We Invented Paris – “Catastrophe”

Künstler We Invented Paris

Catastrophe We Invented Paris Kritik Rezension
Auf “Catastrophe” verabschieden sich We Invented Paris vom Akustik-Sound.
Album Catastrophe
Label Spectacular Spectacular
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Wie würde Paris (die Stadt in Frankreich, nicht die Figur aus der antiken Mythologie) wohl aussehen, wäre es wirklich von diesem in Basel residierenden Künstlerkollektiv erfunden worden? Legt man die Eindrücke ihres dritten Albums Catastrophe zugrunde, ergibt sich ein ziemlich konkretes Bild: Die Straßen wären aus Synthesizern gebaut. Die Metrostationen bestehen aus Drumcomputern. Für die repräsentativen Gebäude hat man sich die schönsten verfügbaren Vintage-Effektgeräte aufgespart. Der Mörtel, der das alles zusammenhält, hat eine ziemlich große Ähnlichkeit mit Kokain. Brian Molko wäre Ehrenbürger, und im einzigen Museum der Stadt wird das Gesamtwerk von Duran Duran ausgestellt, in Endlosschleife.

Das ist eine durchaus erstaunliche Erkenntnis, hat die Anfang des Jahrzehnts gegründete Gruppe rund um Frontmann Flavian Graber bisher doch vor allem mit akustischen, eher im Folk verwurzelten Sounds und vor allem mit sehr konsequenter Do-It-Yourself-Vermarktung (inklusive mehr als 250 Konzerten) auf sich aufmerksam gemacht. Das heute erscheinende neue Album, entstanden nach einer zweijährigen Pause von We Invented Paris, ist ein sehr bewusster Bruch mit diesen Ursprüngen.

Eine sonderlich gute Idee war das nicht. Storm klingt wie Modern Talking mit 20 Prozent mehr Testosteron – das könnte zugleich auch ein Lied von The Rasmus sein, und das ist keineswegs als Kompliment gemeint. „Komm, wir machen etwas Hymnisches mit Bezug zum Meer“, scheint die blöde Idee von High Tide gewesen zu sein. „Komm, wir machen etwas für den unwahrscheinlichen Fall, dass Comicleser plötzlich tanzen wollen“, heißt offensichtlich das Motto von Spiderman. „Komm, wir machen ein Liebeslied, das selbst für Wheatus zu cheesy wäre“, haben We Invented Paris womöglich bei Arsonist beschlossen.

Selbst die nicht gänzlich misslungenen Momente sind niemals ungetrübt gut. Durch den dominanten Bass wird die Strophe von Fuss vergleichsweise aggressiv und sorgt endlich einmal für etwas Dynamik, doch der Refrain bleibt ohne Biss. In Kaleidoscope gilt wie für das gesamte Album: Es steckt reichlich Kalkül drin, aber – was man den Musikern wohlwollend anrechnen muss – auch viel Überzeugung und sogar Liebe (wenn auch zu den falschen Dingen). Der Titelsong Catastrophe ist ästhetisch stimmig, auch wenn die Eruption am Ende nicht halb so überraschend kommt, wie die Band das wohl gerne hätte. Touriste erweist sich als nette Idee, die auch zu Bonaparte passen würde, wird allerdings etwas neunmalklug vorgetragen.

Die größte Schwäche von Catastrophe sind die Texte, wie schon der Auftakt Looking Back zeigt. Die Texte bestehen aus Wörtern oder Phrasen, die einzeln betrachtet jeweils gut klingen, zusammen aber nicht unbedingt Sinn und schon gar keine Poesie ergeben. Der Song dazu ist zwar eingängig, aber höchstens so sexy wie ein Reinraum. Air Raid Shelter klingt wie Placebo mit 70 Prozent weniger Rock und einem noch fragwürdigeren Verständnis von vermeintlich tiefgründigen lyrischen Metaphern. Superlove erweist sich als ein Lied über den Moment, wenn Schluss ist, aber beide nicht loskommen vom Ex, was eine reizvolle Ausgangssituation für einen Song ist, hier aber voller Klischees steckt.

Das ist vielleicht die schlimmste Erkenntnis von Catastrophe: Nicht einmal diese oft halbgaren Texte können bei We Invented Paris diesmal das Gefühl heraufbeschwören, das stets das wichtigste Merkmal des Kollektivs war: Spontaneität.

Fernseher als Köpfe gibt es im Video zu Kaleidoscope, hat man auch schon bei Bonaparte gesehen.

Im Oktober ist das Kollektiv auf Tour in Deutschland:

05.10.2017 Stuttgart – Keller Klub

06.10.2017 Heidelberg – Halle02

07.10.2017 Köln – Luxor

11.10.2017 München – Kranhalle

12.10.2017 Erlangen – E-Werk

13.10.2017 Hannover – Pavillon

14.10.2017 Dresden – Groovestation

19.10.2017 Berlin – Lido

20.10.2017 Hamburg – Nochtspeicher

21.10.2017 Oldenburg – Amadeus

Website von We Invented Paris.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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