How To Dress Well – “The Anteroom”

Künstler How To Dress Well

How To Dress Well The Anteroom Review Kritik
Stärker am Sound des Debüts orientiert sich das fünfte Album von How To Dress Well.
Album The Anteroom
Label Domino
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

„No matter all your alchemy / the past will draw you back”, singt Tom Krell in Body Fat, dem zweiten Track auf The Anteroom. Es ist ein Lied über die Schmerzen, die man nicht los wird, über ungeliebte Bestandteile, die dennoch zu unserer Persönlichkeit gehören. Der Mann, der hier sein fünftes Album als How To Dress Well vorlegt, scheint das beinahe akzeptieren zu können.

Denn den Blick auf die Vergangenheit hat er für das in Los Angeles aufgenommen Album als befreiend empfunden. The Anteroom ist eine Rückkehr in mehrfacher Hinsicht. Das Album nähert sich, erst recht im Vergleich zum unmittelbaren Vorgänger Care (2016) wieder deutlich dem experimentellen und avantgardistischen Ansatz, der auf seinem Debüt Love Remains (2010) zu hören war. “Ich musste mit mir selbst kämpfen, um wieder zu dem zu werden, der ich wirklich bin, um zu meinen wahren Werten zurückzukehren“, sagt der 33-Jährige.

Als Spielwiese für die Umsetzung eignet sich der von ihm gewählte Zwischenraum bestens. Tom Krell hat dabei etwa die Luftkammer in einem Raumschiff im Sinn. „Sie ist ein Übergang in eine Leere, in der kein menschlicher Schrei gehört werden kann, die deinen Körper augenblicklich in seine Einzelteile zerlegen wird”, sagt er, und ergänzt dann: „Sie kann ein sehr geeigneter Ort sein, um sich auf sichere Weise an das Unbekannte heranzuwagen. Oder sie kann der Beginn einer Katastrophe sein.“ Er will auf The Anteroom die Möglichkeiten zwischen diesen Extremen ausloten, ebenso wie die Extreme selbst erkunden: „Ich wollte auf jeden Fall vermeiden, dass es sich wie eine Erfahrung anhört, die man einfach hinnehmen kann.“

Das erwähnte Body Fat illustriert gut, wie das gemeint ist. Der Song könnte als beschaulich, sogar verträumt gelten, aber nicht zuletzt die Bass Drum und das beinahe kakophonische Ende sorgen für ein Element von Bedrohung und Risiko. Später wirkt False Skull 12 geradezu freischwebend und erinnert daran, dass in der unverkennbar stark konzipierten Musik von How To Dress Well auch Raum für Spontaneität und Improvisation ist. Im wundervollen Love Means Taking Action („She said such profound things to me, that I can’t repeat / words that won’t fit neatly on a simple beat / but she said: love means taking action.“) sind die Mittel rein digital, fast klinisch, aber das Resultat ist im höchsten Maße warm und einfühlsam. Nothing, das die Platte abschließt, bezeichnet Krell als „einen extrem persönlichen Song über die Beziehung zu meiner Mutter“. Er zeigt darin eine (sicherlich nicht nur für seine Mutter) erschreckende Aggressivität.

Die zweite Rückkehr ist die zum Selbstverständnis als Dichter. „Es gibt immer wieder Phasen in meinem Leben, in denen mich die Poesie am meisten interessiert. Die vergangenen Jahre waren so etwas wie eine rituelle Rückkehr zur Dichtung für mich. Mit dieser Platte wollte ich etwas erschaffen, das in seiner Essenz poetisch ist“, sagt Tom Krell über The Anteroom. Entsprechend glänzend sind nicht nur seine eigenen Texte. Immer wieder verweist er auch auf andere Dichter, die ihn inspiriert haben. Nonkilling 6 | Hunger integriert Teile eines Gedichts von Li-Young Lee, begleitet von etwas Klavier und nur den Überresten eines Beats, bevor es dann auf einmal kraftvoll und sogar tanzbar wird; zum Ende hin könnte man das Stück tatsächlich „gutgelaunt“ nennen. Brutal | False Skull 5 sampelt Lesungen von Ocean Vuong und Anne Sexton, auch ein Gedicht von Frank Bidart wird zitiert. „I was afraid / I was was out of my mind / it was brutal / total disdain / total doubt and disguise / it was brutal“, heißen die zentralen Verse. Die Musik dazu lässt erahnen, wie Soul klänge, wenn es ihn schon immer nur aus dem Synthesizer (und mit irrlichternden Geigen) gegeben hätte.

