Danger Dan Livealbum

Futter für die Ohren mit Danger Dan, Noel Gallagher’s High Flying Birds, Accidental Bird, Sweed und Gregor McEwan

Eine kleine Empfehlung an alle, die die Handynummer von Danger Dan haben: Es ist keine gute Idee, ihn am Vormittag des 4. Juni 2023 anzurufen. Denn höchstwahrscheinlich will der Mann, der als Daniel Pongratz geboren und zuerst als Mitglied der Antilopen Gang berühmt wurde, dann seine Ruhe haben. Vielleicht wird er auch ein bisschen verkatert sein. Denn in den Tagen unmittelbar vor diesem Datum hat Danger Dan reichlich zu feiern: Am 1. Juni wird er 40, am 2. Juni hat er viele musikalische Wegbegleiter*innen seiner Karriere und 15.000 Fans zu “40 Jahre Danger Dan: Das schönste (und längste) Fest meines Lebens mit all meinen Freundinnen und Freunden” in die Berliner Wuhlheide eingeladen, und am Tag darauf gibt es Teil 2 seines Geburtstagskonzerts, in genau derselben Größenordnung. “Ich habe sehr oft in meinem Leben meine Geburtstage öffentlich gefeiert, das hat bei mir Tradition”, sagt er zu dem Event. “Ich hoffe, dass wirklich alle meine Freundinnen und Freunde Zeit haben und kommen. Am liebsten sollen alle Leute, mit denen ich jemals Musik gemacht habe, ihren Platz finden, wenn sie möchten.” So viel Vorfreude und auch ein bisschen Stolz sind durchaus angebracht angesichts der irren Ereignisse in den beiden vergangenen Jahren. Am 30. April 2021 veröffentlicht Danger Dan das Album Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt, die darauf zu findenden Lieder zu Klavierbegeleitung sind eigentlich als nicht viel mehr als ein Privatvergnügen gedacht und als Nebenprodukt der Corona-Beschränkungen entstanden. Doch das Album sprengt diese geringen Erwartungen sofort und schwingt sich auch danach immer wieder zu neuen Höhen in der Gunst von Publikum und Kritik auf: Es erreicht die Spitze der deutschen Charts, wird in gediegenen Konzertsälen ebenso bejubelt wie von 6000 Punks beim Ruhrpott Rodeo oder im TV-Studio des ZDF Magazin Royale. “Wir haben so Leute an einen Tisch gebracht, die sich unter anderen Umständen niemals freiwillig an einen Tisch setzen würden”, sagt Danger Dan treffend über die Wirkung der Platte, die ihm obendrein den VUT-Award, den Preis für Popkultur und den deutschen Kleinkunstpreis eingebracht hat. Dass diese Erfolgsgeschichte einen würdigen Schlusspunkt verdient hat, liegt auf der Hand – und neben den Shows in der Wuhlheide wird das am 2. Juni erscheinende Livealbum Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Live in Berlin) wohl diese Funktion erfüllen. Aufgenommen wurde das Werk während vier Abenden im Berliner Admiralspalast, bei denen Danger Dan neben seinem Waldorf Zarenbourg Stage Piano wie bei etlichen Shows der Kunstfreiheit-Tour auch von einem Streicherquartett begleitet wurde. “Das Zusammenspiel mit dem Streichquartett hat mich unglaublich beflügelt, ich hab nicht nur ganz tolle Musiker gefunden, sondern vier neue Freunde”, sagt er. Wie das klingt, zeigt Ingloria Victoria (****) als erste Kostprobe – zwar ohne Streicher, aber mit guten Indizien dafür, warum diese Musik so sagenhaft gut funktioniert hat. Natürlich ist der Kontrast aus edlem Ambiente und Bomberjacke reizvoll, natürlich ist der Text ebenso launig wie treffsicher. Aber blickt man auf die Fans, erkennt man noch etwas anderes: Sie singen mit, trotz Schutzmaske, sie johlen und schmunzeln, und vor allem nicken sie ganz oft. Sie fühlen sich verstanden, abgeholt und repräsentiert von diesen Liedern – und sicher auch vom doppelten Mittelfinger, den es am Ende des Songs von Danger Dan gibt, und der auch das Cover seines Livealbums zieren wird.

Wenn am 2. Juni Council Skies erscheint, das vierte Studioalbum von Noel Gallagher’s High Flying Birds, dann wird es in Summe genauso viele Soloalben der beiden Gallagher-Brüder geben, wie sie einst gemeinsam als Oasis gemacht haben, nämlich sieben. Das dürfte unterstreichen, wie weit sich beide inzwischen von der einstigen Zusammenarbeit emanzipiert haben, zumal der Reflex, ihr neues Material mit den Großtaten aus den 1990er Jahren zu vergleichen, ohnehin bei den meisten Kritiker*innen abgestorben ist. Der neue Vorab-Track Dead To The World (****) unterstreicht jedoch wie die vorangegangenen Singles Easy Now und Pretty Boy, dass sich Noel Gallagher keineswegs im kreativen Niedergang befindet und schon gar nicht “dead to the world” ist, wie er im Text kokettiert. Das Lied verbindet Intimität und Größe, glänzt mit zurückhaltender Psychedelik und vielen Überraschungen im Arrangement. “Dead To The World ist mit einigem Abstand mein Lieblingsstück auf dem Album. Es hat diese Film-Noir-Atmosphäre und ist anders als alles andere, was ich bisher gemacht habe. Es ist sehr melancholisch, aber das mag ich. Ich bin ein Zwilling – ich bin ebenso aufgedreht wie niedergeschlagen, und der Trick ist, sich irgendwo in der Mitte einzufinden und das in Musik umzusetzen”, sagt der 55-Jährige. Ein Highlight sind die von Bandmitglied Rosie Danvers arrangierten Streicher, die in den Abbey Road Studio aufgenommen wurden (während der Rest von Council Skies mit Paul “Strangeboy” Stacey in Noel Gallaghers eigenen Lone Star Sound Recording Studios in London entstand). “Rosie versteht intuitiv, was ich tue. Und eine Woche lang Streicher in Abbey Road aufnehmen zu können – das ist eines der größten Privilegien, die man in einem Musikerleben haben kann. Es klingt majestätisch.” Immerhin einen Termin in Deutschland während der Tour zum neuen Album hat Noel Gallagher nun auch angekündigt: Am 6. November ist er mit den High Flying Birds in der Düsseldorfer Mitsubishi Electric Halle zu sehen.

