foto oben: (C) Domino / Marieke Macklon

Man kann sehr viele interessante Fakten zu Iechyd Da benennen, dem fünften Soloalbum von Bill Ryder-Jones. Weiter unten soll das auch geschehen. Eingangs aber kann man sich stattdessen auch auf einen ganz speziellen Moment, eine einzige Silbe konzentrieren, um die Wirkung dieser Musik zu beschreiben. Dieser Moment ereignet sich in We Don’t Need Them, dem vierten Track der Platte. Es gibt darin, wie in etlichen weiteren der insgesamt 13 Songs, einen Kinderchor und Streicher. Und es gibt einen Refrain, in dem die Titelzeile erklingt. Die letzte Note, das “them” in “We don’t need them” singt Bill Ryder-Jones dabei viel länger, als er den Ton halten kann. Sein Gesang wird brüchig. Und genau das ist bezeichnend. In diesem beinahe wegsterbenden Ton kann man den Kampf um Glück im Leben erkennen, genauso wie die Entschlossenheit, an große Träume zu glauben – also genau die Themen, um die es auch diesmal wieder geht bei diesem Künstler, der Gründungsmitglied von The Coral war und danach beispielsweise auch mit den Arctic Monkeys oder Graham Coxon zusammengearbeitet hat.

Viele der Lieder auf Iechyd Da (das ist Walisisch und bedeutet “gute Gesundheit”, die Hälfte seiner Familie stammt aus Wales) sind reduziert zu Beginn und betörend am Ende, manchmal gibt es auch von Anfang an die ganz große Geste wie in This Can’t Go On. Bill Ryder-Jones bringt dabei einerseits seine umfangreiche Erfahrung als Produzent für andere Acts ein (“Im Grunde genommen mache ich wieder mit mir selbst weiter, aber dieses Mal bin ich als Produzent ein bisschen kompetenter.”), andererseits hatte er bei den Aufnahmen in in seinen Yawn-Studios in West Kirby einfach Lust, noch eine Schippe drauf zu legen. So gibt es statt Gesang in …And the Sea… eine Passage aus Ulysses, die sein Mitstreiter Mick Head vorliest, und als Schlusspunkt ein instrumentals Schlaflied namens Nos Da (“Gute Nacht” auf Walisisch). “Ich dachte mir, ich werfe einfach alles in die Waagschale und hole auch noch ein paar Kinder dazu”, sagt er zur ebenfalls für Experimentierfreude sprechenden Idee mit dem Nachwuchschor. “Es war so ein schöner Tag mit ihnen – sehr bewegend. Es ist ziemlich lustig, wenn Kinder singen, weil man merkt, dass sie sich nur auf die Energie einlassen und nicht auf den Klang.”

Sie glänzen beispielsweise in Nothing To Be Done, das zudem die Klaviermelodie aus It’s All Over Now, Baby Blue zitiert und deutlich macht, dass man auf große Gefühle auch mit einer nonchalanten Erkenntnis wie “It’s no one’s fault / there’s sometimes nothing to be done” reagieren kann. Diese Weisheit, die Fähigkeit, Dinge zu akzeptieren, die sich nicht ändern lassen, und das Wissen um die eigene Fehlbarkeit prägen Iechyd Da immer wieder. “Is it true? Do the good guys win? / Even then I’d have no idea which team I’m in”, heißt es passenderweise im selben Song.

“There’s something great about life”, stellt der 40-Jährige in It’s Today Again fest, irgendwie stimmt das ja auch, und irgendwie lässt er es wie eine überraschende (und erhebende) Erkenntnis klingen. “She looked at me and said that I was good / and I felt loved”, heißt es in Thankfully For Anthony. Später singt er darin “I know loss / but I chose love”: Das mag auf dem Papier wie eine Plattitüde aus dem Regal mit Restposten der Ratgeberliteratur wirken, aber hier klingt es so viel schöner und damit – natürlich – glaubhafter. Schon zuvor in How Beautiful I Am findet Ryder-Jones das Glück, die dafür eben manchmal auch nötige Zusprache und das Vertrauen in der Begegnung mit anderen. Und ohne ihm zu nahe zu treten: Das daraus entstandene Lied ist mindestens so wunderschön wie sein Sänger.

“Im Laufe der Jahre hat meine Musik ein wenig von ihrer Hoffnung verloren, denke ich”, lautet knapp 30 Jahre nach Beginn seiner Karriere seine Selbsteinschätzung. “Es war wichtig für mich, eine Platte zu machen, die mehr Hoffnung enthält. Selbst für meine Verhältnisse waren die vergangenen paar Jahre sehr schwierig, aber ich habe mich entschieden, sie mit positiverer Musik zu untermalen.” Man erkennt diesen Anspruch gleich zum Auftakt in I Know That It’s Like This (Baby), etwa in der romantischen Zeile “One kiss and I’m in heaven”, auch If Tomorrow Starts Without Me mit seinem gefälligen Groove und den tollen Streichern ist ein Beispiel dafür. Und als weiterhin großen Pluspunkt hat er ja auch noch diese immer etwas verschlafene Stimme, irgendwo zwischen Mark Oliver Everett (aber nicht ganz so vom Leben gezeichnet), Evan Dando (aber nicht ganz so putzig) und Lou Reed (aber nicht ganz so cool).

“Ich liebe dieses Album. Seit A Bad Wind Blows in My Heart war ich nicht mehr so stolz auf eine Platte”, sagt er in Anspielung auf sein 2013 veröffentlichtes Album, das hier auch im Titel von A Bad Wind Blows In My Heart Pt. 3 referenziert wird. Dieser Song zeigt noch so einen tollen Effekt der Musik von Bill Ryder-Jones: Es klingt immer, als wolle er trösten und habe zugleich selbst Trost nötig – so, wie es eigentlich für alle halbwegs sensiblen Menschen gelten sollte.

Kilometergeld bekommt (hoffentlich) der Darsteller im Video zu This Can’t Go On.

Website von Bill Ryder-Jones.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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