Lisa Randall – “Dunkle Materie und Dinosaurier”

Autor*in Lisa Randall

Dunkle Materie und Dinosaurier Lisa Randall Kritik Rezension
Dem Wesen der dunklen Materie ist Lisa Randall in ihrem neuen Buch auf der Spur.
Titel Dunkle Materie und Dinosaurier. Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums.
Verlag S. Fischer
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Dunkle Materie und Dinosaurier. Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums bringt sehr vieles mit, was ein gutes populärwissenschaftliches Buch braucht. Erstens ist da die Kompetenz der Autorin. Lisa Randall, Jahrgang 1962, ist Professorin für theoretische Physik in Harvard und hat unter anderem mit Die Vermessung des Universums (2011) gezeigt, wie faszinierend sie ihr Forschungsgebiet darstellen kann.

Zweitens gelingt es ihr auch hier, ihr Sujet so anschaulich wie möglich zu vermitteln. Zur Erklärung werden Vergleiche mit George Clooney, sozialen Netzwerken oder Reisenden in einem Bahnhof herangezogen. Randall geht an mehreren Stellen des Buches auch auf Fragen ein, die nicht zum Thema gehören, von denen sie aber ahnt, dass der Leser sie sich bei der Lektüre stellt. Das ist nicht nur ein guter Service, sondern rückt oft auch den Fokus zurecht.

Nicht zuletzt versprüht sie die Begeisterung, die ein herausragendes Wissenschaftsbuch ausmacht. Dunkle Materie und Dinosaurier verbindet auf anregende und lohnende Weise neue Erkenntnisse aus Kosmologie, Evolutionsbiologie, Stringtheorie, Geologie und Teilchenphysik. „Randall zeigt, dass das Universum etwas Organisches, Symphonisches ist, zu dem die Myriaden von Teilen ihre eigenen Noten beisteuern“, hat das Time Magazine diesen Effekt zusammengefasst.

Das Buch macht zugleich deutlich, dass die Fragen, die sich aus der aktuellen Forschung ergeben, oft noch viel spannender sind als die Antworten. Lisa Randall zeigt mit etlichen Beispielen, wie viel wir nicht wissen, aber auch, wie oft der Geist durch Theorien und Modelle den Sinnen oder der Technik (also Messinstrumenten, mit denen sich Theorien und Modelle bestätigen lassen) erfolgreich voraus eilte.

Trotzdem ist dieses Buch kein Vergnügen. Das liegt zum einen daran, dass in der Kosmologie, die hier im Fokus steht, leider eine kaum zu fassende Begriffsverwirrung herrscht: Gase sind Flüssigkeiten, Asteroiden sind Zwergplaneten, für bestimmte Phänomene oder Größen gibt es manchmal zwei oder noch mehr parallele Definitionen. Das ist nicht der Autorin anzukreiden, macht es aber auch für den naturwissenschaftlich bewanderten Leser mitunter schwer zu folgen.

Noch schwerer wiegt der Etikettenschwindel, mit dem das Buch arbeitet. Im Original ist immerhin von „Interconnectedness“ [nicht: „Interconnections“] die Rede. Dort wird also etwas klarer, dass es ausschließlich um Aspekte innerhalb der Kosmologie und Astrophysik geht, nicht etwa um Zusammenhänge außerhalb dieser Disziplinen oder andere erstaunliche Phänomene der Welt. Doch auch die Erwähnung der Dinosaurier im Titel ist ärgerlich, denn sie führt in erster Linie zur sprunghaften Struktur dieses Buchs.

Immer wieder gibt es Einschübe, in denen Lisa Randall ihre Gliederung erklärt. Das deutet bereits darauf hin, dass sie ahnt, wie schwer es ist, eine eindeutige Umlaufbahn ihrer Gedanken zu identifizieren. Letztlich lenkt die Geschichte mit den Dinosauriern (als leicht durchschaubarer Vorwand, der das Marketing beflügeln und die Lektüre besser verdaulich machen soll) nur ab. Sie führt zu thematischen Ausflügen zu Massenaussterben, Geologie oder der Entstehung des Lebens auf der Erde. Dabei ist das eigentliche Thema des Buches Lisa Randalls Theorie von der Periodizität von Meteorideneinschlägen, die von einer dünnen Scheibe mit partiell interagierender dunkler Materie verursacht wird. Erst nach mehr als 300 Seiten kommt sie bei diesem Kern ihrer Ausführungen an.

