Kapa Tult Es schmeckt nicht

Kapa Tult – “Es schmeckt nicht”

Künstler*in Kapa Tult

Kapa Tult Es schmeckt nicht Review Kritik
Catchy Selbstzweifel gibt es auf “Es schmeckt nicht”.
Album Es schmeckt nicht
Label Ladies & Ladys
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung Foto oben: Ladies & Ladys / Johanna Knoblauch

Es ist äußerst wunderbar, dass es Kapa Tult gibt. Denn das Quartett kommt aus Leipzig, und eine Stadt, die so schön, dynamisch und kreativ ist, braucht dringend eine Band von Weltrang. Und die Lieder von Inga (Songwriting, Gitarre, Gesang), Angi (Schlagzeug), Paul (Bass) und Robin (Keyboard) sind auf dem heute erscheinenden Debütalbum Es schmeckt nicht so gut, dass sie diesen Status lässig erreichen könnten.

Dass dies tatsächlich so kommen wird, ist allerdings ziemlich unwahrscheinlich, aus mindestens zwei Gründen. Erstens singen Kapa Tult auf Deutsch, was die internationale Anschlussfähigkeit doch einigermaßen einschränkt. Zweitens haben sie höchstwahrscheinlich gar keine Lust auf eine Weltkarriere. Denn Es schmeckt nicht zeigt immer wieder, wie gerne diese Band ins Abwägen, Reflektieren und sogar Grübeln verfällt. Bevor sie Rock-Superstars werden könnten, würden sie sicher genau überlegen: Will ich das? Darf ich das? Was sind die gesellschaftlichen Strukturen im Hintergrund, die das Konzept “Rockstar” überhaupt erst möglich machen? Welche Folgen hätte es für mich, mein Umfeld und die Welt, wenn ich das mache? Im Ergebnis kann man dann wahrscheinlich nur zum Schluss kommen: “Ach nee du, lass mal.”

Der Abgleich von Ist und Soll ist für diese Band ebenso typisch wie der Mix aus notorischen Selbstzweifeln und mitreißendem Sound. Meist bezieht sich das bei Kapa Tult, die im März 2022 ihre erste EP vorgelegt hatten, aufs Liebesleben. Der Album-Auftakt Straßenbahn erzählt davon, wie aus einem unverbindlichen Flirt eine nervige Konstellation wird, weil die Frage “Was ist das für ein Ding zwischen uns?” unterschiedlich interpretiert und wahrgenommen wird und die eine Seite dann auch noch Besitzansprüche anmeldet. Kaffee und was Süßes schildert eine ähnliche Konstellation mit vertauschten Rollen. Wieder geht es um Treffen in trauter Zweisamkeit, diesmal ist es allerdings die Ich-Erzählerin, die sich mehr davon erhofft, auch wenn sie vom Gegenüber weiß: “Du willst mich zwar nicht, aber du willst mir gefallen.” Das ist natürlich ein ebenso tückisches wie schmerzhaftes Missverhältnis, das Kapa Tult zunächst sehr reduziert, dann wunderbar kraftvoll inszenieren, mit schickem Harmoniegesang und tollen Orgel-Eskapaden, die sich immer wieder auf Es schmeckt nicht finden.

In Lovaa gibt es wieder so einen Typen, der seine (untergeordnete) Rolle nicht akzeptieren will, auch Cigarettes After Sex thematisiert mit einer sperrigen Rotzigkeit, die meinetwegen an die Four Non Blondes erinnert, und einem coolen Selbstbewusstsein, das perfekt zu Wet Leg passen würde, die Uneinigkeit über den Beziehungsstatus. Bitte Bitte Bitte schildert mit ein paar Soul-Anleihen die Entfremdung von jemandem, der sich bedeutend fühlt und dabei seine Bedürftigkeit nicht mehr erkennt (oder zumindest nicht eingesteht): “Ich bin das ‘Life’ in deiner Work-Life-Balance / und ich habe diese Rolle so satt.” Auch bei In meiner Küche geht es um das kurze Füreinanderdasein, in welcher Form auch immer, woraus aber noch lange kein Einverständnis mit dem Konzept der ewigen, einzigen, unverbrüchlichen Liebe einher gehen muss. “Das geht auch vorbei”, heißt die letzte Zeile darin, und sie steht prototypisch für den offensichtlich aus bitterer Erfahrung gespeisten emotionalen Pragmatismus bei Kapa Tult.

