Hot Chip – “In Our Heads”

Künstler Hot Chip

Tanzen? Ja. Komplexität? Aber gerne. Das ist auch auf "In Our Heads" die Devise.
Tanzen? Ja. Komplexität? Aber gerne. Das ist auch auf “In Our Heads” die Devise.
Album In Our Heads
Label Domino
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung

Tanzmusik hat einen großen Vorteil: Sie kann ganz einfach sein und trotzdem blendend funktionieren. Um die Bestätigung für diese These zu finden, muss man sich nur die Hits von David Guetta anhören oder meinetwegen auch das Gesamtwerk von 2 Unlimited.

Die Stärke von Hot Chip war es schon immer, dass sie Tanzmusik machen, die sich nicht einmal im Ansatz um diesen Vorteil schert. Das gilt auch auf ihrem fünften Album In Our Heads, das übermorgen erscheint. Zwischen dem Anfang eines Tracks und dem Ende kann da ein ganzer Ozean liegen. Alles ist im Fluss, und doch ist alles konkret und präzise.

Der feine Opener Motion Sickness ist dafür schon ein toller Beweis: Ganz viel baut sich hier auf, bevor der eigentliche Beat überhaupt beginnt. Danach gibt es Saxofone, die die Bass-Line mitspielen (geile Idee!), ein Eighties-Keyboard, eine Weltall-Gitarre und am Ende einen Bass, der so mächtig ist, dass andere Bands daraus einen eigenen Track gemacht hätten. „Everything spins to my motion sickness“, singt Alexis Taylor dazu, und in der Tat müsste man Übelkeit aufgrund akustischer Reizüberflutung befürchten, wenn all die Einzelteile bei Hot Chip nicht so herrlich verwoben wären.

How Do You Do macht da gleich weiter: Der Beginn klingt wie ein klassisches Stück Chicago House, dann kommt ein irres Orgelsolo dazu, etwas, das verdächtig nach einem Tischtennisball klingt, und die wundervolle Textzeile “Church is not for praying / it’s for celebrating the light that shines through the pain.”

Zum Baukasten der Single Night And Day gehören beispielsweise ein Bee-Gees-Chor, eine Kraftwerk-Bridge, ein herrlich arroganter Rap und ein bisschen von dem Sound, mit dem die Chemical Brothers schon den Salmon Dance zu einem Hit gemacht haben. Dazu kommt ein Rhythmus, der nicht bloß zum Tanzen geeignet ist, sondern förmlich dazu zwingt.

“Wir haben versucht, etwas Fröhliches und Lebendiges zu schaffen, und das ist uns gelungen“, erklärt Joe Goddard das Ziel für In Our Heads. „Manche Leute scheinen positive und fröhliche Musik ja wohl irgendwie für kitschig zu halten. Mir ist das egal. Ich will mir Platten wie Never Too Much von Luther Vandross anhören und keine Scheiben von Bands, die ständig ihre Komplexe und Probleme verarbeiten müssen. So etwas interessiert mich nicht.” Man glaubt ihm sofort, wenn man beispielsweise Now There Is Nothing hört, das spielend leicht eine Harfe, einen Old-Time-Funk-Track und einen Refrain mit Soft Rock à la Chicago vereint.

Der zweite riesige Vorteil von Hot Chip ist, dass sie einfach tolle Popsongs schreiben, auch jenseits aller Tanzflächentauglichkeit. Don’t Deny Your Heart ist so einer. Das Lied hat zwar eine gewagte Blaxploitation-Gitarre und ein Break, das nicht nur hektisch, sondern schon panisch klingt. Doch abseits davon könnte das wundervoll als Hit aus der Blütezeit von Whitney Houston durchgehen.

These Chains (mit der hübschen Zeile “These chains you bound around my heart / complete me, baby”) wird von Alexis Taylor, der immer noch aussieht wie das exakte Gegenteil eines Discokönigs, unfassbar schön gesungen. Ends Of The Earth ist wunderbar knackig. Die Melodie wird wie ein Rhythmusinstrument eingesetzt, dann gibt es eine betörende Strophe, einen noch beeindruckenderen Refrain und natürlich bei jeder Wiederholung des Ganzen ein kleines Detail dazu.

Wie gut die Lieder auf In Our Heads auch ohne jegliche Studio-Tricks sind, wird natürlich am deutlichsten, wenn der Sound reduziert bleibt. Let Me Be Him ist so ein Moment, ganz verträumt, mit einem kleinen Intermezzo aus Coldplay-Ohoho und einem Schluss mit schwindsüchtiger Bottleneck-Gitarre. Look At Where We Are ist eine himmlische Gitarrenballade, genau in der Mitte zwischen Hurts und den Red Hot Chili Peppers. Der Rausschmeißer Always Been Your Love ist Gospel, der das Hirn nicht ausschaltet.

Und dann können Hot Chip ja auch noch Songs wie Flutes. Also: die schrägsten Hits der Welt. Der Track beginnt mit seinen zerstückelten Chören wie ein Therapielied für verhaltensgestörte Kinder, gönnt sich einen ganz langen Anlauf und bleibt fast vier Minuten im Ungefähren, bis dann alles zueinander findet und einfach großen Spaß macht. Alexis Taylor kann mit so einem Urteil sicher gut leben: “Es hat wenig Sinn, groß über den Aufnahme-Prozess zu reden, aber der Sound ist fröhlich – weil die ganze Art und Weise, wie die Platte entstanden ist, Freude gemacht hat.”

Echte Hits kann man auch live spielen, beweisen Hot Chip mit Night And Day bei Later With Jools Holland:

httpv://www.youtube.com/watch?v=w1-bgl9JKD0

Hot Chip bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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