Die Höhle des Löwen

Für Oldtimer-Fans ist das Peugeot-Museum eine Fundgrube.
Für Oldtimer-Fans ist das Peugeot-Museum eine Fundgrube.

Seltsame Brüder müssen das gewesen sein. Vor fast zweihundert Jahren, als Napoleon gerade auf dem Weg nach Russland war, träumten sie hier schon von der Großindustrie. Mitten in einer Landschaft, die reichlich Wald zu bieten hatte und viel Wasser, aber wenig Rohstoffe und nur einen Hauch von Infrastruktur. Und dennoch hatten Jean-Frédéric und Jean-Pierre Peugeot die Vision, dass hier, in der Gegend, in der sie aufgewachsen sind, einmal Fließbänder rotieren und Stahlpressen lärmen würden. Mehr noch: Sie scheinen wohl sogar vor sich gesehen zu haben, dass man dem Werk, das sie begonnen haben, einmal ein Denkmal errichten würde.

Im Juli 1988 ist das tatsächlich geschehen. Die Gebrüder haben davon zwar nichts mehr mitbekommen. Doch das damals eingeweihte Musée de l’Aventure Peugeot zeugt trotzdem vom Stolz des zweitältesten Autoherstellers der Welt. Die Höhle des Löwen, die jedes Jahr etwa 90.000 Besucher anzieht, hat reichlich Faszinierendes zu bieten. Mehr als 200 Fahrzeuge aus drei Jahrhunderten gibt es auf einer Fläche von 6000 Quadratmetern vor den Toren der Fabrik in Sochaux zu bestaunen.

Am meisten beeindruckt dabei nicht der mehr als 600 PS starke Formel-1-Bolide oder der historische Feuerwehrwagen. Am meisten beeindruckt die Summe des Ganzen, genauer gesagt: die Vollständigkeit. Denn von Anfang an, seit Jean-Frédéric und Jean-Pierre Peugeot aus ihrer Kornmühle ein Stahlwerk machten, sammelten sie alles, was sie herstellten. Von jedem Produkt wurde ein Exemplar aufgehoben, für die Nachwelt. Und das ist bis heute so.

Es sind gerade die Kleinigkeiten aus der Anfangszeit wie Nägel, Stahlfedern und Sägeblätter, die am deutlichsten vor Augen führen, wie größenwahnsinnig die Idee in den Augen der Zeitgenossen gewirkt haben muss, als die Gebrüder zu Beginn mit der neuen Technik zu kämpfen hatten. Vielleicht mischten sich Jean-Frédéric und Jean-Pierre auch deshalb regelmäßig selbst unter die Arbeiter und machten sich höchstpersönlich die Finger schmutzig – auch dann noch, als sie schon längst wohlhabende Fabrikbesitzer waren.

Denn ihre Produkte wurden schnell zum Erfolg und zudem immer ausgereifter. Bügeleisen kamen hinzu und Metallringe, die dem Saum der Röcke den damals modischen Umfang verliehen. Und wenig später Pfeffer- und Kaffeemühlen, die man von Hand betreiben konnte – und die noch heute zu den Exportschlagern aus dem Hause Peugeot zählen.

Kaffeemühlen zählten zu den ersten Verkaufsschlagern aus dem Hause Peugeot.
Kaffeemühlen zählten zu den ersten Verkaufsschlagern aus dem Hause Peugeot.

In dieser Zeit wurde auch der Löwe zum Wappentier. Er sollte die Stärke und Qualität des Stahls aus der Grafschaft Montbéliard symbolisieren. Auch ein Elefant hatte zwischenzeitlich diese Funktion gehabt, selbst mit einem Stern schmückte sich die Firma eine Weile lang. Doch der Löwe setzte sich durch. Seit 1858 ist er ein eingetragenes Warenzeichen.

