My Sad Captains – “Sun Bridge”

Künstler My Sad Captains

My Sad Captains Sun Bridge Review Kritik
Zusätzliche Dynamik entfalten My Sad Captains auf “Sun Bridge”.
Album Sun Bridge
Label Bella Union
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Early Rivers eröffnet diese Platte und klingt wie ein Nebel, der sich über dem Wasser aufzulösen scheint, wenn auch sehr zaghaft. Das passt sehr gut zum Titel des vierten Albums von My Sad Captains, denn Sun Bridge bezeichnet das Phänomen, wenn sich Sonnenlicht über einer glatten Wasseroberfläche perfekt ausbreitet. Man kann das als typisch ansehen für den Dream-Pop, der die Band seit ihrer Gründung vor 13 Jahren auszeichnet. Nicht nur unter dieser Oberfläche schlummern bei den Londonern allerdings etliche Veränderungen.

Den 2014 erschienenen Vorgänger Best Of Times sieht Sänger Ed Wallis im Rückblick als Platte, „die vor allem in einer Sache sehr gut war: einem mittelschnellen, verträumten Kraut-Pop. Diesmal wollten wir mehr Dynamik und Vielseitigkeit – also gleichzeitig den Raum erweitern als auch den Fokus schärfen“. Der Ansatz passt gut vor dem Hintergrund einer größeren Personalrochade: Jim Wallis und Nick Goss haben My Sad Captains verlassen, Ben Walker (Schlagzeug) und Leon Dufficy (Gitarre) kamen neu hinzu. Auch Dan Davis, der hier noch Bass spielt (und das Cover von Sun Bridge gestaltet hat), ist inzwischen ausgestiegen, er wurde durch Steve Blackwell ersetzt.

Ein gutes Beispiel für die angestrebte Dynamik ist Everything At The End Of Everything, das direkt auf den Opener folgt und vor allem mit der Geradlinigkeit des Schlagzeugs nach diesem Auftakt gewaltig erstaunt. Die Stimme von Ed Wallis bleibt zwar schüchtern, der Rest der Instrumente auch – aber das Ergebnis wirkt, als sei der Drummer von Belle & Sebastian heimlich ins Fitnessstudio gegangen, gegen den Willen seiner Band. In None In A Million sorgen die Trommeln, vor allem aber der Bass für eine beträchtliche Nervosität, die von der Zeile „This could be the one for letting go“ gestützt wird. Dahinter steckt wohl die Idee: Wir definieren uns immer auch über das, wovon wir uns trennen.

Curtain Calls wirkt, als hätten Phoenix plötzlich Lust bekommen, Folkrock zu machen. Nicht nur der Gesang hat Ähnlichkeit mit dem Sound der Franzosen, sondern auch der wirkungsvolle, aber nicht aufdringliche Groove. Auch sonst zeigt Sun Bridge gelegentlich einen Effekt, den man beispielsweise von Arcade Fire kennt: Zum Ende hin bekommen die zunächst beschaulichen Lieder eine nicht zu überhörende Wucht, durch immer zusätzliche Klangschichten, vor allem aber durch die eigene Entschlossenheit.

Natürlich gibt es auf dem von My Sad Captains selbst produzierten Album auch noch genug Momente, die zart und niedlich sind wie Don’t Listen To Your Heart (mit der Warnung: “Don’t listen to your heart / it’s always in the wrong place.”) oder Wintersweet, eines von zwei Instrumentalstücken des Albums, das vielleicht im Hintergrund laufen könnte, während jemand hypnotisiert werden soll. Der Aufbruch zur Destination Memory erfolgt mit einer vorsichtigen Gitarrenmelodie, behutsamem Bass, fast unhörbarem Beat und schließlich einem zweistimmigen Gesang, der auch nicht von dieser Welt zu sein scheint. “There comes a time / to keep yourself alive”, lautet die Ermahnung in New Sun, das wohl von einem schmerzhaften Ende handelt und von der zauberhaften Hoffnung auf eine Zeit, in der alles gut sein wird.

Aus dem Album-Abschluss Relive spricht der Wunsch, Trost zu spenden, aber auch die Fähigkeit, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind. Das sieht Ed Wallis als Quintessenz von Sun Bridge, vielleicht sogar als Motto für die Zukunft seiner Band: „Es ist ein vorsichtiger Optimismus. Sobald wirkliche Ruhe eingekehrt ist, wird sich ein neuer Weg eröffnen.“

Ziemlich wenig Leben ist im Video zu Everything At The End Of Everything verblieben.

Website von My Sad Captains.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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