Man könnte angesichts von Es schmeckt nicht über die Unüberwindlichkeit der Unverbindlichkeit für die Generation Tinder schwadronieren. Man könnte behaupten, dass Treue schwieriger wird, wenn selbst Geschlechter fluide sind. Man könnte beklagen, dass die Bereitschaft schwindet, sich jemandem zu versprechen und gemeinsam durch dick und dünn zu gehen, wenn man eine Social-Media-Sozialisierung hinter sich hat, die stets maximale Achtsamkeit für das eigene Ego einfordert und am liebsten alles rosarot malt. Man kann sich aber stattdessen auch daran erfreuen, dass hier vier junge Menschen für sich beschlossen haben, keine Kompromisse zu machen, keinen Klischees zu folgen und nicht Narrativen auf den Leim zu gehen, die sich längst als falsch erwiesen haben.

Kapa Tult machen daraus Lieder, die intelligent sind, aber nicht anstrengend, engagiert, aber nicht verbissen, individuell, aber nicht eitel. Dieser Ansatz lässt ebenso wie die oft ungewöhnlichen Melodien an Fritzi Ernst denken. Ein Song wie Michelle Obama (zentrale Zeile: “Ich wettbewerbe mich mit dir”) würde wunderbar zu Mia Morgan passen, Ich hab einen Freund, den ich von einer Party kenn ist die Gen-Z-Variante von Tocotronic, Kein Ende könnte man sich mit dem prominenten Bass, der funky Atmosphäre und dem üppigen Orgelsolo am Ende musikalisch fast auch von Selig oder Silbermond vorstellen, aber der Text ist hier so beiläufig mitten aus dem Leben, wie es bei denen nie vorstellbar wäre.

Ein Highlight ist die Single Leck mich, die den Spaß an Oralverkehr feiert und zugleich süffisant den/die Ex disst. „Es ist einiges passiert seit du weg bist / zum Beispiel amüsier ich mich prächtig / nur eins vermiss ich, einen Wunsch hätt’ ich / komm zurück für eine Nacht und dann leck mich”, singt Inga darin zu einem herrlich rustikalen Klavier, einem Rhythmus in der Nähe von Reggae und einem Wah-Wah-Gitarrensolo. Noch besser wird Handy, das wie einige weitere Tracks ein paar Holzbläser integriert und auch viele weitere originelle Details wie den abschließenden Chorgesang zur Zeile “Kein Anschluss unter dieser Nummer” zu bieten hat. Das Smartphone soll darin in erster Linie eine Quelle sein, aus der man Bestätigung und Aufmerksamkeit bekommen kann, durch Likes, Reichweite, Komplimente oder Einladungen. Natürlich funktioniert das nicht, denn Menschen, denen es gut geht sind hier natürlich immer bloß die anderen. Stattdessen strömen Gefühle von der eigenen Unzulänglichkeit und dem unvermeidbaren Neid heraus: „Warum gehören alle zu den Cool-Kids / und ich steh immer nur daneben?” Die Melodie dazu ist auch in diesem Fall so catchy, dass in einem weit entfernten Zeitalter daraus so etwas wie ein Hit in den Klingelton-Download-Charts hätte werden können. Aber auch diese zweifelhafte Karriere-Chance hätten Kapa Tult sicher abgelehnt.

Kapa Tult wechseln mitten im Song die Outfits, zeigt das Video zu Straßenbahn.

Website von Kapa Tult.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.