Immerhin stellt sie selbst, hat man den Einband einmal überwunden, früh klar, worum es in diesem Sachbuch geht. „Dunkle Materie und Dinosaurier. Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums beschreibt, was wir heute über das Universum, die Milchstraße und das Sonnensystem wissen, und welche Voraussetzungen für eine bewohnbare Zone und das Leben auf der Erde gegeben sein müssen. (…) Ich will etwas über die vielen unglaublichen Zusammenhänge mitteilen, die uns überhaupt erst so weit gebracht haben, dass wir begreifen können, was sich heute abspielt“, schreibt Lisa Randall auf einer der ersten Seiten.

Das gelingt ihr, trotzdem bleibt der Gesamteindruck unbefriedigend. Das liegt auch daran, dass ihr Thema, zumindest für Laien, erschreckend wenig handfest ist. Ihre Kernthese verdeutlicht das: Aus einer hypothetischen Wolke (die noch niemand nachgewiesen hat) am äußersten Rand unseres Sonnensystems (über dessen tatsächliche Ausmaße gestritten wird) werden in regelmäßigen Abständen (wobei die Regelmäßigkeit bisher lediglich unterstellt ist) Himmelskörper abgelenkt, und zwar durch eine (derzeit nicht messbare) dünne Scheibe aus dunkler Materie (deren Wesen völlig unklar ist), was zu Einschlägen von Meteoriden auf der Erde führt, die sich aber oft nicht mehr nachweisen oder kaum zuverlässig datieren lassen, weil sie zig Millionen Jahre zurück liegen.

Natürlich gibt es Indizien für ihre Theorie, hoch abstrakt und vage bleibt sie dennoch. Viel stärker als die Entwicklung dieses Gedankengangs wird im Buch etwas anderes deutlich, nämlich wie Wissenschaft als System funktioniert. „Ich habe mich bemüht, in Dunkle Materie und Dinosaurier einen Eindruck vom Wesen naturwissenschaftlicher Forschung zu vermitteln und deutlich zu machen, wie wir unsere Kenntnisse festklopfen und darüber hinaus auf unbekanntes Terrain vorstoßen“, schreibt Lisa Randall im Schlusskapitel.

Eindrucksvoll ist dabei vor allem ihr Plädoyer dafür, sich die Fähigkeit zum wirklichen Neudenken zu bewahren und auch Gesetzmäßigkeiten in Betracht zu ziehen, die das komplett Andersartige repräsentieren. Lisa Randall begibt sich in eine Position, in der es zumindest für möglich gehalten wird, dass die Erkenntnisse von Einstein, Newton oder Kopernikus in der Welt der dunklen Materie unzutreffend sein könnten. Dieser Mut, verbunden mit dem großartigen Nervenkitzel, womöglich eine ganz neue Welt zu erkunden, ist ein großer Pluspunkt von Dunkle Materie und Dinosaurier. Genauso wie der Verweis auf die geradezu erhabene Komplexität der Wechselwirkungen im Universum, woraus eine erstaunliche Fragilität unserer Lebensbedingungen auf der Erde folgt – und der Appell an uns Leser, nicht selbst das Leben hier zu zerstören, bevor ein Komet oder Asteroid das erledigen kann.

Bestes Zitat: „Die Geschichte seiner Entdeckung [gemeint ist der Krater von Chicxulub] ist ein unglaubliches Beispiel für aktive Wissenschaft – mit klugen Vermutungen, Überprüfung und Verifikation kühner Hypothesen und Forschungsarbeiten in so weit voneinander entfernten Regionen wie Italien, Colorado, Haiti, Texas und Yucatán. Der Meteorid, der vor der mexikanischen Halbinsel einschlug, hatte auf unseren Planeten und seine Lebenswelt weitreichende Auswirkungen. Seine Herkunft und seine Folgen machen auf augenfällig Weise deutlich, welch dauerhafte Verbindung zwischen der Erde und dem Universum besteht.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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