Jan Delay – “Hammer & Michel”

Künstler Jan Delay

Nach Rap, Reggae und Funk nimmt sich Jan Delay nun den Rock vor.
Nach Rap, Reggae und Funk nimmt sich Jan Delay nun den Rock vor.
Album Hammer & Michel
Label Vertigo
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

Oha: Jan Delay macht Rock. Darf der das? Aber hallo! Es gibt kaum Gründe, ihn davon abzuhalten.

Erstens: Der Mensch namens Jan Phillip Eißfeldt hat Rap gemacht, Reggae und Funk, alles mit großer Stilsicherheit und höchstem Unterhaltungsfaktor. Nichts deutet darauf hin, dass er nicht auch mit Stromgitarren brillieren könnte.

Zweitens: Lagerdenken und Genre-Grenzen sind in der Musikwelt erfreulicherweise so gut wie verschwunden. Selbst in Zeiten, in denen das noch anders war, haben Rap und Rock gerne den Schulterschluss gesucht. Die Beastie Boys sind ein Beispiel dafür, hierzulande könnte man Megavier oder das Miteinander von Fettes Brot und Superpunk als Belege anführen. Auch Jan Delay selbst hat aus seiner Vorliebe unter anderem für Udo Lindenberg niemals einen Hehl gemacht. Das Presse-Info zu Hammer & Michel listet „Rage und Ramones, Lenny und Lemmy, Nina und Udo, Punkrock und Powerpop, den Sound der frühen Arctic Monkeys und den Geist der Hamburger Schule“ als wichtige Einflüsse auf. Später ist noch von Slime, Deep Purple, den Goldenen Zitronen, Wolfmother, System Of A Down, Mando Diao, Blumfeld, Body Count, Jet, Jimi Hendrix, Queens Of The Stone Age und REO Speedwagon die Rede.

Drittens: Jan Delay darf alles. Er ist meisterhaft darin, sich rotzfrech von einem Metier ins nächste zu flashen. Dass das auch in die Hose gehen kann, weiß er, aber darauf scheißt er. „Immer wenn ich gepisst bin vom Popstartum und den nervigen Dingen, die es mit sich bringt, besinne ich mich darauf, wo ich herkomme“, erklärt er seine Hinwendung zum Rock. „Wenn man die ganze Zeit nur der Glam-Vogel mit der Bigband im Rücken sein soll, nervt das irgendwann. Ich habe das alles wahnsinnig gerne gemacht. Ich liebe das, die großen Hallen, eine gute Show. Aber irgendwann dachte ich mir trotzdem: Ich will euch allen ins Gesicht schreien. Und wenn ihr dann dazu tanzt, is’ cool.”

Also gibt es jetzt Hammer & Michel, sein viertes Album. Das Problem dabei ist: Mit seinen Rock-Gehversuchen beraubt sich Jan Delay seiner größten Stärke. Rap, Reggae, Funk – überall war er nicht nur glaubwürdig, sondern einzigartig. Seine Stimme, seine Chuzpe, sein Mut – das waren die Zutaten, die ihn zum scheinbar unfehlbaren Tausendsassa machten. Als Rocker ist er hingegen bloß ein Nachahmer, ein Epigone. Hammer & Michel vereint all die schlimmsten Assoziationen aus der geschmacklosesten Zeit des Rock (etwa 1975 bis 1991), verbindet sie mit reichlich unerträglichem Gegniedel der Haus-und-Hofkapelle Disko No. 1 und endet in der Beliebigkeit. Jan Delay nähert sich dem Rock hier wie einem Menschen, von dem er nur ein Foto kennt, aber nicht den Charakter.

Es gibt ein paar brauchbare Momente auf diesem Album. Sie kann nicht tanzen ist zackig und eingängig, Fick und Action sind mit Bläsern und Frauenchor nicht allzu weit weg von seinem bisherigen Sound und hätten auch auf Mercedes Dance gepasst. Wacken ist das einzige Lied, das so funktioniert, wie es sich Jan Delay wohl für das gesamte Album gewünscht hätte: amüsanter, kurzweiliger, augenzwinkernder Hardrock.