Vor rund zwei Wochen hat der Weltklimarat seinen jüngsten Bericht vorgestellt und (erneut) schnellere und wirkungsvollere Maßnahmen gefordert, um die Erderwärmung zu begrenzen und das Risiko eines totalen Kollaps unserer Lebensgrundlagen zumindest noch zu reduzieren. Natürlich treibt dieses Thema auch etliche Musiker*innen um, so beispielsweise Niklas Schwedt alias Sweed. Er hat im vergangenen Jahr die EP Sweedlife mit dem Mini-Hit Stuck (mittlerweile rund 2 Millionen Streams auf Spotify) vorgelegt, war auf internationalen Festivals und im Vorprogramm beispielsweise der Leoniden zu sehen. Jetzt legt der Stuttgarter die Single Blue World (**1/2) vor. “Man kann aktuell ganz schön ängstlich werden in Anbetracht der Klimakrise. In Blue World habe ich versucht, meine Gefühle zu ordnen und in eine positive Richtung zu lenken. Ich wollte meine Verzweiflung verarbeiten, aber besonders Hoffnung den Ton angeben lassen – und hoffe, dass diese Energie auch da draußen ankommt”, sagt Sweed. In der Tat hat das Lied angesichts dieser Thematik neben dem etwas arg schlichten Text (“And we all just try to do something different / but we’re not listening”) erstaunlich viel Schwung, auch der eingängige Refrain und der hymnische Sound tragen dazu bei, eher die Hoffnung zu sehen als die Apokalypse. Vielleicht ist das ja der Soundtrack, den die Letzte Generation zur Aufmunterung braucht.

Einen anderen Zugang für dasselbe Thema wählt Stefan Honig, der nach seinen Aktivitäten bei/als Tour Of Tours, Benevolent und Honig mittlerweile als Accidental Bird firmiert. Er ist unter diesem Künstlernamen sonst gerne sanft und mellow unterwegs, gönnt sich angesichts des Blicks auf die Klimaveränderungen im neuen Song Climate Change (****) aber einen Wutausbruch. “Climate change / it’s happening / as we head for the cliff / and we brace for the fall / these gestures are well meant / I know / but these drops won’t replenish the ocean at all / this can’t be good / we should be worried”, singt er zu einer wilden Akustikgitarre und einem stoischen Beat. Der Refrain ist indes auch bei ihm famos melodiös und leitet zudem die nächste Zündstufe des Songs ein, die dann auch Bass, E-Gitarre und schließlich einen Chor beinhaltet. Das ist packend, aufrüttelnd und (was bei diesem Sujet nicht selbstverständlich ist) kein bisschen selbstgerecht. Mehr davon gibt es dann hoffentlichem auf dem Debütalbum von Accidental Bird, das The Old News Shrug heißen und am 21. April erscheinen wird.

Unwissenheit ist ja eines der Dinge, die einem wirkungsvollen Klimaschutz im Wege stehen, und sie spielt auch eine wichtige Rolle in der neuen Single von Gregor McEwan. Dem aus Haltern am See stammenden, derzeit in Berlin lebenden und bald nach Ostfriesland umziehenden Singer-Songwriter geht es aber nicht um die Erderwärmung, sondern um die Liebe. In My Little Girl (****) besingt er die oft vergessene Selbstverständlichkeit, dass man eine Nobelpreisträgerin genauso sehr lieben kann wie einen Schulabbrecher, dass geistige Tiefflieger und Menschen, denen das Etikett “bildungsfern” anheftet, natürlich nicht weniger intensiv, innig und wahrhaftig lieben als Intelligenzbestien und Hochbegabte. Im Gegenteil: Vielleicht gelingt es ihnen sogar besser, weil sie weniger Zweifel kennen und hier ein Feld für sich gestalten können, in dem es keine Qualifikation und keine Förderung von außen braucht, sondern bloß Reinheit des Herzens. Zu einem Open-D-Tuning singt er darüber, dass es völlig egal ist, wenn der/die Liebste noch nie von Bonusmeilen gehört hat, nichts über Aktienkurse weiß und auch keine Ahnung hat, wie man ein Auto fährt – nicht weil er/sie dumm ist, sondern weil diese Dinge in der eigenen Lebenswirklichkeit einfach nicht vorkommen. Es geht in einer großen Liebe eben nicht um geistigen Horizont, perfekte Weltgewandtheit oder großes Allgemeinwissen, sondern um immerwährendes Interesse aneinander, aus dem dann schließlich eine fast symbiotische Vertrautheit werden kann. “I don’t know anything / about life in this world / but I know most everything / about you, my little girl”, lauten die wunderbaren Verse von Gregor McEwan dazu. Wie schon auf seinen letzten Veröffentlichungen ist er in My Little Girl ganz bei sich, sein souveränes Songwriting und seine unnachahmliche Stimme brauchen keinen Pomp, um zu wirken. Am 20. September ist er in Leipzig im Horns Erben zu sehen.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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