Your Friend – “Gumption”

Künstler Your Friend

Your Friend Gumption Rezension Kritik
Bauernhof-Geräusche waren eine Inspirationsquelle für “Gumption”.
Album Gumption
Label Domino
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

Manchmal kann eine Verkehrskontrolle auch in einer Sinnkrise enden. So ging es jedenfalls (beinahe) Taryn Miller, der Frau, die Your Friend ist. Als sie mit ihrer 2014 erschienenen Debüt-EP in England auf Tour war, geriet sie auf dem Weg zu einem Konzert mit einem Polizisten ins Plaudern, bis er schließlich fragte, was für Musik sie denn eigentlich mache. Taryn Miller war geschockt: Ihr fiel beim besten Willen keine Antwort auf diese Frage ein. Zum Glück saß ein Freund neben ihr, der einsprang: “It’s like ambient folk, but she has this appreciation for the avant-garde and tries to incorporate it when she can”, sagte er – und hat den Sound von Your Friend damit recht gut zusammengefasst.

Dass Taryn Miller sich mit einer Klassifizierung schwer tut, kann man auch jetzt nachvollziehen, wo die 24-Jährige aus Lawrence, Kansas, ihr erstes Album vorlegt. Das heute erscheinende Gumption ist eine Platte des Dazwischen. Nothing Moved beispielsweise changiert zwischen düster und heimelig, ohne dass man entscheiden könnte, wohin das Pendel nun stärker ausschlägt. Im ersten Lied Heathering scheinen die Gitarren aus einem Unterwasser-Schloss zu kommen und der Gesang aus den Wolken.

Wenn sie sich selbst in I Turned In die Frage “How did I get back here?” stellt, dann klingt sie dabei so verloren, dass die Verwunderung die Tatsache und den Weg der Rückkehr umfasst und wahrscheinlich auch noch Verkehrsmittel, Zeit und Grund der Rückkehr mit einschließt. Desired Things setzt fast nur auf Gesang und abstraktes Schlagwerk, das man in keinem Moment als so etwas wie einen Beat begreifen könnte. Und der Album-Schlusspunkt Who Will I Be In The Morning bietet gut zwei Minuten lang bloß Geräusch an der Grenze zur Musik, bevor er sehr schön und exotisch im Stile von Röyksopp wird.

“I paid attention to textures”, sagt Taryn Miller über das mit Produzent Nicolas Vernhes (The War On Drugs, Deerhunter) entstandene Album. “I was trying to remove myself from an approach that I had followed before, but still wanted to bring in that melodic element that is most inherent to me, and marry it with a more sonically meditative landscape.” Während der Vorbereitung für die Studio-Sessions in Brooklyn hat sie viele Geräusche auf der Farm ihrer Eltern in Kansas aufgenommen, teilweise bloß als Inspiration und Kindheitserinnerung, teilweise auch, um sie tatsächlich in die Musik einzubauen. In der instrumentalen Klangcollage To Live With kann man das am deutlichsten erkennen.

Dass sie auf Tour mit Courtney Barnett war, hört man Gumption nicht unmittelbar an, doch nach und nach lässt sich bei Your Friend durchaus auch Power ausmachen. Der Titelsong beispielsweise entwickelt seine Sogwirkung schon lange, bevor kurz vor Halbzeit des Liedes das Schlagzeug einsetzt oder dann noch etwas später so etwas wie ein kleiner Chor und getarnte Streicher hinzukommen. Auch Come Back From It kann man eine Eigenschaft attestieren, die letztlich das ganze Album trägt: subtile Anziehungskraft.

Your Friend live im Museum.

Website von Your Friend.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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