Hayden Thorpe Moondust For My Diamond

Hayden Thorpe – “Moondust For My Diamond”

Künstler*in Hayden Thorpe

Hayden Thorpe Moondust For My Diamond Review Kritik
Die Grenze zwischen Wissenschaft und Religion betrachtet Hayden Thorpe.
Album Moondust For My Diamond
Label Domino
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung Foto oben: (C) Domino / Jack Johnstone

Wenn Musiker*innen sich für wohltätige Zwecke engagieren, dann dient das normalerweise dazu, ihren Drogenkomsum, ihre Steuerflucht oder ihren enormen Verschleiß an Sexualpartner*innen zu kaschieren. In den seltensten Fällen dürfte die Charity-Arbeit einen direkten Einfluss auf die Musik gehabt haben. Bei Hayden Thorpe, der nach seiner Zeit als Frontmann bei Wild Beasts nun mit Moondust For My Diamond sein zweites Soloalbum vorlegt, war das allerdings so.

Er hat sich vor der Arbeit an dieser Platte bei Wavepaths eingebracht, einer Initiative, die Musik in die psychedelische Therapie einbringt. Im Rahmen dieses Projekts spielte er beispielsweise Konzerte mit einem Gongspieler und einem Gitarristen bei Atem-Workshops. Die Patient*innen, die dabei das Publikum bildeten, lagen im Rahmen der Therapie auf dem Boden, weinten, schrien oder krümmten sich, wobei die Musik jeweils auf ihre Stimmung eingehen sollte. “Es war wild”, erinnert sich Thorpe. “Und ein Teil der Sprache aus diesen Experimenten ist direkt in das Album eingeflossen.”

So hat er beispielsweise die Texte auf Moondust For My Diamond nicht zielgerichtet geschrieben, sondern einfach die Worte genutzt, die ihm zugeflogen kamen und sich gut angefühlt haben. Viele der Verse sind ihm bei Spaziergängen im nordenglischen Lake District eingefallen, wo er lebt. “Wenn ich mich zu Fuß in die Wolkendecke begebe, fühle ich mich schwerelos, ich bin irgendwie losgelöst von den Belanglosigkeiten unter mir. Es ist eine Lebensaufgabe, nur einen Bruchteil dieses Gefühls einzufangen”, erzählt Thorpe, der bezeichnenderweise seine im vergangenen Jahr erschienene EP Aerial Songs genannt hat.

Die neuen Texte wagen sich einerseits an die ganz großen Themen (“Ich interessiere mich für das Zusammentreffen von Wissenschaft und Religion, für den großen Kampf um die Realität, der so viel von unserer Zeit prägt”, sagt Thorpe), andererseits haben sie immer wieder Zeilen, die tatsächlich direkt aus dem Therapiealltag kommen könnten oder auch als Kalendersprüche und für Ratgeber geeignet wären. “It’s only real if I make it”, singt er im Auftakt Material World. “Every step is right”, heißt es in Parallel Kingdom, in dem Bass und programmierte Beats für ein paar Muskeln, viele kleine Elemente indes für die Tiefe und Abwechslung sorgen.

Metafeeling kombiniert große Eleganz mit unnachahmlicher Leichtigkeit und dem Hinweis “Whatever was was, now what is is”. Aus Golden Ratio könnte man mit etwas Punch und Verzerrung einen Song machen, der neben Chris Rea und den Dire Straits auf eine “Drivers Rock”-Compilation passt, in diesem Fall scheinen die Zeilen “Now that I see, I want answers / now I wanna heal” von der Wavepaths-Erfahrung inspiriert zu sein.

Den passenden Sound für diesen Ansatz hat Thorpe gemeinsam mit den Produzenten Richard Formby und Nathan Jenkins erschaffen. Es gibt viel weniger Klavier als man es noch auf dem Solodebüt Diviner erleben konnte. Supersensual ist einer der Momente, in denen stattdessen die Gitarre deutlich als Ausgangspunkt erkennbar ist. In einem Track wie Suspended Animation (“Now that I got what I was asking for / I don’t want it so much anymore”, erkennt der Künstler darin) ist hingegen gar kein analoges Instrument mehr zu identifizieren, und damit ist das Stück eher typisch für Moondust For My Diamond.

Die Songs sind oft sphärisch, aber mit subtiler Spannung, die Stimme ist wieder irgendwo in der Nähe von Jimmy Sommerville oder Boy George und dabei so einschmeichelnd und angenehm, dass sie erstaunlicherweise fast schon wieder ein wenig distanziert wirkt. Ein Song wie No Such Thing beweist, dass jedes Detail auf dieser Platte wohlüberlegt, jeder Ton genau richtig gesetzt ist. Mit der Zeile “Within this skin I am boundless” gibt es auch hier ein bisschen Mini-Philosophie.

“Unsere ganze Gesellschaft ist darauf ausgerichtet, was wir anfassen können und was nicht. Unsere Haut ist nur 2 mm dick, wir sind nur 62 Meilen vom Weltraum entfernt, und jenseits dieser 62 Meilen liegt die Vergessenheit. Aber das ist kein erdrückendes, verzweifeltes Vergessen – es ist ein Kontrapunkt, um das schiere Wunder dessen zu verstehen, was wir sind, und die technischen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben”, meint Thorpe. “Diviner war eine Platte, die sehr stark auf die Innenwelt ausgerichtet war. Bei Moondust For My Diamond ist der Blick nach außen gerichtet. Was ist mit der Natur? Was ist mit dem Kosmos? Was ist mit all diesen Dingen, die die Tyrannei des Ichs durchbrechen? Unsere Sinnesorgane bringen die Welt doch in uns hinein, ich musste sie nur wieder heraussingen. Ich war wieder verzaubert vom Geheimnis der Wissenschaft und davon, wie ich in einer Zeit, in der die Messbarkeit das Evangelium ist, aus dem Herzen sprechen kann.”

Auch der Album-Abschluss Runaway World zeigt seine Originalität und seinen Anspruch als Texter ebenso wie sein Händchen für Melodie. Hotel November Tango hat “I lost my head to come to my senses” als einen der zentralen Gedanken und klingt wie eine Ballade von Hercules & Love Affair. Wichtig für die Dynamik von Moondust For My Diamond sind zugleich auch Momente mit mehr Präsenz wie The Universe Is Always Right, das eine dezente Tanzbarkeit offenbart, oder Rational Heartache, das die sehr romantische Zeile mit dem Albumtitel enthält und wie ein verträumter Moment von Hot Chip daherkommt.

“Ich wollte Körpermusik machen”, sagt Hayden Thorpe. “Ich wollte von Anfang an, dass dieses Album weich und treibend ist. Ich möchte, dass man es fühlt, bevor man es rational wahrnimmt.” Das hat geklappt.

Im Video zu Metafeeling ist der Lake District prominent im Bild.

Website von Hayden Thorpe.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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