Diesen Lichtblicken stehen leider viele Flops gegenüber. Straße ist unterdurchschnittlicher Jazzfunk, in Nicht eingeladen gibt seine Stimme die Aggressivität einfach nicht her, die das Lied so gerne evozieren möchte, Hertz 4 wirkt wie ein lahmer Aufguss von Westernhagens Donna, noch ein bisschen belangloser wird Kopfkino. Sogar die Single St. Pauli bleibt blass: Am Beginn steht ein patentierter Beatsteaks-Stomp, doch dann geht das Tempo verloren, Feuer oder Leidenschaft kommen erst gar nicht auf. Der Track ist meilenweit von der Hymne entfernt, als die er wohl gedacht war.

Der größte Schwachpunkt von Hammer & Michel ist aber die fehlende Glaubwürdigkeit. „Ich hab’ richtig Bock drauf“ und „Ihr könnt mich mal, wenn euch das nicht gefällt“ lauten die beiden wichtigsten Aussagen von Jan Delay zu dieser Platte. Doch statt sich wirklich Hals über Kopf in den Rock’N’Roll zu stürzen, ohne Rücksicht auf Verluste, hält er sich hier wiederholt eine Hintertür auf. Im Opener Liebe singt er davon, dass er für eine Menge Dinge reichlich Liebe empfinden kann („sogar für Uli Hoeneß“, wie die beste Zeile des Albums heißt). Er beschwört damit die ultimative Toleranz, die ihm letztlich auch den Freibrief gibt, sich an einem Rock-Album zu versuchen. Zwischendurch zieht ein Chor dieses Bekenntnis („Hippie-Scheiße!“) aber ins Lächerliche, als könnte Jan Delay doch nicht ganz daran glauben.

Später wundert er sich in der Scorpions-Ballade (auch dieser Titel ist eine der ironischen Hintertüren, auf die man hier immer wieder trifft), dass die Faschos neuerdings Tupac hören und die Bullen zu Bob-Marley-Fans geworden sind – und er wünscht sich genau die klar abgetrennten Lager zurück, über die er sich doch angeblich so gerne hinwegsetzen möchte. Auch Dicke Kinder kann sich, nach einem Soulrock mit Pseudo-Dada und Pseudo-Provokation, einen pseudo-humoristischen Anhang nicht verkneifen, in dem darauf hingewiesen wird, dass gutes Essen gar nicht teuer sein muss. Es ist wieder so ein Moment, in dem man meint: Wenn sich Jan Delay mit Lederjacke und Nietenarmband im Spiegel betrachtet und dabei ehrlich zu sich ist, dann muss er innerlich mit dem Kopf schütteln.

Es ist im Rock längst kein Problem mehr, wenn man nicht bierernst ist und auch über sich selbst lachen kann. Doch im Kern erfordert diese Musik noch immer eine Überzeugung. Und genau die ist es, die – das zeigen auch die reichlich beliebigen Themen in den Texten – auf Hammer & Michel fehlt. Dass Jan Delay ein Rock-Album gemacht hat, ist kein Sakrileg. Schlimm ist nur, dass es so unsexy, langweilig und halbherzig geworden ist.

Davon hätte man sich mehr gewünscht: das Video zu Wacken.

httpv://www.youtube.com/watch?v=_EQ4qCDs7r8

Homepage von Jan Delay.

Jan Delay & Disko No. 1 spielen im Herbst reichlich Konzerte:

24.09.14 Dresden – Eventwerk

25.09.14 Leipzig – Haus Auensee

26.09.14 Würzburg – S.Oliver Arena

27.09.14 Kassel – Stadthalle

01.10.14 München – Zenith

04.10.14 Neu-Ulm – Ratiopharm Arena

05.10.14 Mannheim – Maimarktclub

06.10.14 Frankfurt – Jahrhunderthalle

07.10.14 Bremen – ÖVB Arena

09.10.14 Berlin – Max-Schmeling-Halle

10.10.14 Flensburg – Flensarena

11.10.14 Lingen – EmslandArena

12.10.14 Hannover – Swiss Life Hall

14.10.14 Stuttgart – Schleyerhalle

15.10.14 Dortmund – Westfalenhalle

16.10.14 Düsseldorf – Mitsubishi Electric Halle

17.10.14 Hamburg – O2 World

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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