Jack Savoretti – “Singing To Strangers”

Künstler Jack Savoretti

Jack Savoretti Singing To Strangers Review Kritik
Zwei prominente Co-Autoren hat Jack Savoretti auf “Singing To Strangers”.
Album Singing To Strangers
Label BMG
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Wie ein Straßenmusiker klingt Jack Savoretti in Singing To Strangers, dem Titelsong seines sechsten Albums. Er braucht für dieses Lied nur seinen Gesang und die akustische Gitarre, und das ist natürlich nicht sonderlich ungewöhnlich für einen Künstler, der aus einer Singer-Songwriter-Tradition kommt. „Es ist mein Job, für Fremde zu singen. Damit habe ich mein ganzes Leben verbracht“, sagt der Engländer mit italienischen Wurzeln. „Ich habe für Freunde, meine Familie und Fans gesungen. Die habe ich aber schon auf meiner Seite und ich kann gewissermaßen alles singen. Fremde hingegen müssen überzeugt und berührt werden, man muss eine Verbindung zu ihnen aufbauen.“

Umso erstaunlicher ist vor diesem Hintergrund, auch wenn man weiß, dass er mit dem vor drei Jahren veröffentlichten Vorgänger Sleep No More schon Gold-Status im UK erreicht hatte, was auf dem Rest dieser Platte passiert. Denn dort herrschen Opulenz, Grandezza und Eleganz. Einen großen Teil davon steuert der Entstehungsort bei: Singing To Strangers wurde im Studio von Ennio Morricone in Rom aufgenommen. Wie stolz Jack Savoretti ist, an diesem legendären der Musikgeschichte arbeiten zu dürfen, zeigt unter anderem das Booklet des Albums, das voller Fotos aus dem Studio ist.

Selbst, wenn er weniger offensiv mit diesem Umstand umgehen würde, wäre der Morricone-Einfluss vom ersten Ton an unverkennbar: Im Opener Candlelight erklingen zunächst Gitarre und Chor, dann auch die passenden Spaghetti-Western-Streicher. Das ist extrem romantisch, nicht nur wegen der Aussage, dass sich bei Kerzenlicht alles besser anfühlt, sogar das Küssen (und eindeutig auch dieses Album). Dass während der Sessions im Sommer 2018 tatsächlich Kerzen angezündet wurden, darf indes bezweifelt werden, schließlich gab es damals auch in Rom eine Rekordhitze. „Zum Glück befindet sich Morricones Studio im Keller einer großen Kirche, daher war es etwas kühler. Die Atmosphäre dort unten war essentiell und wurde besonders auf Candlelight eingefangen. Der Song ist die Visitenkarte des Albums“, sagt Jack Savoretti.

In der Tat finden sich gleich mehrere ähnlich schöne Liebeslieder mit der Qualität des Openers auf Singing For Strangers, zudem hat der Auftakt einen Ton gesetzt, der dann im weiteren Verlauf sehr stimmig beibehalten wird. What More Can I Do wird extrem schick und entwickelt unter anderem mit seiner klasse Melodie einen betörenden Seventies-Charme. In Dying For Your Love wird Jack Savoretti von einer Liebe erwischt, wie es sie eigentlich nur im Kino oder im Märchen gibt – und man hört ihm an, wie überwältigt er davon ist. Youth And Love betont den Beat und bewegt sich in Richtung Disco. Da wird einerseits der Bezug zum zweitberühmtesten italienischen Musikproduzenten deutlich (Giorgio Moroder) deutlich. Andererseits kann Cam Blackwood, der Singing To Strangers aufgenommen hat, hier die Fähigkeit nachweisen, die er zuletzt schon bei George Ezra gezeigt hatte, nämlich in eher zur Beschaulichkeit neigenden Gitarrenmännern die Lust aufs Tanzen zu wecken.

Auch Going Home ist ein Beispiel dafür, es hat einen schönen Groove, aus dem es gerade am Ende viel Kraft schöpft. Love Is On The Line klingt, als hätten Mando Diao ihre Smokings angezogen, und erinnert zudem daran: Wenn man merkt, dass man um die Liebe kämpfen muss, ist es oft schon zu spät. Thematisch ähnlich wird Better Off Without Me. Mit einem Gestus, der auch zu Joe Cocker (oder einer der dubiosen Männerfiguren in den Romanen von Elena Ferrante) passen würde, leidet Jack Savoretti hier darunter, dass er seine Liebste leiden lässt. „We both know / it’s plain to see / you’re better off without me.“ Die instrumentalen Zutaten von Things I Thought I’d Never Do sind Gesang und Klavier, die emotionalen Zutaten sind viel Pathos und ein Hauch von Selbstmitleid, aber Letzteres ist wohl unvermeidlich bei einem Mann, der sein vorletztes Album Written In Scars (2014) genannt hatte.

Als Bonustrack gibt es ein Duett mit Kylie Minogue, die Music’s Too Sad Without You auch mitgeschrieben hat. Das Erstaunlichste an dieser Live-Aufnahme aus Venedig ist dabei, wie markant mittlerweile ihre Stimme ist. Es gibt auf Singing To Strangers indes noch einen deutlich prominenteren Co-Autoren: Der Text zu Touchy Situation stammt von Bob Dylan. Mit dessen Einverständnis hat Jack Savoretti ein altes Manuskript des Literatur-Nobelpreisträgers vertont. Das Ergebnis hat seine Momente, wirkt aber auch ein wenig konstruiert. Man hört dem Song an, wie unbedingt die Musiker hier dem Renommee des Texters gerecht werden wollten, ebenso wie die Befangenheit, die sich offensichtlich deshalb breit machte.

Singing To Strangers ist auch jenseits davon nicht makellos. Greatest Mistake beispielsweise ist als Song nicht allzu stark. In solchen Momenten versteht es Jack Savoretti aber perfekt, die Mittel dieses legendären Studios zu nutzen, um davon abzulenken. Auch die Klasse seiner Liveband, bestehend aus Pedro Vito (Gitarre), Sam Lewis (Gitarre), Sam Davies (Bass), Jesper Lind (Schlagzeug) und Nikolai Torp (Keyboards), ist dabei hilfreich, ebenso die wundervollen Streicherarrangements von Davide Rossi (Coldplay, Goldfrapp).

Jack Savoretti weiß um den Beitrag dieser Kollegen, nicht nur am Gelingen dieses Werks, sondern auch an seinem Erfolg (Singing To Strangers wurde von BBC Radio 2 zum Album der Woche gekürt und bescherte ihm gerade erstmals eine Nummer 1 in den britischen Albumcharts), wenn er sagt: „Dieses Album ist genau das, was ich schon immer machen wollte. Ich bin stolz darauf, von Menschen umgeben zu sein, die mir geholfen haben, meinen Traum zu verwirklichen. Der Erfolg dieses Albums gehört jedem Einzelnen, der daran gearbeitet hat.“

Auch das Video zu What More Can I Do wurde in Rom aufgenommen.

Website von Jack Savoretti.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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