Die erwähnten Zeilen zeigen zudem, dass The Anteroom nicht gerade einer Zeit der Glückseligkeit entspringt. Was er hinter sich hat, bezeichnet Tom Krell als “zwei Jahre, in denen mein Leben zusammengekracht ist“. Den Amtsantritt von Donald Trump sieht er als “eine Ausbreitung der Energie aus der Hölle auf der Erde, schwierig, missgelaunt und gewalttätig“. Er fühlte sich auch unabhängig davon depressiv und beschloss als erste Maßnahme für seine Therapie „eine ruhige Dance-Platte, auf der das Energielevel nie höher liegt als 30 Prozent.“

Dieser Wert sollte nicht zu dem Missverständnis führen, das neue Werk von How To Dress Well für lahm zu halten. Humans Disguised As Animals | Nonkilling 1 eröffnet das Album und macht die dunkle Kraft sogleich deutlich, die in diesen Tracks steckt: Man betritt diesen Zwischenraum sehr zögerlich, aber als uns der Gesang gerade in Sicherheit wiegt, zeigen die Effekte, wie zerstörerisch und gefährlich all das sein kann, was uns im nächsten Raum erwartet. Nonkilling 13 | Ceiling For The Sky blickt auf „a night pulsating with delight“ – so klingt auch der Beat, auch wenn sich der Rest des Tracks offenbar lieber in die Dunkelheit zurückziehen würde. Auch A Memory, The Spinning Of A Body | Nonkilling 2 hat einen vergleichsweise muskulösen Beat und noch etwas mehr Vocoder als der Rest von The Anteroom.

Vacant Boat blickt auf die Erde, nachdem die Menschheit untergegangen ist und nur noch Roboter übrig sind. „Mount me in the middle of the living room / entombed in a glass case / so the AIs that outlive us / will look on puzzled and dismayed”, scherzt Tom Krell darin über seinen Plan für diese Nachwelt, zu einem eher reduzierten Arrangement mit seiner Kopfstimme als zentralem Instrument. July 13 No Hope No Pain greift die Zeile „What altar could we possibly heal upon?” aus dem Opener noch einmal auf und erweist sich über weite Strecken als ein Durcheinander, in dem der Text eher zur weiteren Verwirrung beiträgt als für Orientierung zu sorgen.

Viele Lieder kommen einem länger voll als sie eigentlich sind, nicht weil sie langweilig wären, sondern weil so viel darin steckt. Nonkilling 3 | The Anteroom | False Skull 1 ist ein gutes Beispiel dafür: Der Track zeigt, wie viel Dynamik Krell innerhalb eines Tracks entwickeln kann. Der darin imaginierte Zwischenraum ist voller Schmerz, aber die Welt davor (oder dahinter) ist auch nicht der richtige Ort. Das passt zum Ausgangspunkt für das Album, denn Teil seiner Inspiration war “ein Traum, in dem du denkst, du stehst inmitten von Schneefall. Dann berührst du den Schnee mit deinen Händen und stellst fest, dass er gar nicht kalt ist. Du erkennst, dass du inmitten von Asche stehst. Dann schaust du über eine Klippe, die aus Knochen, Skeletten und Schädeln all der Kreaturen besteht, die jemals gelebt haben und jemals leben werden“, erzählt Tom Krell. Was er mit How To Dress Well auf dieser Platte jenseits dieser Klippe entdeckt, könnte kaum reizvoller sein.

Das Video zu Body Fat entdeckt dessen ästhetischen Wert.

Website von How To Dress Well.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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