Gordi – „Reservoir“

Künstler Gordi

Gordi Reservoir Kritik Rezension
Drei Coproduzenten hat Gordi für „Reservoir“ gewonnen.
Album Reservoir
Label Jagjaguwar
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Ungefähr in der Mitte dieses Debütalbums gibt es ein Lied namens Bitter End. Es ist wahrscheinlich der gewöhnlichste Song auf Reservoir, und dennoch ist er bemerkenswert. Denn er zeigt mit seiner sehr klassischen Instrumentierung, dass die Lieder von Gordi womöglich wirklich ganz banal auf einer akustischen Gitarre entstehen, obwohl sie so ungewöhnlich klingen. Wenig später folgt ein weiterer solcher Moment, der die Koordinaten für dieses Album zurechtrückt: Die E-Gitarre am Anfang von Better Than Then, Closer To Now ist unspektakulär, aber innerhalb dieses Klangkosmos trotzdem eine beinahe heftige Überraschung.

Die Australierin, die bürgerlich Sophie Payten heißt und parallel zum Inschwungbringen ihrer Karriere als Songwriterin auch noch ein Medizinstudium abgeschlossen hat, beweist schon auf ihrem Debüt eine hohe Eigenständigkeit und einen großen Wiedererkennungswert. Das ist ihrer Stimme, die ganz am Ende in Something Like This ihren eindrucksvollsten Auftritt hat, ebenso geschuldet wie der Bereitschaft, ihre Songs, die am Beginn vermutlich meist Folk sind, in ganz unterschiedlichen Inkarnationen zu denken und dabei auch die reizvollen Möglichkeiten zu nutzen, die Computer, Effektgeräte und Loops bieten.

Heaven I Know ist ein gutes Beispiel dafür. Erst etwa zur Hälfte gesellt sich weit im Hintergrund ein Beat hinzu, trotzdem ist der Track spannend, intensiv und stolz – durch die Komposition, nicht durch Geschrei oder Blendwerk. Myriad setzt auf eine Vocoder-Stimme und sonst fast nichts, All The Light We Cannot See hat eine tolle Melodie und erreicht eine erstaunliche Größe im Refrain, vor allem am Ende, wenn Stimme und Beat aus einer Phase wie kurz vor der Narkose oder kurz vor der Kakophonie wieder heraustreten. Zum Auftakt des Albums in Long Way ist der Gesang gehaucht und verschwörerisch, auch der Beat – unerbittlich wie ein Metronom – trägt zur Spannung bei.

Für die Vielfalt der Einflüsse von Gordi stehen nicht nur die Acts, mit denen sie schon auf Tour war (dazu gehören etwa Fleet Foxes oder Metronomy), sondern auch die Referenzliste der Leute, die sie als Koproduzenten für Reservoir angeheuert hat: Tim Anderson (Solange, Halsey), Ali Chant (PJ Harvey) und Alex Somers (Sigur Ros). In I’m Done gibt es mit Sean Carey auch einen Gaststar. Das Lied lässt Raum für Stimme und Atmosphäre, genau deshalb klingt das „Heaven, I know that we tried“ darin so herzzerreißend. „Als ich zum ersten Mal gehört habe, wie Sean diesen Text singt, habe ich mich so gefühlt, wie es nur in Momenten passieren kann, in denen mich Musik wirklich berührt”, erzählt Gordi über die Zusammenarbeit.

Ein typisches Element von Reservoir sind Tribal-artige Rhythmen, wie man sie auf On My Side hören kann, wo sie einen beträchtlichen Kontrast zum Gesang ohne allzu viel Kraft bilden – das passt gut zur Widersprüchlichkeit, von der dieser Text erzählt. Auch das etwas überkandidelte Aeon offenbart ein Leitmotiv der Platte: Wie etliche andere Stücke ist es aus einer Position des Zweifels heraus erzählt und geprägt vom Versuch, Gewissheit zu erlangen, wenigstens für einen Moment. Dieser Zweifel steckt auch hinter dem Titel von Can We Work It Out, und damit die Frage: Machen wir uns als Paar etwas vor? Sollten wir es lieber gleich sein lassen?

Die Texte sind damit eine kongeniale Entsprechung zum Kompositionsansatz, den man bei Gordi erleben kann. Man mag das nicht minimalistisch nennen, weil es dafür zu ereignisreich ist, trotzdem zeigen diese Lieder: Man braucht nicht viele Elemente, sondern die richtigen.

Sie will ihn loswerden, aber er ist immer da – das zeigt auch das Video zu I’m Done.

Website von Gordi.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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