Dass er später auch als Kühlerfigur zu Ehren kam, liegt an einem anderen Träumer der Familie. Ende des 19. Jahrhunderts erschien die Idee, ein Auto zu bauen, nicht weniger verrückt als die Pläne der Firmengründer. Armand Peugeot war es, der aus dieser Vision Wirklichkeit machte. Weil das Geschäft mit den Kaffeemühlen und mittlerweile auch Fahrrädern so gut lief und sichere Erträge brachte, hatte er Mühe, seine Pläne durchzusetzen. Doch die Faszination Automobil hatte Armand Peugeot, der in England studiert hatte, längst gepackt. In seinem Bruder Eugène fand er einen nicht minder begeisterten Mitstreiter.

1890 kam das erste Peugeot-Automobil auf den Markt, damals noch mit einem Motor von Daimler-Benz. Ein Jahr später begann die Serienherstellung. “Aus heutiger Sicht mag das gewagt wirken. Aber es war keine Familie von Träumern. Die Peugeots waren immer auch knallharte Geschäftsleute”, sagt Heinzrudolf Oberhauser, der seit der Gründung 1988 im Museum für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Vorher hatte er in Sochaux an der Entwicklung des Geländewagens P4 mitgearbeitet. Seit 1912 rollen dort die Peugeot-Autos vom Band, nachdem das Stammwerk im Nahe gelegenen Audincourt zu klein geworden war.

In Sochaux ist Peugeot heute allgegenwärtig: Rund 15.000 Mitarbeiter hat die Fabrik. Mindestens jedes zweite Auto auf der Straße ist ein Peugeot – oder zumindest ein Citroën, der ebenfalls zum PSA-Konzern gehört, dem momentan sechstgrößten Autohersteller der Welt.

Dass hier heute ein Museum zur Reise in die Vergangenheit einlädt, ist einem weiteren Vordenker der Familie zu verdanken: Auf Pierre Peugeot geht die Initiative zur Gründung des Aventure Peugeot zurück. Und ein Abenteuer ist es wirklich: In einem Kinosaal erzählt Inspektor Columbo (natürlich aus seinem legendären Peugeot 403 heraus) die Geschichte des Unternehmens. Zu jeder Epoche gibt es die entsprechenden Dekorationen. Zeitgenössische Werbetafeln preisen die Vorzüge von Peugeot-Produkten an. Dazu erklingen Musik aus der Zeit, historischer Straßenlärm – und natürlich authentischer Motorensound.

Der Stand mit Autos aus der Zeit der Jahrhundertwende (hier ist beispielsweise der berühmte Vis á vis zu sehen) ist im Jugendstil gestaltet. Art Déco prägt die Umgebung der Abteilung für die Jahre 1905 bis 1918, in der unter anderem der erste echte Kleinwagen aus dem Hause Peugeot zu sehen ist: der damals enorm beliebte Typ 69, genannt Bébé. Ein besonderer Hingucker ist der 1934 gebaute Eclipse. Als weltweit erstes Cabrio mit einem Blechdach war er seiner Zeit sehr weit voraus. Das Lieblings-Exponat von Heinzrudolf Oberhauser kommt aus der Flower-Power-Ära. “Der 504 Coupé ist mein Favorit. Das Auto ist einfach harmonisch”, sagt er über das seit Ende der 1960er Jahre gebaute Modell.

Der Motorsport-Geschichte des französischen Herstellers ist ein eigener Bereich gewidmet. Auch die Fahrräder, die Peugeot zum Leidwesen vieler Franzosen seit 1987 nicht mehr produziert, bekommen ihren gebührenden Platz.

Dazu gibt es ein Restaurant und seit kurzem auch einen speziell auf Kinder abgestimmten Rundgang mit Spielen, süßen Leckereien und Fahrtsimulatoren. Auch die Großen können sich auf diese Weise am Steuer versuchen: Im Cockpit des 206 WRC kommt Rallye-Feeling auf. Notfalls stehen noch mehr Modelle zur Verfügung: 95 Prozent der Fahrzeuge im Museum sind noch fahrtüchtig. Sechs Angestellte, vom Tischler bis zum Sattler, halten den Fuhrpark in Schuss. Eine Ausfahrt in historischen Modellen gibt es allerdings nur für Ehrengäste. Alle anderen können zumindest davon träumen. Wie weit man auch damit kommen kann, hat die Familie Peugeot bewiesen.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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